Das Jazzfest Bonn ist fulminant gestartet. Noch bis zum 12. Mai 2018 werden weltbekannte Künstler und aufregende Neuentdeckungen zum neunten Mal in Doppelkonzerten in ausgewählten Räumen in der Bundesstadt zu erleben sein. Hier ist ein kleiner Überblick über die bisherigen Konzerte. (Hier das weitere Programm)
Von Mike H. Claan
und Lina Macke
Die erste Enttäuschung gab es schon beim Eröffnungskonzert des Bonner Jazzfests im ausverkauften kleinen gläsernen Konzertsaal des Post Towers: Das Trio Saskya musste auf ihre Saxofonistin Anna-Lena Schnabel wegen Erkrankung verzichten. Schade. Denn die junge Saxofonistin gilt derzeit als heißester Act in der deutschen Jazzszene – vor allem seit ihrem selbstbewussten Auftritt beim Echo-Jazz im vergangenen Jahr. Gott sei Dank konnten sie die Bonner Jazzfans kürzlich bei der Dottendorfer Jazznacht erleben.
Dennoch: Pianistin Clara Habercamp und Kontrabassistin Lisa Wulff konnten auf jeden Fall überzeugen. Schließlich ist Habercamp eine Pianistin mit eigenem, sehr weiten Ausdruck. Die Tochter zweier Saxofonisten, die auch eine ausgezeichnete Sängerin („Sleeping Cheese“) ist, ist eine Musikerin, die auch gerne Risiken eingeht. Sie hat keine Furcht, emotionale Stücke auszuleben, pflegt sowohl ihre lyrische wie wilde Seite und harmoniert dabei ganz vorzüglich mit Wulffs Techniken am Bass. Das machte ihren Auftritt mit Wulff so spannend.
Vor zwei Jahren brachte Nils Landgren mit „Some Other Time – A Tribute to Leonard Bernstein“ eine Hommage an den großen Komponisten raus. In Bonn bildeten Bernstein-Verarbeitungen einen besonderen Schwerpunkt. Mir gefällt die ruhige Art, die Nils Landgren mit seinem Quartet ausspielt. Das alles ist cool, gelassen und auf den Punkt. Keine Effekthascherei, keine Spielerei. Einfach nur Jazz. Natürlich gibt es kein Landgren-Konzert ohne flotte Nummer. Und bei der Zugabe „Same Old Story, Same Old Song“, einer Verbeugung vor dem New Orleans-Jazz, konnte einfach keiner im Publikum mehr sitzenbleiben.
Kollektivprojekt von Mastermind „Bluey“
Coolness, Cocktaildancing, lässige Funkgrooves – das zeichnet Incognito, das Kollektivprojekt von Mastermind Jean-Paul „Bluey“ Maunick aus. Wieder so ein Abend, an dem man sich fragt, warum die Organisatoren das Telekomforum bestuhlen müssen. Spätestens bei „Goodbye to Yesterday“ wollte eigentlich keiner mehr in den kühlen Sitzreihen verbleiben. Die Band kommt rhythmisch und dynamisch stets auf den Punkt, die Sänger Melonie Crosdale, Joy Rose und Moritz Bernhardt protzen nicht nur stimmlich mit Präsenz.
Das Konzert von Incognito, die im vergangenen Jahr in London ihr 35-jähriges Bestehen feierte, war ein wenig wie ein Déjà-vu: Dieser charakteristische Sound des britischen Funk-Soul der 80er Jahre, die Flows des Acid Jazz, den Bluey maßgeblich mitgeprägt hat, ließen sofort die musikalischen Erinnerungen wach werden.
Ed Motta zählt zu den wichtigsten zeitgenössischen Musiker vom Zuckerhut. Der Mann mit dem Gespür für Soul, Funk, Jazz und Bossa erinnert mit seiner butterweichen Stimme an Les McCann, Al Jarreau und George Benson, manchmal auch an Stevie Wonder. „Farmer’s Wife“ beginnt wie ein Song von Christopher Cross, wechselt dann aber in einen flotten ¾-Takt, der so auf Messers Schneide tänzelt, dass die Spannung durchweg aufrechterhalten bleibt. Merkwürdig, dass Ed Motta in Deutschland so wenig bekannt ist. Seine Musik geht auf so saloppe Art ab, dass sie niemanden unberührt lässt.
