Alle reden von einem „Wunderkind“: Dabei ist Joey Alexander einfach nur ein richtig guter Jazzer

Joey Alexander FOTO: (c) Carol Friedman

Hören wir einfach mal auf, von einem „Wunderkind“ zu sprechen. Gehen wir doch ganz nüchtern an die Sache ran und hören uns das neue, das zweite Album, von Joey Alexander an. „Countdown“ soll am 16. September erscheinen.

Schon die ersten Akkorde auf seiner Eigenkomposition „City Lights“ machen Lust auf mehr. Joey Alexander ist ein Pianist, der mit Harmonien und Rhythmen zu spielen weiß. Auch wenn er Stücke von John Coltrane, von dem das Titelstück des Albums ist, Herbie Hancock („Maiden Voyage“) oder Wynton Marsalis („For Wee Folks“) interpretiert, dann tut er das auf eine sehr intelligente, spielerische Weise. Es ist, als würde der Pianist in die Grundform der Komposition vordringen und diese herausschälen. Und was er zusammen mit dem Saxophonisten Chris Potter aus dem Hancock-Stück macht, ist schlicht sensationell.

Wie gesagt, ich will die Bezeichnung „Wunderkind“ nicht überstrapazieren, aber es ist tatsächlich beispiellos, was dieser junge Mann da am Klavier macht. Das Album überzeugt auch so, ohne, dass man weiß, dass der Musiker noch blutjung ist. Vielleicht hat es mich sogar ein wenig vorsichtiger werden lassen, als ich die CD in den Player geschoben habe. Aber dann muss ich doch immer wieder nachschauen: Nein, es ist richtig Joey Alexander ist 13 Jahre alt!

Und es ist nicht die Fingerfertigkeit des Teenagers, sondern diese Reife und Klugheit, mit der er diesen Jazz angeht. Da ist nichts von einer reinen Reproduktion, sondern Joey, dieser wunderbare Musiker mit der schicken blauen Brille, der so ernsthaft am Klavier spielt und dem man die Liebe zum Jazz wirklich mit jedem Wort glaubt, hat den Jazz in sich aufgenommen.

Joey wächst in Indonesien auf, seine Eltern sind große Jazzfans, und da hat Joey sechs Jahren, als er ein Klavier geschenkt bekommt, nichts besseres vor, als ein Stück von Thelonious Monk auf dem Klavier transkribieren. Schon mit acht wurde Joey von der UNESCO eingeladen, dem durchreisenden Herbie Hancock ein Solo-Ständchen zu geben. Kürzlich stand er wieder vor seinem großen Idol: „Sie haben damals gesagt, dass Sie an mich glauben“, sagte er. „Und das war der Tag an dem ich beschloss, meine Kindheit dem Jazz zu widmen.“ Es klingt unglaublich, vielleicht sogar einstudiert. Aber es ist wie es ist.

Schon im Jahr darauf gewann der junge Pianist den ersten Preis beim Master-Jam Fest, einem Wettbewerb in der Ukraine mit 200 Teilnehmern aus 17 Ländern – ohne Altersbeschränkung. Er war eben zehn, da trat er auf Jazz-Festivals in Djakarta und Kopenhagen auf.

Eine Einladung von Wynton Marsalis führte 2014 zu seinem US-Debüt in der Rose Hall von Jazz at Lincoln Center, wo er das Publikum so sehr begeisterte, dass kurz darauf Einladungen der Jazz Foundation of America für ein Konzert im legendären Apollo Theatre in Harlem und im Arthur Ashe Learning Center in der Gotham Hall folgten. Überwältigt von der Reaktion und überzeugt vom außergewöhnlichen Talent ihres Sohnes, verkauften Joeys Eltern das Familienunternehmen in Djakarta und zogen um nach New York. Der Erfolg kam, allerdings nicht über Nacht. Konzertpromoter waren skeptisch, dass ein Elfjähriger genügend Tickets verkaufen und ein verwöhntes Jazz-Publikum begeistern könnte. Das Blatt wendete sich als George Wein ihn 2015 zum legendären Newport Jazz Festival einlud, wo Joey auch den letzten Zweifler überzeugte und mit seinem enormen Swing – oft ist da von einer „alten Seele im Jungskörper“ die Rede – zu standing Ovations brachte.

Sein 2015 erschienenes Debütalbum „My Favorite Things“ (Motéma/ Membran) bescherte Joey Alexander gleich zwei Grammy-Nominierungen – für das „Best Jazz Instrumental Album“ und „Best Improvised Solo“ für seine Version von John Coltranes „Giant Steps“. Und obwohl er keinen der beiden Preise gewann, sorgte er nicht nur als jüngster je in dieser Kategorie nominierter Musiker für Furore, sondern auch mit seinem Live-Auftritt bei der großen Gala dieser 58. Grammys. Seine energische Solo-Piano-Improvisation begeisterte die Stars im Publikum und sorgte für einen noch höheren Bekanntheitsgrad.

Wenn man sich die Filme und Beiträge auf Youtube über Joey anschaut, dann macht Joey immer noch den Eindruck eines bescheidenen und irgendwie normalen Jungen, der auch gerne Tennis und Computerspiele spielt, schwimmt und Filme sieht. Jetzt erscheint sein erwartetes zweites Album „Countdown“ (Motéma/ Membran), das eindrucksvoll seine Entwicklung als Musiker und Bandleader demonstriert.

Seine Entwicklung als Komponist schreibt Joey den zahlreichen Stunden zu, die er an seinem Instrument übt. „Manchmal, wenn ich übe oder einfach nur irgendetwas vor mich hin spiele, kommen mir neue melodische und rhythmische Ideen in den Sinn und ich merke, dass ich eigentlich gerade einen Song schreibe“, sagt Joey Alexander. „Ich glaube, dass es eng miteinander zusammenhängt, dass ich so komponiere, wie ich es tue, weil ich so viel Musik von Komponisten höre, die ich mag. Für mich ist es tatsächlich schwieriger, Stücke anderer Komponisten zu interpretieren als meine eigenen zu schreiben, denn ich muss ja bei anderen Stücken erst einen Weg finden, wie ich sie mir zu eigen machen kann.“ Wynton Marsalis sagt über Joey: „Es gab meines Wissens noch nie Jemanden, der in diesem Alter schon so spielen konnte. Ich mag alles an seinem Spiel – seinen Rhythmus, sein Selbstbewusstsein, sein Verständnis für die Musik.“