Absolute Kaufempfehlung: Mark Kelly‘s Marathon

Mark Kelly FOTO Mark Kelly

Die Stimme kennst du doch? Sie changiert zwischen Ray Wilson, Kim Beacon und Peter Gabriel. Die Musik könnte von Marillion sein. Oder ist das Mike and the Mechanics? Ein neues Solo-Album von Tony Banks? Insgesamt eine ganz tolle Produktion, bei der Wert auf gute Sounds gelegt wurde, zwischen anspruchsvollem Pop-Rock und leidenschaftlichem, melodiebetontem Prog-Rock. Es ist das neue Solo-Album von Marilllion-Keyboarder Mark Kelly.

Von Dylan Cem Akalin

Mark Kelly‘s Marathon sei sein erstes Solo-Projekt, schreibt der Musiker im Begleittext auf dem Cover der LP. Der 59-jährige Ire spielte schon seit Dekaden mit dem Gedanken, noch neben Marillion ein eigenes Projekt zu starten. Immerhin gehört Mark Kelly seit 1981 zu der Neo-Prog-Gruppe aus Aylesbury, zu der ihn der frühere Sänger Fish nach einem gemeinsamen Konzert geholt hatte. Mitte der 1990er sei er sogar an einen damals aufstrebenden jungen Musiker namens Steven Wilson herangetreten, erzählte er einmal. Als er von diesem jedoch keine Antwort erhielt, löste sich auch die Idee in Rauch auf.

Sein aktuelles Projekt erinnert nur vage an Marillion. Marillion-Gitarrist Steve Rothery tritt auch nur auf einem Stück auf. Sein einstiger DeeExpus-Bandkollege Henry Rogers ist am Schlagzeug, ansonsten sammelt Kelly größtenteils Neulinge um sich. Oliver M. Smith ist ein nahezu unbekannter Sänger mit viel Potenzial, Gitarrist John Cordy hat wohl Rothery auf YouTube entdeckt. Am Bass ist Marks Neffe Conal Kelly. Mark Kelly selbst konzentriert sich überwiegend aufs Komponieren und Arrangieren, seine inhaltlichen Ideen setzt Guy Vickers als Texter geschickt um. Vickers ist eigentlich Rechtsanwalt und Marillion-Fan. Was hervorsticht: Das Album wird keinesfalls dominiert von Keyboards. Kelly geht es tatsächlich um die Musik als Ganzes.

Und um die Umsetzung inhaltlicher Ideen, wie ausführlich im Covertext ausgeführt wird. Seite A bestimmt die Geschichte um Amelia Earhart, eine US-amerikanische Flugpionierin und Frauenrechtlerin, die wohl beim Versuch, 1937 als erster Mensch, den Äquator zu umfliegen, mit ihrem Navigator Fred Noonan irgendwo im Pazifik abstürzte.

Song über Amelia Earhart

Der Song steht im Mittelpunkt des Albums, in dem es weitestgehend um den freien Willen des Menschen geht, bei „Amelia“ also um das Streben nach fernen Zielen – und das mögliche Scheitern. Kelly legt ein Album vor, das mit Inhalten zum Nachdenken anregt. Es ist zwar kein Konzeptalbum im herkömmlichen Sinne, aber Themen wie Flucht, Trauer, Liebe, Bio-Wissenschaften und Science-Fiction vereinen sich unter einer großen Dachstruktur, unter der sie sich in großartigen Arrangements und Genres kreuzen.

„Amelia“ ist eine dreiteilige Songsuite, auf dem John Cordy mit einem hervorragenden Gitarrensolo Akzente setzt. „When I Fell“ ermöglicht Ollie Smith, den schönen Ton seiner Stimme nachhaltig einzusetzen. Der mit Hooks beladene Song „This Time“hätte das Zeug für eine Single-Auskopplung.

Tolle B-Seite mit „Puppets“ und „2051“

Dennoch: Mein Favorit ist die B-Seite des Albums, auch weil es deutlich progiger ist, mit vielen kleinen Genesis- und Marillion-Momenten in den Instrumentalpassagen. Auf „Puppets“ steht Steve Rotherys Gitarre wie ein strahlender Held auf der Spitze eines Achttausenders. „2051“ ist eine Hommage an die Science-Fiction-Literatur von Arthur C. Clark und Stanley Kubricks Umsetzung von „2001 – Odyssee im Weltraum“. Die vierteilige Suite zeigt, dass Kelly ein Progrock-Mann durch und durch ist, der auf dem fünfzehnminütigen epischen Track, filmische und Rock-Elemente raffiniert und mit einer schönen musikalischen Spannungsstruktur zu verschachteln weiß. Cordy hat hier an vielen Stellen einen breiten, dramatischen Sound, der bisweilen an jenen von Steve Hackett erinnert.

Die Stärken der Songs liegen auf diesem Album alle auf anderen Schwerpunkten, und man muss sich schon drauf einlassen, um die Magie zu entdecken, die sich zunächst nur zögerlich entfaltet. Es ist zu vermuten, dass Kelly die Abfolge der Songs mit viel Bedacht gewählt hat, und es ist sicherlich kein Zufall, dass er das Progrock-Highlight als Schlusssequenz gesetzt hat. Es ist kein Werk, das auf überraschende Innovationen setzt. Es ist ein Album, das Spaß macht und auch durchaus den Intellekt anspricht. Insgesamt: volle Kaufempfehlung.