Wenn Bob Dylan auf die Bühne tritt, weiß man, dass es kein Nostalgie-Abend wird. In der düsteren Atmosphäre der Lanxess-Arena inszeniert sich der 84-Jährige als Chronist seiner eigenen Mythen – mit einer Setlist, die längst den Charakter eines literarischen Zyklus hat. Ein Abend zwischen Licht und Schatten, Poesie und Blues.
Von Dylan C. Akalin
Wenn Bob Dylan auf die Bühne tritt, weiß man mittlerweile, dass es kein Nostalgie-Abend wird, kein Griff zurück in die Zeit seiner Jünglingsrebellion, keine späte Werkschau, kein Best-of-Konzert eines alternden Rock- und Folk-Stars, wie man es von so vielen kennt. Und dass Dylan keine Smartphones, früher Kameras, im Publikum duldet, ist auch schon seit 25 Jahren so. Insofern ist an diesem Montagabend in der Lanxess-Arena also wieder alles wie gewohnt.
Dennoch: Eine so große Halle, bestuhlt für gut 10.000 Gäste, ohne Leinwand, die Bühne so spärlich beleuchtet wie bei einer existenziellen Theateraufführung in einem Off-Broadway-Theater, geradezu finster, ist eine Zumutung für die Fans. Gut, dann konzentriert man sich eben auf die Musik…
Live-Inszenierungen im Dunkeln
Leider ist Bob Dylan mit dieser Art der Live-Inszenierung ja längst nicht alleine. Ich denke an die vielen Miles-Davis-Konzerte, bei denen der Startrompeter sich in der dunklen hinteren Bühne herumdrückte – und dann noch durchgängig mit dem Rücken zum Publikum. Oder Peter Gabriels letzte Tour, bei der zu Beginn des Konzerts gerademal die ersten zwei Reihen etwas von der Lagerfeuer-Atmosphäre hatten, die anderen in der Halle starrten ins Schwarz. Und ich könnte noch jede Menge anderer Bands aus der Metal- und Progrockszene nennen, die mehr im Dunkeln spielen, als dass sie sich gut beleuchtet den Fans präsentieren. Bob Dylan ist damit also bei weitem nicht alleine. Sehr schade für Fans, die ihre Helden doch gerne bei ihren Aufführungen sehen.
Die Setlist ist bis auf das Eröffnungsstück identisch mit jener vom Vorjahr in Europa. Nach wie vor steht sein wunderschönes Album „Rough and Rowdy Ways“, und es ist wieder einmal erstaunlich, wie anders die Songs an diesem Abend herüberkommen. Und die älteren Nummern wirken wie eine poetischen Rückschau auf ein Leben im Rhythmus eines ewig Wandernden, eines Mannes, der bei aller Selbstreflexion auch Zweifel zulässt. Ja, es mag auch Teil einer Selbsterschaffung sein. Die nahezu unveränderte Setlist seiner Europa-Tour zeigt auch, wie ein geschlossenes Werk funktionieren kann. Zudem ist es ein weiteres Zeichen, dass Stillstand für Dylan nie eine Option war.
Schattenfiguren und der Meister
Die Musiker wirken auf der Bühne wie Schattenfiguren in einem Halbdunkel aus Gold und Grau. Sie sind alle dem Meister zugewandt, Dylan steht hinter dem Piano, in sich gekehrt, seine Stimme ist brüchig, rau, aber unmissverständlich präsent. Der Sound ist geradezu klar und kraftvoll. Mit ihm spielt eine Band, die in ihrer Geschlossenheit und Sensibilität das Fundament dieses Abends bildet: Bob Britt an der Gitarre mit trockenen, präzisen Licks, Doug Lancio an der zweiten Gitarre, der die erdige Struktur vieler Songs trägt, Tony Garnier, seit Jahrzehnten Dylans treuester Wegbegleiter, am Bass, und seit Anfang des Jahres Anton Fig am Schlagzeug mit einem subtilen, bisweilen sehr countrylastigem Swing.
Die Instrumentalparts sind deutlicher in diesem Jahr, und die Band beginnt mit langem, sehr beschwingtem Intro zu „I’ll Be Your Baby Tonight“, übrigens auf die Minute pünktlich um 20 Uhr. Der Song bekommt an diesem Abend etwas von einem Country-Folk, sehr tanzbar. Die Nummer wirkt fast zärtlich – als wolle Dylan das Publikum kurz in Sicherheit wiegen, bevor er sich wieder in die Tiefen seines Spätwerks begibt.
