Am 17. Mai 2017 nahm sich Chris Cornell das Leben – nach einem Konzert in Detroit. Ein persönlicher Nachruf
Von Christian Hartmann
Nothing, seems to kill me/ No matter how hard I try /Nothing’s closing my eyes (Nichts scheint mich zu töten, egal wie sehr ich es versuche, nichts schließt mir die Augen) So textete Chris Cornell 1997 in seinem wunderschönen Song „Blow up the outside world“. Und der Zyniker in mir ist geneigt, ihm zu gratulieren, dass es ihm nun doch gelungen ist. Aber natürlich bleibt diese Gratulation im Halse stecken und wird hinweggefegt von der Wut, dass dieser Mann, der doch scheinbar alles hatte, (körperliche) Gesundheit, Familie, beruflichen und künstlerischen Erfolg bei gleichzeitiger vollkommener künstlerischer Integrität und Freiheit. Wie konnte er also, und wie konnte Kurt Cobain 1994, uns einfach so im Stich lassen und uns die wunderbare Musik, die zu komponieren sie noch im Stande gewesen wären einfach vorenthalten?
Natürlich ist das mehr als egoistisch gedacht, denn wie können wir erwarten, dass ein Mann, der über Jahrzehnte hinweg völlig authentisch Wut, Trauer, Melancholie, Wahnsinn und Rebellion für uns perfekt vertont hat, tatsächlich nur unsere Gefühle umgesetzt hat? Nein, natürlich wäre dieses musikalische Schaffen undenkbar, wenn nicht offenbar auch sein eigenes Leben voll dieser Emotionen gewesen wäre, die einen schonmal in den Abgrund schauen (und manchen eben auch springen) lassen.
Die damals Anfang der 90er Jahre jungen Männer des Grunge, der in so vielen unterschiedlichen Ausprägungen und Bands daherkam, von denen Soundgarden die lautesten, wütendsten und musikalisch sperrigsten Vertreter waren, sie erlaubten es jemandem wie mir, der ich weder Grund noch wirklich Veranlagung zu aktiver Rebellion vorweisen konnte, meinem inneren Streben nach Rebellion, allein durch das Hören ihrer Musik Ausdruck zu verleihen.
Wie viele meiner Altersgenossen, im Grunde ein braver Student der Elektrotechnik, ließ ich mir die Haare wachsen, trug zerrissene Jeans, hörte Musik aus Seattle und fühlte mich allein dadurch unglaublich gefährlich und rebellisch. Meine Liebe zu Soundgarden war unter den Grunge-Bands für mich damals die am härtesten erarbeitete, weil mir das seinerzeit aktuelle Soundgarden-Album Bad Motorfinger eigentlich zu metal-lastig war. Dennoch zog es mich immer wieder zu dem Album hin, das mir bei jedem Hördurchgang besser gefiel. Vielleicht genau dadurch wurden mir Soundgarden bald die liebsten Grunger.
Superunknown, das nachfolgende Soundgarden-Album dagegen, brauchte ich mir nicht zu erarbeiten, es ging mir tatsächlich direkt in Bauch und Herz, besonders die emotionalen, melancholischen Songs, wie „Black Hole Sun“, „Fell on Black Days“, „The Day I Tried To Live“ oder „4th of July“ zogen mich sofort in ihren Bann.
Und schnell fiel mir auf, dass all diese Songs nicht nur lyrisch, sondern auch musikalisch aus Chris Cornells Feder stammten. Dass das keineswegs Zufall war, stellte sich spätestens mit dem nachfolgenden Album Down On The Upside heraus, denn auch hier stammten natürlich alle meine Favoriten wieder von Chris Cornell: „Pretty Noose“, „Blow Up The Outside World“, „Burden in My Hand“, „Boot Camp“.
Dieses unglaubliche Talent, die ungewöhnliche, scheinbar schräge bis disharmonische Akkordfolgen (Stichwort: Halbtonschritte) in bittersüße, düstere, aber wunderschöne Melodien zu verwandeln, besaß neben Cornell in ähnlicher Weise allenfalls noch Jerry Cantrell von Alice in Chains, einer weiteren Grunge-Legende, die ebenfalls auf tragische Weise ihren Frontmann verloren hat.
Es könnte und müsste hier noch viel geschrieben werden über Chris Cornells musikalisches Schaffen mit Soundgarden, mit dem leider nur kurzlebigen, von ihm gegründeten Grunge-Projekt Temple of the Dog, im Rahmen seiner Solo-Karriere und natürlich mit Audioslave. Aber lieber möchte ich zum Abschluss noch einmal darauf zurückkommen, dass wir alle unsere dunklen Abgründe und Dämonen mit uns herumschleppen, die aber anderen nicht ersichtlich oder gar nachvollziehbar sein können.
Ganz ähnlich übrigens äußerte sich James Hetfield in einem kürzlich geführten Interview zu Cornells Tod. Und so ist es sicher kein Zufall, dass Metallica während ihrer Show am Tag nach Cornells Tod ihm ausgerechnet „Fade to Black“ widmeten, einen Song, der seinerseits eine Person in auswegloser Situation samt Selbstmordphantasie beschreibt. Wie wunderschön, dass es zumindest James Hetfield seinerzeit gelang, seine eigene Selbstmordphantasie nicht etwa Realität werden zu lassen, sondern sie in zeitlose, emotionale Musik zu verwandeln. Es ist einfach nur traurig, dass Chris Cornell dieses mal nicht ähnliches gelungen ist. Doch was uns bleibt, ist seine wundervolle Musik.