Brad Mehldau Trio: Seymour Reads the Constitution!
VÖ: 18. Mai 2018
Label: Nonesuch (Warner)
Von Dylan Cem Akalin
Brad Mehldau hatte einen seltsamen Traum, in dem der verstorbene Schauspieler Philip Seymour Hoffman vorkam. Hoffman stand in einem Raum mit ihm, und der Schauspieler las die amerikanische Verfassung. Natürlich wurde der Traum von einer Melodie begleitet. Mehldau ist schließlich Musiker. „Ich bin aufgewacht und habe die Melodie aufgeschrieben, so wie es schon bei einigen anderen Gelegenheiten passiert ist. Ich träume etwas Musikalisches und versuche dann, es sofort zu fassen“, erzählt Mehldau in einem Interview. „Nicht einmal eine Woche später ist er gestorben. Ich war traurig wie viele Menschen. Ich war ein großer Fan. Vor allem war ich auch erschrocken, weil ich gerade von ihm geträumt hatte. Es schien wie eine Nachricht aus der Zukunft, ein Vorzeichen.“ Das ist jetzt gut vier Jahre her. Am 18. Mai 2018 erscheint das neue Album des Brad Mehldau Trios mit dem merkwürdigen Titel „Seymour Reads the Constitution!“
Das Album, das Mehldau wieder mit seinem langjährigen Trio mit Drummer Jeff Ballard und Bassist Larry Grenadier aufgenommen hat, beinhaltet neben drei eigenen Kompositionen Interpretationen von Popsongs (Paul McCartney, Brian Wilson), Jazzmelodien (Elmo Hope, Sam Rivers) und Frederick Loewes „Almost Like Being in Love“ aus dem Great American Songbook.
Wunderschöne und komplexe Soli
Den Opener „Spiral“ hatte Mehldau bei seinem Konzert in Bonn vor einem Jahr vorgestellt. Ein leichtfüßiger Song, bei dem sich die Melodie aus den ausgedehnten Arpeggios herausschält. Während diese weiterhin den Boden für den Song bilden, lässt sich Mehldau improvisierend treiben. Ballard und Grenadier begleiten ihn dabei gewohnt traumwandlerisch. Ehe man sich’s versieht, nimmt das Werk eine neue Wende, wird bodenständiger im Pianoteil, das Schlagzeug wirbelt elegant wie ein Tänzer auf spitzen Zehen. Eines von Mehldaus Markenzeichen ist ja seine Fähigkeit, das, was er macht, mit seiner linken Hand von seiner rechten Hand zu trennen, mit Ostinati zu spielen und wunderschöne und komplexe Soli zu improvisieren.
Das Titelstück drückt eine untrügliche Melancholie aus. Die scheinbare Einfachheit im melodiösen Spiel ist Programm. Wie der Bass schon recht früh die Zügel solistisch in die Hand nimmt, das Piano nur Akkorde tupft und sich die beiden dann zunächst umarmend wider lösen, ist so organisch, dass es das Herz berührt. Dann erst beginnt Mehldaus Improvisationsteil. Hier wird deutlich, warum er und Keith Jarrett immer wieder so gerne verglichen werden. Es ist diese flexible rhythmische Annäherung der beiden in ihrem freien Spiel, die motivische Verkettung der Melodien und Ideenteile und natürlich auch diese klare Klangfarbe in ihrem Pianissimo. Was für ein wunderschönes, prunkloses Meisterstück.
„Almost Like Being In Love“
Den Loewe-Song „Almost Like Being In Love“ hatte Frank Sinatra in dieser wunderbaren schmissigen, freudesprühenden und doch romantischen Manier gesungen. Mehldau startet zwar auch mit einer Fread-Astaire-tänzerischen Manier, lässt seine Rhythmustruppe dann aber losjagen, um sich selbst auch eher in ein verschachteltes Spiel zu begeben. Durch seine atemberaubenden Fingerläufe lässt er das Thema des Standards immer nur wie gebrochenes Glas durchglänzen.
„De-Dah“ belässt Mehldau auf sehr hohem Wiedererkennungsniveau. Das Elmo Hope Trio – Elmo Hope (Piano), Paul Chambers (Bass), Philly Joe Jones (Drums) – hatte damals vielleicht zunächst mehr Tempo drauf. Das Brad Mehldau Trio spielt die charakteristischen rhythmischen Eigenschaften des Songs sehr feinfühlig aus, nicht nur im Zusammenspiel, sondern auch im Solo. Der Song ist eine Verneigung vor den Helden des Bebop.
Ein „anmutiges Kraftpaket“
So wie „Friends“ eine vor den Beach Boys ist. Es ist ja eine eher weniger verbreitete Melodie Kalifornier. Brian Wilson hatte im Original schon diese Gegensätze von Nähe und Entfremdung, von Einsamkeit und Freundschaft zum Klingen gebracht. Und so klingt auch Mehldaus Interpretation wie zurückhaltender Enthusiasmus, wie traurige Freude.
„Ten Tune“ gibt Aspekte seines Sounds frei, die eine klassisch-ähnliche Note mit entfernten Latingefühlen eine Verbindung eingeht und sich ein flexibles, entspanntes Zeitgefühl breitmacht. Seine Vorliebe für ungerade Metren ist in seiner Interpretation von Standards oder Popnummern immer wieder hörbar. Mehldau nutzt sein weites harmonisches und melodisches Vokabular, um das Bebop-Idiom für die Neuzeit zu erweitern. Und so arbeitet sich das Trio auch durch den Paul McCartney-Song „Great Day“, ein Song, in dem Mehldau endlich seiner vielleicht allzu oft verborgenen Heiterkeit etwas mehr freien Lauf gewährt. Zum Schluss gibt das Trio etwas von der natürlichen Schönheit von „Beatrice“, die Ode, die Sam Rivers mal für seine Frau geschrieben hat, frei. Ein „anmutiges Kraftpaket“ hat die New York Times Mehldau mal bezeichnet. Wie treffend!