Kein Wort an die Fans
Letztes Jahr standen eine ganze Reihe von jungen Leuten in den Zwischengängen der Mitsubishi Electric Hall in Düsseldorf und tanzten ausgelassen. Das mag auch zu seiner guten Laune beigetragen haben, dieses Jahr bleibt das Publikum eher bedächtig. Dylan richtet kein einziges Wort an die Fans. Wie so häufig.
„It Ain’t Me, Babe“ – zwischen Gesang und Sprechgesang, dazu ein mit kräftigen Akkorden gehacktes kurzes Pianosolo. Da klingt kein jugendlicher Trotz mehr, sondern Altersweisheit. Der Ton ist nicht scharf, sondern mild – die Erkenntnis eines Mannes, der gelernt hat, loszulassen.
„I Contain Multitudes“ bleibt erstaunlich nah am Original mit wunderschönen Gitarreneinschüben zum Gesang. Es ist ein innerer Monolog, die poetische Selbstbeschreibung eines Menschen, der sich nicht festlegen lässt. Dylan singt: “I’m a man of contradictions, I’m a man of many moods“ – und genau das ist dieser Abend: ein Wechselspiel aus Dunkelheit und Licht, aus Reflexion und sicherlich auch Ironie.
Ein Tänzchen gibt es diesmal nicht
„False Prophet“ bleibt hart am Rock ‚n‘ Roll, aber etwas zurückhaltender, in der Bridge gibt es ein paar kurze Breaks und ein Gitarrensolo. „When I Paint My Masterpiece“ hat wieder diese Harmoniefolge und den Rhythmus von „Puttin‘ On The Ritz“, die Stimme überschlägt sich fast wie bei einem Latin Lover, seine Harmonika klingt wie bei einem Morricone-Soundtrack – aber ein Tänzchen, wie letztes Jahr, gibt es diesmal nicht.
Der düstere Kern des Abends
„Black Rider“ präsentiert die Band gar nicht so düster wie sonst, die Nummer hat dennoch eine gewisse Melancholie, jene, die wir vom letzten Abend einer Italienreise kennen, wenn die Kellner schon die Stühle an den leeren Tischen um uns herum zurechtrücken, die Band ihren Rausschmeißer spielt und der Gitarrist trotzig die Saiten knallen lässt. Dylans Gesang ist hier geradezu schmachtend. Dabei bilden doch „False Prophet“, „Black Rider“ und das darauffolgende Stück „My Own Version of You“ den düsteren Kern des Abends. Blues, Bibel, Totentanz – Dylan als Chronist der menschlichen Schatten. In „My Own Version of You“ erschafft er sich selbst aus Bruchstücken, aus Körperteilen seiner Helden, aus Mythen – eine Frankenstein-Metapher auf die Kunst, auf das ewige Selbst-Erfinden. Die Nummer präsentiert er aber eher als Ansage, als Statement, als Rezitation, die Band hält sich zurück, man hört nur die Drums schleifen, das Piano.
Einem diffusen Übergang folgt ein rhythmisches Suchen, bis sich der Song herausschält: „To Be Alone With You“. Ursprünglich ein beschwingter Country-Song – wird zu einer sanften Liebeserklärung, schwebend zwischen Erinnerung und Ironie.
Schwer und majestätisch
Die Drums knallen bei „Crossing the Rubicon“, der Song baut sich um ein Bluesschema auf, eine biblische Selbstprüfung, schwer und majestätisch. Dylan singt, als wisse er, dass es kein Zurück mehr gibt.
Das Piano bei „Desolation Row“ klingt bisweilen ziemlich dissonant, die Mundharmonika am Ende bildet eine grandiose Steigerung der Nummer. Diese Song ist sein literarischer Monolith, in dieser späten Version mehr gesprochen als gesungen, ein Blick in den Abgrund der eigenen Schöpfung. Vielleicht ist es das Herzstück des Abends: ein erzählerisches Epos – halb Rezitation, halb Jazz-Blues. Es klingt, als erzähle Dylan die Geschichte der Welt, in der er selbst nur ein weiterer Wanderer ist.
Zwischen Traum und Transzendenz
Dann die große Ruhe: „Key West (Philosopher Pirate)“, jenes entrückte Meisterstück zwischen Traum und Transzendenz, schwebt wie ein Gebet durch den Raum. Kommt mir das nur so vor? Dass er die Zeile „That’s my story, but not where it ends“ besonders laut intoniert?
