
Der Jazzabend im Pantheon beginnt nicht mit einem Paukenschlag, sondern eher meditativ. Zu Beginn jedenfalls. Den Abend bestreiten zwei Ensembles, zwei musikalische Sprachen – doch beide eint die Suche nach Formen in der Freiheit. Das Jazzfest Bonn zeigt sich mit dem Doppelkonzert des Rainer Böhm Quintetts und des Ida Sand Trios wieder von einer kuratorisch durchdachten Seite: Hier eine Kompositionstradition, die ihre Strenge in klanglicher Offenheit verliert, dort ein Song-orientiertes Programm, das stilistische Grenzen souverän ignoriert.
Von Dylan C. Akalin
Der Pianist Rainer Böhm ist ein Architekt unter den Improvisierenden. Seine Kompositionen – etwa das eröffnende „What If“ oder das fein gesponnene „Decision Maker“ – funktionieren wie modulare Klangräume: formbewusst, dabei nie formalistisch. Hier wird nicht erzählt, sondern gebaut – mit präzisen Proportionen und vielschichtiger Dramaturgie.
Rainer Böhm Quintet: Struktur, Spannung – und ein Altsaxophon, das Räume öffnet
Schon beim Eröffnungsspiel zeigt sich die Grundphilosophie des Quintetts, vor allem der beiden Bläser: Ihr Spiel gleicht einem ebenso komplizierten wie filigranen Mobile, bei dem alle Teile stets die Balance halten, stets in Bewegung sind. Mal kreuzen sich die Bahnen, mal schweben sie übereinander, gegeneinander oder streben auseinander – aber immer im Gleichgewicht der Kräfte.

Doch so durchdacht die Grundlage auch ist: Der Abend gehört dem Moment – und häufig Wanja Slavin. Jedes seiner Soli ist eine kleine Erzählung, aber ohne literarische Schwächen. Wenn er das Altsaxophon ansetzt, öffnet sich der Raum. Da wird nichts herausposaunt, sondern enthüllt. Seine Linien sind klar, aber nie eindeutig, von einer inneren Spannung getragen, die sich nicht auflöst, sondern weiterführt. Es ist, als ob Slavins Spiel Horizonte sichtbar macht, die vorher nur geahnt wurden.
Domenic Landolf bildet dazu ein interessantes Gegengewicht. Sein Tenorsaxophon klingt rund, geerdet, warm – aber auch komprimierter. Er phrasiert fokussierter, verdichteter, vielleicht auch vorsichtiger, was dem Gesamtklang des Quintetts Struktur gibt. Zwischen beiden Bläsern entsteht keine Konkurrenz, sondern eine subtile Konversation, die von gegenseitigem Respekt und musikalischer Komplementarität lebt.
Im ersten Song überlässt der Bandchef die Bühne seinen Mitstreitern, erst im zweiten Stück „Eibohphobie“ zeigt er in seinem Solo seine Fähigkeiten von klassischen Linien über abstrakte, polyrhythmische Figuren zu akkordbetonten Ausbrüchen zu wechseln. Spannend und außergewöhnlich. Das Publikum quittiert es mit ausgelassenem Applaus.

