Neue CDs von Miles Davis, Kurt Elling, Terence Blanchard, Cæcilie Norby und Greg Osby

MILES DAVIS: LIVE AT THE FILLMORE EAST

(March 7, 1970) (Sony Classics)

Miles 19707.März 1970 im Rocktempel Fillmore East, New York. Das Publikum wartet auf die Steve Miller Band und Neil Young. Doch den Abend eröffnet Miles Davis mit seinem Sextett. Erst einen Monat später sollte der bahnbrechende Meilenstein „Bitches Brew“ erscheinen. Doch Miles und seine Truppe sind schon völlig von dem neuen Stil, der später „Fusion“ genannt werden soll, beseelt. Die Gruppe besteht aus Wayne Shorter (soprano and tenor sax), Chick Corea (electric piano), Dave Holland (electric and acoustic bass), Jack DeJohnette (drums) und Airto Moreira (percussion), und sie haben sich schon viel tiefer hineingewagt in diese avangardistische, teilweise sehr abstrakte Ausdrucksform. Das Publikum ist irritiert. Ist das nun Jazz oder ist das irgendein wilder Rock? Sony hat nun mehr als 30 Jahre nach der Ausnahme endlich dieses wichtige musikalische Dokument auf einer Doppel-CD herausgebracht. Am Ende der CD ist verhaltenes Klatschen zu hören, drei, vier Rufe nach einer Zugabe von Leuten, die die Bedeutung der Musik offensichtlich erkannt haben. Was das Publikum von Miles kante, waren die eher melancholischen Töne auf „In a Silent Way“, jetzt klingt Miles´ Ton   aggressiver, rauher und lauter, die swingenden Synkopen sind ekstatischen Funk-Rock-Rhythmen gewichen. Shorter spielt ähnlich frei Soli wie bei den früheren akustischen Dingen, voller Bogenphrasierungen und unruhige Harmonien, und Corea klingt eher wie der experimentierfreudige Pianist bei einem Free Jazz-Konzert Anthony Braxtons.Von „Return To Forever“ keine Spur, und Miles? Er ist die Klammer, der die wilde Truppe zusammenhält. Eine CD voller spiritueller Momente und kreativem Feuer.

 

KURT ELLING: FLIRTING WITH TWILIGHT (Blue Note/EMI)

Kurt Elling FlirtingEr haucht und schnurrt die Texte seiner Songs, formt die Worte, dass sie schwingen wie die Töne eines Instruments. Kurt Elling gehört derzeit zu den faszinierendsten Sängern der Jazzszene. Der Bariton intoniert so präzis, stimmhandwerklich derart perfekt, und das auch noch mit einer Lässigkeit, dass es geradezu erschreckend ist. Und das übrigens auch live. Wie Elling mit der Dynamik und den Klangschattierungen seiner Stimme spielt, macht jeden Song zu einem geradezu spannenden Erlebnis. Und dabei verzichtet er völlig auf ornamentale Spielereien, Scat kommt bei ihm nicht in Frage. Wie Elling die Melodien führt, verändert, wie er phrasiert und Texte von „Easy Living“, „I Get Along Without You Very Well“ oder „Blame It On My Youth“ interpretiert, ist einzigartig. Schon der Opener, seine neu getextete Version von Glenn Millers „Moonlight Serenade“ ist beeindruckend, ja: einfach wunderschön.

 

TERENCE BLANCHARD: LET´S GET LOST (Sony Classical

Terence Blanchard lost„Let’s Get Lost“ ist eine Hommage an den Komponisten Jimmy McHugh. Damit ist eine CD voller eingängiger Meldodien schon garantiert. Terence Blanchard trifft damit sicherlich den mainstream-Geschmack. Um das Konzept perfekt zu machen, holte er sich noch die vier derzeit angesagtesten Frauenstimmen des Jazz in Studio Diana Krall, Jane Monheit, Dianne Reeves und Cassandra Wilson den Hörer. Diana Krall eröffnet den reigen mit Titelstück „Let’s Get Lost“. Mit stimmlicher und pianistischer Raffinesse interpretiert sie das Stück auf ihre lässige Jazz-Club-Art. So kommt Jane Monheits „Too Young To Go Steady“ danach geradezu unschuldig rüber. Die Sängerinnen bleiben ihren Stilen treu, ob Dianne Reeves oder selbst Cassandra Wilson, die ihre düstere Umgebung pflegt und „Don’t Blame Me For Falling In Love With You“. Dazu tänzelt Terence Blanchard mit seinem warmen Ton und brilliert in den elf Titeln, darunter vier Instrumentals, mit exzellenten Soli.

 

Cæcilie Norby: Queen Of Bad Excuses (Blue Note/EMI

Cæcilie Norby Queen Of Bad ExcusesAusgerechnet die dänische Sänger Cæcilie Norby wagt es, ein komplettes Album mit ausschließlich eigenen Kompositionen aufzunehmen, während ihre amerikanischen Kolleginnen sich lieber auf Neuinterpretationen verlassen. Die 34-Jährige scheint Sängerinnen/Komponistinnen wie Nancy Wilson, in den Sechzigern sowohl im Pop wie im Jazz erfolgreich, und Joni Mitchell zum Vorbild zu haben. Letztere erinnert vor allem wegen ihrer lyrischen Sensibilität an sie und wie geschickt sie in einigen Stücken Pop-Elemente verknüpft. Bei all ihrer lässigen Laszivität, ihrem leidenschaftlichen Vortrag lässt sich ihre klassische Stimmschulung nicht verbergen, ebenso wenig die skandinavische Kühlheit, die sich über die ansonsten sehr amerikanisch geprägten Kompositionen legt. Bemerkenswert ist die zurückhaltende Gitarre John Scofields, der sich sehr à la Wes Montgomery gibt.

 

GREG OSBY SYMBOLS OF LIGHT (A Solution) (Blue Note/EMI)

GREG OSBY SYMBOLS OF LIGHTDer Saxophonist Greg Osby ist beileibe nicht der erste Jazzer, der sich eines klassischen Streichquartetts bedient. Aber er widersteht der Versuchung, sich von ihnen nur einen versüßenden Hintergrund liefern zu lassen. Das wäre denn auch nicht Greg Osby gewesen. Man hat selten ein klassisches und ein jazzendes Quartett so gleichberechtigt spielen hören wie auf dieser CD. Alle Beteiligten beeindrucken mit ausgesprochen brilliantem Spiel, vor allem der Pianist Jason. Er hat gehörigen Anteil daran, dass es Osby gelingt, mit den elf Stücken verschiedene Klangbilder zu erzeugen, die „Symbols of Light“ zu einer der interessantesten Jazz-CDs des Jahres macht. Dabei erfahren einige von Osbys musikalischen Vorbildern, wie Andrew Hill, Muhal Richard Abrams und Eric Dolphy, Huldigungen aus ungewohnten Perspektiven.

(Cem Akalin)