A Novel Of Anomaly ist ein weiteres verrücktes Musikprojekt von Hildegart kann fliegen-Chef Andreas Schaerer. Die Musik verbindet auf höchst skurrile Art Fusion, Balkan-Jazz sowie mediterrane und afrikanische Einflüsse. Luciano Biondini (Akkordeon), Kalle Kalima (Gitarre, Elektro) und Lucas Niggli (Schlagzeug, Perkussion) sorgen ja schon für ein ungewöhnliches Klangerlebnis – das Vokalkünstler Schaerer aber noch beliebig ausbaut. Mal klingt er wie eine klagende Trompete, wie ein in sich gekehrter Mönch, dann wie ein schmachtender Al Jarreau. Das Publikum in der Uniaula war hingerissen.
Nuanciertes Trompetenspiel
Der Bonner Trompeter Nils Wülker hat sich längst in die erste Reihe der deutschen Jazz-Szene gespielt. Ein Echo Jazz, zwei German Jazz Awards – Wülker (41) präsentiert mit Sänger Rob Summerfield vor allem Songs aus seinem aktuellen Album „On“, das stark von neuer Musik, vor allem von Hip-Hop-Rhythmen beeinflusst ist, auch wenn er immer sehr trancemäßig bleibt. Und Wülker ist einer von den Bandleadern, die seiner Truppe viel Platz zum Ausdruck lassen: Ob beim Call and Response mit Arne Jansen an der E-Gitarre, Maik Schott (Keyboards), Edward Maclean (Bass) oder Felix Lehrmann (Schlagzeug). Und Summerfields gefühlvoller Gesang fügte sich wahrlich harmonisch in Wülkers nuanciertes Trompetenspiel ein.
Gerade war er mit Dave Holland und Jack DeJohnette auf Tour, in der Bonner Uni spielt der britische Pianist Django Bates mit seinem Trio Belovèd: mit Petter Eldh am Bass und Peter Bruun an den Drums. Alle drei Musiker sind höchst eigenständige Spieler, die die Konventionen des Jazz-Piano-Trios subtil herausfordern. Die Gruppe kam vor einem Jahrzehnt zusammen, als Bates am Kopenhagener Konservatorium für Rhythmische Musik unterrichtete.
Django Bates, so scheint’s, spielt sich mit dem Alter immer freier. Das Belovèd-Trio hatte er ursprünglich gegründet, um Charlie Parkers Musik zu huldigen. Auf seinem letzten Album hat er sich, bis auf das sehr boppige „Passport“ als einzigen Parker-Song, komplett auf seine Rolle als Leader konzentriert. Oftmals ungewöhnlich zärtlich und meditativ von Bates angelegt, erleben die Stücke aber in Folge der Session ein totales Eigenleben.
Vieles zu entdecken
Und so war es auch in der Bonner Uni. Er komponiere die Stücke schon sehr akkurat und habe eine feste Vorstellung, wie sie klingen sollten, sagte er einmal. Aber seine zwei Mitstreiter machten einfach, was sie wollten – und das ist wohl auch das Geheimnis dieses ungewöhnlichen Trios, dass das engmaschige Zusammenspiel der Drei merkwürdigerweise immer noch Platz für spontane Ideen schafft. Und für das Publikum gibt es dabei vieles zu entdecken: Mixed-Tempo-Tänze voller Dialoge zwischen Bass und Schlagzeug, Bill Evans-ähnliche Pianopassagen voller Anmut und erschütternde Störungen.
Ulita Knaus haben wir schon vor drei Jahren beim Jazzfest Bonn gehört. Ihr Stil ist, so schien es, etwas herber, spröder im Ausdruck geworden, nicht ganz so lieblich wie noch damals im Post Tower. Vielseitig ist sie nach wie vor: Fusion, Pop, Funk, Latin, Blues – die Knaus bedient sich aus allen möglichen Stilen. Tino Derado (Piano), Tupac Mantilla (Drums, Percussion) und Achim Rafain (E-Bass) sorgen für magische Momente, während Knaus immer mehr in Richtung Joni Mitchell zu gehen scheint. Ein toller Abend.