Weihnachtstipps 2018 – Nummer 20: Neneh Cherry „Broken Politics“

Wir wollen Euch jeden Tag ein Adventstürchen öffnen, mit der Hoffnung, Euch die eine oder andere Eingebung zu geben, was ihr verschenken oder was ihr Euch selbst zum Geschenk machen könnt. Unter unseren Empfehlungen sind brandneue Veröffentlichungen, aber auch einige, die etwas zurückliegen, aber es wert sind, nochmal ins Gedächtnis geholt zu werden. Wir geben Tipps für Konzerte, Bücher, Platten – alles rund um Musik. Hinter unserem 20. Adventstürchen steckt:

Neneh Cherry
Broken Politics

VÖ: 19.10.2018
Label: Smalltown Supersound/ Roughtrade

Von Dylan Cem Akalin

Politischer Protest kann auch gut klingen. Neneh Cherry, die mittlerweile schwedische Staatsbürgerin ist und seit vier Jahren in England lebt, hat nach vier Jahren endlich wieder ein Werk vorgelegt, eine Zusammenarbeit mit ihrem Mann Cameron McVey und dem Produzenten Four Tet. Vor fast drei Jahrzehnten hatte Cherry mit „Buffalo Stance“, einem Diva-Dance- und Hip-Hop-Hybriden, einen echten Hit. Aber Cherry scheinen materielle Erfolge nicht so wichtig zu sein, wie ihre wirklich starke Poesie – und ihr politischer Ausdruck.

Auf „Broken Politics“ geht es um den Schmerz über die Ungerechtigkeiten in der Welt. Cherry singt über Themen wie Waffengewalt und die globale Flüchtlingskrise. Es ist eine Reflexion über eine furchtbare Erkenntnis, nämlich, dass Politik schon immer irgendwie eine verlorene Sache war.
Ihr Ausdruck bleibt dabei immer ruhig, geradezu besinnlich – mit einer Ausnahme: „Natural Skin Deep“ – einem aggressiven, elektronisch durchsetzten Stück mit einem wunderbaren Schlenker zum Jazz.
Beim Opener „“Fallen Leaves“ stellt Four Tet Soundscapes her, die Melodien erfühlen lassen, während Neneh anmutig Gewaltbilder mit sanften, emotionalen Passagen schafft. Und um die Erforschung dieser Dualität geht es im gesamten Album.

Neneh Cherry FOTO: Wolfgang Tillmans
Neneh Cherry FOTO: Wolfgang Tillmans

„Shot Gun Shack“

„Kong“ und „Shot Gun Shack“ stürmen mit enormer Kraft und Klarheit, wobei der letztere Song, sparsam instrumentiert, mit warmen Bässen und Beats und spielerischem Xylophon flattert. Auch bei „Synchronized Devotion“, aus dem der Titel des Albums stammt, herrscht eine melancholische, nachdenkliche Atmosphäre.

Cherry verwischt immer wieder mit Leichtigkeit die Grenzen zwischen den Genres und verschmelzt verschiedene Stile zu ihrem eigenen – ihr künstlerischer Ausdruck für das, wie sie die zunehmende Funktionsstörung unserer Welt insgesamt empfindet.

Eine persönliche Herzensangelegenheit

„Broken Politics“ ist eine persönliche Herzensangelegenheit, eine Sammlung von Liedern, in denen diese einzigartige Künstlerin Nuancen artikuliert, bei denen die Politik für viele beginnt: im täglichen Leben. „Ich bin da ja immer eher vorsichtig bei so großen Themen, weil das ganz schnell so rüberkommen kann, als ob ich mir anmaßen würde, eine Lösung des Problems zu haben – und wer, verdammt noch mal, hat schon derartige Lösungen?“, sagt Cherry.

Kampf gegen die Vernichtung des freien Willens

„Ich schreibe meine Songs am liebsten aus meiner eigenen Perspektive, und die Ära, in der wir gerade leben, in der dreht sich so vieles um die Frage, wie man seine eigene Stimme finden kann. So viele Menschen haben das Gefühl, nicht gehört zu werden, sie fühlen sich missverstanden und sind dementsprechend enttäuscht. Und was zur Hölle kann ich daran schon ändern? Vielleicht beginnt das Politische tatsächlich im eigenen Schlafzimmer, in den eigenen vier Wänden – als eine Form von Aktivismus, als ein Gefühl von Verantwortung. Dieses neue Album handelt von genau diesen Dingen: diesen Bruch zu fühlen, diese Enttäuschung und Trauer – aber es geht auch um Beharrlichkeit, ums Weitermachen. Es ist ein Kampf gegen die Vernichtung des freien Willens, des freien Denkens.“