Jonas Burgwinkel ist als Schlagzeuger in seinem eigenen ästhetischen Kosmos unterwegs. Er spielt nicht Time, er spielt Architektur – transparent, durchlässig, aber niemals unentschlossen. Jede Bewegung wirkt überlegt und doch spontan, elegant und präsent, ohne sich aufzudrängen. Arne Huber wiederum verleiht dem Ensemble jene Ruhe, die das ständige Streben nach Aufbruch erst tragfähig macht.
„Decision Maker“ spielt mit Tempi und Jazzstilen, „March“ startet fast wie ein New Orleans-Trauermarsch, eine Nummer voller einfühlsamer Soli. Mit „Tune For Dad“ erreicht das Set einen emotionalen Kulminationspunkt, der ohne Sentimentalität auskommt. Die Zugabe, „Catalyst“, bündelt noch einmal alle Kräfte – in einem musikalischen Konzentrat, das Klarheit und Dringlichkeit vereint.
Ida Sand Trio: Song, Soul und souveräne Stilfluchten
Nach der Pause präsentiert uns Ida Sand ein paar noch nicht veröffentlichte Kompositionen, einige alte Bekannte und Bearbeitungen bekannter Stücke von Neil Young über Nina Simone bis zu den Beach Boys. Ihre Eigenkompositionen wie „Wasted on the Youth“ oder „Salt and Sugar“ tragen eine soulorientierte Direktheit in sich, die sich nicht für Subtilität schämt. Sie artikuliert sich nicht über Virtuosität, sondern über Präsenz – stimmlich, textlich, performativ.

Sie wird von zwei schwedischen Schwergewichten begleitet: Dan Berglund am Bass, früher Teil des E.S.T., ist eine Art schwebende Masse – wuchtig, aber nie träge, stets im Dienst der Form. Per Lindvall spielte einst für ABBA und hält das Ganze rhythmisch zusammen, nicht mit Wucht, sondern mit kluger Dosierung. Besonders in den Coverversionen – Hendrix’ „Manic Depression“, Neil Youngs „One of These Days“ oder Nina Simones „I Wish I Knew“ – zeigt sich Sands Fähigkeit zur Aneignung: Nichts bleibt Dekoration, alles wird Ausdruck. Der Hendrix-Song wirkt wie eine jazzige Dekonstruktion, ihr Rhodes klingt bisweilen wie ein Vibraphon.
„Wasted On The Youth“ kommt wie eine Mischung aus Pat Metheny und Südstaaten-Pop rüber. „If You Don‘T Love Me“ ist eine entspannte Jazz-Pop-Nummer, „Waiting“ wiederum könnte eine eindringliche George Benson-Komposition sein. Beim Neil Young-Song überzeugt der dynamische Basse von Berglund, der den ganzen Saal auszufüllen scheint.
Nina Simones Song „I Wish I Knew“ kommt mir etwas zu fröhlich interpretiert vor, „God Only Knows“ schließlich als Zugabe indes ist nicht pathetisch, sondern schlicht und damit bewegend.
Zwei Erzählformen – eine ästhetische Idee
Das Jazzfest Bonn präsentiert an diesem Abend keine Gegensätze, sondern Perspektiven. Das strukturierte, kammermusikalisch geprägte Rainer Böhm Quintett trifft auf die narrative Emotionalität des Ida Sand Trios – und beide eint das Vertrauen in die Integrität des musikalischen Ausdrucks.
Ein Abend, der nicht nur überzeugt, sondern fordert – und genau darin seine Stärke entfaltet.

Besetzung:
Rainer Böhm Quintet: Rainer Böhm (Klavier}, Wanja Slavin (Altsaxophon), Domenic Landolf (Tenorsaxophon), Arne Huber (Bass) und Jonas Burgwinkel (Schlagzeug)
Ida Sand Trio: Ida Sand (Vocals, Klavier), Dan Berglund (Bass) und Per Lindvall (Schlagzeug)
Setlist Rainer Böhm Quintett:
What If
Eibohphobie
Decision Maker
March
Tune For Dad
The Way You Think
Past And Present
Encore:
Catalyst
Ida Sand Setlist:
Wasted On The Youth (Ida Sand)
Burning (Ida Sand)
Salt And Sugar (Ida Sand)
Manic Depression (Jimi Hendrix)
If You Don‘T Love Me (Ida Sand)
Waiting (Ida Sand)
One Of These Days (Neil Young)
I Wish I Knew (Nina Simone)
I Will Be Right There (Ida Sand)
The Weight (Robbie Robertson)
Encore:
God Only Knows (Brian Wilson)