Und wieder wechselt er die Perspektive – „It’s All Over Now, Baby Blue“ und „I’ve Made Up My Mind to Give Myself to You“ sind Liebeslieder, Abschiede und Selbstbekenntnisse zugleich.
Im letzten Drittel des Konzerts spannt Dylan den Bogen von 1971 bis heute: „Watching the River Flow“ pulsiert mit lässiger Erdigkeit, „Mother of Muses“ ist ein stilles Dankgebet an die Inspiration, an die Kunst selbst. „Goodbye Jimmy Reed“ bringt den Abend noch einmal in Bewegung – eine Hommage an den Blues, an die Wurzeln, aus denen alles kommt. Und schließlich „Every Grain of Sand“: das leise, spirituelle Finale. Eine Meditation über Gnade und Vergänglichkeit, so schlicht wie überwältigend.
Dann verschwindet Dylan wortlos in der Dunkelheit, wie immer. Kein Gruß, keine Geste. Dann kommt er nochmal kurz auf die Bühne, scheint den Jubel der Fans zu genießen. Und dann bleibt nur die Musik.
Wim Wenders und Wolfgang Niedecken
Wolfgang Niedecken und Wim Wenders bleiben noch ein paar Augenblicke sitzen als die Saalbeleuchtung längst wieder an ist. Wir reden noch ein wenig über Dylan und was er für unser Leben bedeutet. Vielleicht bieten die Songs viel mehr Interpretationsspielräume als wir denken, die Songs bedeuten für jeden, teilweise in Nuancen, etwas anderes. „Dylan begleitet mich, seit ich 18 bin“, sagt Wenders. Ich verweise auf „Der Stand der Dinge“, dieser wunderschöne in Schwarzweiß gedrehte Film aus dem Jahr 1982. Mein Lieblingsfilm von ihm. Und dass er mich in gewisser Weise an Dylan erinnert. „Stimmt“, sagt Wenders. Es seien zwölf Hinweise auf Dylan in diesem Streifen.
Niedecken hat viele Berührungspunkte zu Dylan. Wie er war auch für mich am 26. Juni 1978 in der Dortmunder Westfalenhalle mein erstes Dylan-Konzert. Ich bin aber erst mit „Desire“ in dieses Kosmos geraten. „Was bedeutet mir Dylan?“ Mhm, ich denke, vieles in meinem Leben wäre anders gelaufen“, sagt Niedecken. Ich erzähle ihm von meinem Besuch im Bob-Dylan-Center in Tulsa, Oklahoma. „Ich weiß nicht, ob ich da nochmal hinkomme“, sagt Niedecken, der vor einigen Jahren eine schöne Doku als Roadtrip über Dylan gefilmt hat. Warum nicht?, frage ich. „Weil ich meinen Hund niemals alleine zu Hause lassen werde.“ Und wie fand er das Konzert? „Ein paar Funzeln mehr auf der Bühne wären nicht schlecht gewesen“, sagt er mit kölschem Humor. Recht hat er!
Veränderte Wahrheiten
Ich schaue nochmal auf die Bühne, die schon fast komplett abgebaut ist. Bob Dylan in Köln 2025 – kein Rockkonzert im herkömmlichen Sinne, er präsentierte sich wieder als Chronisten seiner eigenen Mythen. Es war sowas wie eine musikalische Autobiografie in 17 Kapiteln. Für viele Fans vielleicht ein poetisches Ritual. Eine Lektion in existenzieller Ehrlichkeit. Die Setlist hat den Charakter eines literarischen Zyklus: ein Spätwerk, das sich selbst kommentiert, variiert, meditiert. Dylan bleibt der ewige Wanderer, ein Sänger, der seine Wahrheit in jedem Ton neu verändert. Vielleicht ist es das, was ihn für viele von uns so besonders macht – und irgendwie sehr persönlich.
Setlist Bob Dylan Köln 2025:
I’ll Be Your Baby Tonight
It Ain’t Me, Babe
I Contain Multitudes
False Prophet
When I Paint My Masterpiece
Black Rider
My Own Version of You
To Be Alone With You
Crossing the Rubicon
Desolation Row
Key West (Philosopher Pirate)
Watching The River Flow
It’s All Over Now, Baby Blue
I’ve Made Up My Mind to Give Myself to You
Watching the River Flow
Mother of Muses
Goodbye Jimmy Reed
Every Grain of Sand