„Arsch huh“-Jubiläumskundgebung in der Lanxess-Arena

Die Enttäuschung war groß. Monatelang hatte die die AG „Arsch huh“ mit der Polizei über die Genehmigung einer Großkundgebung auf den Plätzen Chlodwigplatz, Deutzer Werft oder Heumarkt verhandelt. Doch die hatte jedesmal große Sicherheitsbedenken und lehnte eine Genehmigung ab. Der Verein um den früheren Rock- und Pop-Beauftragten der Stadt Köln, den rührigen Manfred Post, hatte so viel geplant zum 30. Jahrestag der großen Solidaritätsveranstaltung. Eine PK war schon terminiert, die neue CD sollte vorgestellt werden. Dann die Absage…

Und jetzt die große Wendung: Die Veranstaltung wird am 10. November In der Lanxess-Arena stattfinden. Möglich gemacht hat das Arena-Chef Stefan Löcher, der sich für die Veranstaltung stark gemacht hat. Schließlich soll es wieder ein Zeichen setzen für ein soziales Miteinander und gegen Ausgrenzung und Fremdenhass. Der gewünschte Termin am 9. November klappte zwar nicht, weil an diesem Tag Chris de Burgh auftritt, aber einen Tag später. Ein Doppel-Album unter dem Titel „30 Jahr Arsch huh – wachsam bleiben!“ mit Songs wird am 4. November veröffentlicht.

9. November 1992

Am 9. November 2022 ist es genau 30 Jahre her, als 100.000 Menschen aus der gesamten Region sich rund um den Kölner Chlodwigplatz zu einer der größten Kundgebungen, die die Stadt je gesehen hatte, versammelten. Das Motto: „Arsch huh, Zäng Ussenander!“ – zu deutsch: „Aufstehen und den Mund aufmachen!“ Die Demonstranten waren dem Aufruf der Kölner Musikszene gefolgt, gemeinsam gegen Rassismus und Neonazis zu protestieren. Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte und Übergriffe auf Menschen ausländischer Herkunft waren im Deutschland Anfang der 90er Jahre in einem Ausmaß zum Alltag geworden, dass es vielen die Sprache verschlug.

Es war der kölsch-türkische Musiker und Journalist Nedim Hazar, der Vater von Eko Fresh, der damals unter befreundeten Musikerinnen einen ersten Weckruf aussandte. Binnen weniger Tage raufte sich auf Initiative von Wolfgang Niedecken und dem Musikmanager Karl Heinz Pütz die nahezu vollständige Riege der populärsten Kölner Musikgruppen zusammen, darunter Bap, Bläck Föös, Höhner, LSE, Piano has been drinking, Zeltinger & Brings. In Windeseile wurden neue Songs komponiert, eingespielt und veröffentlicht, so dass die ersten CDs noch am Tag der Kundgebung auf der Straße verkauft werden konnten.

Zum ersten Mal bahnte sich ein Schulterschluss an, der über den eigenen Tellerrand der Bands hinausreichte und auch für andere Initiativen wegweisend wurde: Ein übergreifendes Bündnis aus allen demokratischen Kräften, von der politischen Linken bis weit ins bürgerliche Lager. Auf die Musikszene übertragen: Rocker und Karnevalisten standen hier zusammen. Mehr noch: Von Beginn waren die Musiker bestrebt ihr Netzwerk auch auf die international geprägte Musikszene der Stadt auszudehnen und ein breit gefächertes Umfeld aus Kulturschaffenden, Wissenschaftlern und gesellschaftlich und politisch wirkenden Kräften an sich zu binden. So standen sie an diesem Abend auf einer Bühne: Künstler und Gruppen aus Punk, Rock, Blues, Pop, Soul, HipHop, Weltmusik, Kabarett, einem schwulen Männerchor und als Vertreter der älteren Generation der Schauspieler Willy Millowitsch. Seine Rezitation aus Zuckmayers „Des Teufels General“ über die vielfältigen Wurzeln der Rheinländer, markierte einen Höhepunkt unter den zahlreichen Redebeiträgen des Abends, darunter Klaus Bednarz (Monitor), die Autoren Elke Heidenreich und Günter Wallraff sowie der Edelweißpirat Jean Jülich.

Musiker- und Künstlerinitiative gegen Rechts

Die Kundgebung hatte eine ungeheure Signalwirkung. Der Protestsong „Arsch huh“ wurde zur Hymne und spielte innerhalb kurzer Zeit 1 Mio. DM ein, mit dem die Musiker zivilgesellschaftliche Projekte in der gesamten Region fördern konnten. Der Kern der Musiker entschied sich die eigene Bekanntheit dauerhaft für politische Ziele einzusetzen. Zu diesem Zweck gründete man einen Verein, sein Name: Arsch huh, Zäng Ussenander! e.V..

Heute ist Arsch huh die langlebigste und einflussreichste Musiker- und Künstlerinitiative gegen Rechts in der Bundesrepublik Deutschland. Wie kaum einer anderen Initiative gelang es ihr immer wieder nennenswerte Teile der lokalen und regionalen Bevölkerung für den Protest gegen rechtsgerichtete Gruppierungen zu mobilisieren. Die Liste der Aktionen an denen sich in den vergangenen 30 Jahren sicher mehr als 1000 Kulturschaffende auf Podien und Bühnen beteiligt haben und mehr als 1 Million Menschen erreichten, zeigt auf eindrucksvolle Weise die Wirkungsmöglichkeiten einer Künstlerinitiative im Spannungsfeld von Musik und Politik. Und dies generationsübergreifend, zumal mit der Zeit auch jüngere Künstler:innen und Bands wie

Fatih Cevikkollu und Carolin Kebekus, Kasalla, Cat Ballou und Björn Heuser sich bei Arsch huh engagierten. Der Begriff Arsch huh gehört inzwischen zum kölschen Brauchtum und zum lokalpatriotischen Selbstverständnis der gesamten Region, als Synonym für das Engagement  gegen Rechts, für die Verbesserung des Zusammenlebens und auch für eine solidarische Stadtgesellschaft. Wen wundert´s, dass es Versuche von Rechtsaußen gegeben hat, den Ausruf Arsch huh oder viele kölsche Evergreens für ihre eigenen Zwecke zu missbrauchen. Doch auch dies wussten die Arsch huhs schlagfertig abzuwehren, ob musikalisch mit dem Song „Su läuf dat he“ oder auch mit Anwälten und Gerichten.

