„An Evening with Amanda Palmer“ war der Veranstaltungstitel – und eine gnadenlose Untertreibung. In dreieinhalb Stunden zeigt die Ausnahmekünstlerin, wie wichtig Unabhängigkeit ist – und dass das Rockstarleben auch mit Baby funktioniert.
Von Freda Ressel
Freudiger Jubel und Applaus hallt durch die Kölner Kantine. Dann verstummt er wieder, und braust drei Sekunden später wieder auf. Grund ist der kleine Anthony, der gemeinsame Sohn von Amanda Palmer und Schriftsteller Neil Gaiman, der hinter dem Bühnenvorhang mit dem Publikum „Kuckuck“ spielt. Die meisten Fans kennen sein Gesicht seit dem Tag seiner Geburt, Palmers wichtigstes Kommunikationsinstrument mit ihren Fans war und ist das Internet, hier gewährt sie auch gerne Einblicke in ihr Leben. Anthony ist heute das unverhoffte Äquivalent einer Vorband, ansonsten wird seine Mutter den Abend in Eigenregie übernehmen.
Der Beginn des Konzertes ist so unkonventionell wie Amanda Palmer selbst: völlig unvermittelt steht sie mit ihrer Ukulele auf einer der beiden Theken der Kantine und singt unverstärkt und in tadellosem deutsch (sie studierte Germanistik und lebte eine zeitlang in Köln) den Heintje-Klassiker „Ich bau dir ein Schloss“, direkt gefolgt von ihrer legendären Version von Radioheads „Creep“, welches so laut mitgesungen wird, dass man sie selbst kaum noch hört. Danach bahnt sie sich den Weg durch das Publikum, um auf die Bühne zum Flügel zu gelangen, der für die nächsten Stunden ihr Hauptinstrument sein wird.
Nach einem bejubelten Song ihrer Band The Dresden Dolls (deren Tour und neues Album sie im Laufe des Konzertes ankündigt) nimmt sie Wünsche vom Publikum auf und kombiniert diese mit der von ihr geplanten Setlist. Zu jedem Song erzählt sie eine Geschichte, gibt sehr persönliche Details preis, und kommt immer wieder auf elementare Themen in ihrem Leben zurück, wie den Tod ihres besten Freundes Anthony, der sie im letzten Jahr schwer traf, der Geburt ihres Sohnes, den sie nach ihm benannte, den Mühen, sich selber zu beweisen, dass ein Baby eine Künstlerin nicht vom Songwriting abhält.
Und vor allem der Freiheit, die es mit sich bringt, durch Crowdfunding ohne Industrie im Rücken kreativ sein zu dürfen. Palmer wird über die Plattform Patreon von ihren Fans unterstützt, aktuell stehen ihr pro Projekt 34.500 Dollar von fast 8000 Unterstützern zur Verfügung.
Auf diese Art und Weise kann sie ihre Kunst jedem Fan frei zugänglich machen – die Unterstützer bekommen zusätzliche Boni und stehen in engem Kontakt mit ihr, um Feedback zu geben. Dadurch kann sie zum Beispiel zehn Minuten lange Songs über ihre Erfahrungen als Mutter aufnehmen, ein deutschsprachiges Coveralbum planen, oder auch eine wunderbare EP mit David Bowie-Covern in Streicherarrangement aufnehmen – Projekte, von denen Plattenfirmen vermutlich eher abraten würden.
Die Fans danken es ihr mit einer überbordenden Liebe, die auch beim Konzert fühlbar wird. Nicht selten sieht man Menschen mit Tränen im Gesicht, wenn sie die tragischeren Songs spielt, wie das hochemotionale „The Bed Song“, und ebenso oft scheint sie selbst den Tränen nah zu sein. Genau das macht die Faszination von Amanda Palmer aus: Sie ist in der Lage, sich in der Musik völlig fallenzulassen, ohne Scheu davor, die Coolness zu verlieren. Das gilt auch für die lustigeren Stücke im Repertoire, wie dem „Vegemite Song“, den sie über Neil Gaimans unverständliche Liebe zum australischen Brotaufstrich schrieb.
Palmer reagiert spontan auf neue Gegebenheiten, wie die elektrische Ukulele in Les Paul-Optik, die ihr ein Fotograf im Vorfeld für den Abend zur Verfügung stellte, und auf der sie ein Cover von The Clashs „Should I stay or should I go“ (mit Moshpit und Crowdsurfing) spielt. Für das deutsche Publikum hat sie außerdem die Brecht/Weill-Komposition „Nanna’s Lied“ ausgewählt.
Für zwei Stücke kommt ihre Tourmanagerin Whitney Moses zur hervorragenden gesanglichen Unterstützung auf die Bühne. Vor allem die von beiden gesungene Version des Beatles-Songs „Paperback Writer“ ist außergewöhnlich und wunderschön.
Die vom Publikum gewünschten Songs spielt sie ausnahmslos und stellt dafür ihre eigene Setlistplanung zurück, um niemanden zu enttäuschen. Nur der drohende Curfew zwingt sie, nach „The Ukulele Anthem“, ihrer Liebeserklärung an den hawaiianischen Viersaiter, die sie im nun sitzenden Publikum spielt, nach dreieinhalb Stunden um Mitternacht von der Bühne zu verschwinden – nur, um (natürlich nachdem gecheckt ist, dass mit dem Baby alles in Ordnung ist) schnell zurück zu kommen und noch Autogramme für alle zu geben.
In ihrem Buch „The Art of Asking“ hat Palmer ausführlich ihre Lebensphilosophie erklärt, bei der es viel um mitfühlendes Geben und Nehmen geht. Der heutige Abend kann exemplarisch als Beispiel gesehen werden, dass ihr Konzept aufgeht: Palmer erfährt die Unterstützung durch ihre Fans, und gibt dafür auf der Bühne deutlich mehr, als man es von einem Künstler normalerweise erwartet. Wer an diesem Abend nicht glücklich nach Hause geht, dem ist nicht zu helfen.