Mit After Bach II und Après Fauré veröffentlicht Brad Mehldau 2024 zwei außergewöhnliche Soloalben, die klassische Formstrenge und improvisatorische Freiheit in Einklang bringen. Der amerikanische Pianist führt einen faszinierenden Dialog mit Bach und Fauré – ein musikalisches Zwiegespräch über Struktur, Melancholie und die Zeitlosigkeit des Klangs.
Von Dylan C. Akalin
Brad Mehldau: „After Bach II“ (erschienen am 14. Juni 2024) und „Après Fauré“ (erschienen am 10. Mai 2024)
Mit zwei komplementären Soloalben hat Brad Mehldau 2024 sein pianistisches und kompositorisches Universum entscheidend erweitert. „After Bach II“ und „Après Fauré“ sind keine bloßen Hommagen an große Komponisten, sondern intellektuelle und zugleich zutiefst emotionale Dialoge über Epochen hinweg – eine Zwiesprache zwischen Barock und Jazz, zwischen französischem Impressionismus und moderner Harmonik, zwischen Struktur und Freiheit.
Jazz nicht als Stil, sondern als Haltung
„After Bach II“ führt Mehldaus 2018 begonnenes Projekt fort, in dem er Stücke aus Bachs „Wohltemperiertem Klavier“ und den Partiten mit eigenen Kompositionen und Improvisationen verschränkt. Mehldau nimmt Bachs polyphone Klarheit, seine innere Logik und die Strenge des Kontrapunkts als Ausgangspunkt, um daraus improvisatorische Linien zu entwickeln, die sich jenseits klassischer Harmonik entfalten. Die Übergänge zwischen den Bach-Präludien und Mehldaus Eigenstücken wirken dabei so organisch, dass sich die Jahrhunderte ineinanderfalten. Mehldaus Spiel bleibt transparent, analytisch und zugleich beseelt; der Jazz tritt hier nicht als Stil, sondern als Haltung zutage – als das Recht, mit offenen Ohren in die Vergangenheit hineinzuhören und sie weiterzudenken.

Während „After Bach II“ eher den Geist des Intellektuellen, des Architekten des Klangraums atmet, wendet sich „Après Fauré“ der Poesie und der Melancholie zu. Faurés Musik, mit ihrer sanften Chromatik, ihren irisierenden Harmonien und ihrem oft schwer greifbaren emotionalen Schimmer, bietet Mehldau ein anderes Feld der Auseinandersetzung. Er interpretiert einige von Faurés Klavierwerken, etwa Nocturnes und das Adagio aus dem zweiten Klavierquartett, und ergänzt sie um eigene Stücke, die weniger kommentieren als fortsetzen. Mehldau geht dem französischen Komponisten nicht mit analytischer Strenge, sondern mit feiner Empathie entgegen. Hier entstehen Klangflächen, die von Schweigen durchzogen sind, zarte Linien, die fast zu verfliegen scheinen.
Die Ordnung des Geistes und die Zartheit des Gefühls
So wie Bach für Mehldau die Ordnung des Geistes verkörpert, steht Fauré für die Zartheit des Gefühls. Zwischen beiden Alben spannt sich ein ästhetischer Bogen: vom kristallinen Denken zur introspektiven Empfindung. Wo das Bach-Projekt klar und konstruktiv wirkt, verströmt Après Fauré eine fragile, beinahe vergeistigte Atmosphäre – Musik wie ein leises Nachdenken über Vergänglichkeit.
Beide Alben zeigen Brad Mehldau auf dem Höhepunkt seiner künstlerischen Reife. Er erweist sich nicht mehr bloß als Jazzpianist mit klassischer Bildung, sondern als universeller Musiker, der das historische Material nicht reproduziert, sondern transformiert. In einer Zeit, in der sich die Grenzen zwischen Genres ohnehin verflüssigen, demonstriert Mehldau, wie Musik über Epochen, Formen und Konventionen hinaus kommunizieren kann.

„After Bach II“ und „Après Fauré“ sind keine Alben zum beiläufigen Hören – sie fordern Aufmerksamkeit, Konzentration, vielleicht sogar Demut. Doch wer sich auf sie einlässt, entdeckt zweierlei: dass Vergangenheit und Gegenwart miteinander sprechen können, und dass Brad Mehldau zu den wenigen Musikern gehört, die dieses Gespräch wirklich zu führen wissen.