Toleranz und Vielfalt

Dieses 30-jährige Engagement hat Spuren hinterlassen. Köln bekennt sich zu Toleranz und Vielfalt. Rechtsextreme Gruppen und Parteien spielen in Köln kaum eine Rolle. Aber Wachsamkeit bleibt geboten: Hanau und Halle, rassistische und antisemitische Übergriffe zeigen, dass der Kampf für eine demokratische und solidarische Gesellschaft weitergehen muss. Arsch huh, Zäng ussenander bleibt eine Daueraufgabe – in Köln und überall! Deshalb ruft die Künstlerinitiative am 9. November 2022 die Menschen erneut auf dem Chlodwigplatz zusammen: Arsch huh, Zäng Ussenander! – in Köln und überall.

Schlaglichter aus 30 Jahren Arsch huh, Zäng Ussenander

1992 – 2002

  • Das Ereignis: 100.000 gegen Rechts. Aufstehen und den Mund aufmachen! Albumveröffentlichung,Teilnahme an Großkundgebungen in anderen Städten. Vereinsgründung, 1 Mio. D-Mark für zivilgesellschaftliche Initiativen, Gründung Antirassistische Nachrichtenagentur
  • Bildungsoffensive: 173 Völker eine Stadt, ganztägiger Fachkongress
  • 1997/2000 Kulturpolitische Veranstaltungen in Kölner Philharmonie: Aufgeklärter Umgang mit Stadtgeschichte: Geschichte der Stadt zur Zeit der NS-Diktatur, „Lieder und Texte gegen das Vergessen“ und: Thema „Zwangsarbeit in Köln“
  • Arsch huh-Tour durch Dutzende Schulen in Köln und Umland: Debatte & Musik.
  • Arsch huh als Vorbild für Künstlerinitiative: Brothers Keepers e.V. Afrodeutsche Musiker erlangen mit dem Protestsong „Adriano letzte Warnung“ bundesweit Beachtung, Touren und Bildungsprogramme in ganz Deutschland.
  • „Arsch huh, wähle jon“ – Aktionen zu Kommunalwahl in Köln
  • 2002 Großkundgebung gegen Neonazi-Aufmarsch in Köln

2003 – 2012

  • Heimatklänge – 10 Jahre „AG Arsch huh“, Albumveröffentlichung, Konzertabend i.d. Philharmonie
  • Aktionen gegen die rechtspopulistische Partei Pro Köln
  • Gründungsmitglied des übergreifenden zivilgesellschaftlichen Bündnisses „Köln stellt sich quer“, Kundgebung gegen den sog. Anti-Islamisierungskongress europäischer Rechtspopulisten
  • „Für eine solidarische Stadtgesellschaft“: Erweiterung des Aktionsfeldes der AG auf sozialpolitische Themen. Albumveröffentlichung „10 Jahre Arsch huh“ und Großkundgebung mit 70.000 Teilnehmern auf der Deutzer Werft

2013 – 2022

  • Kampagne mit sozial/jugend- und integrationspolitischen Forderungen zur Kommunalwahl  
  • 2014: Birlikte-Zusammenstehen: Kundgebung zum 10. Jahrestag des Nagelbombenanschlags auf die Köln-Mülheimer Keupstraße, mit dem Kölner Schauspiel, der IG Keupstraße und lokalen Initiativen. Bis 2016 dreimalige Durchführung eines Kunst- und Kulturfestes. Mehr als 30 Bühnen und bis zu 100 Panels
  • Hogesa, Pegida, Kögida – Kein Nazis he op unser Plätz: Aktionen, Kundgebungen und Großkundgebung gegen rechtsgerichtete Demonstrationen
  • Arsch huh Fachkongress: Wirkungsmöglichkeiten einer Künstlerinitiative zwischen Musik & Politik
  • Aktuell: „Du bes Kölle“ – 6monatige, modular aufgebaute Kampagne zum „Super-W ahljahr“ 2017. Tour durch Kölner Stadtviertel. Themen: Verteidigung von Demokratie, Menschenrechten und offener Gesellschaft
  • Großkundgebung und Musikparade anlässlich des Bundesparteitags der AfD am 2017
  • Do bess Kölle – Abschlusskundgebung mit 20.000 Teilnehmern auf den Kölner Ringen
  • 2019: Ein Europa für alle, Arsch huh und über 100 Aktionsgruppen mobilisieren 45.000 Menschen für die Stärkung der Demokratie und zur Teilnahme an der Europawahl
  • Su läuf datt he – Song & Aktion gegen Missbrauch der kölschen Liedkultur durch rechte Gruppen
  • 2022 Eine Arche für Obdachlose in Mülheim – Song, Spendenaktion und Networking zur Errichtung einer Obdachlosenstation in Köln-Mülheim. Gemeinsam mit dem Verein Arche für Obdachlose
  • 30 Jahre: Arsch huh, Zäng Ussenander!