
Zum ersten Mal überhaupt spielen Guns N’ Roses beim Wacken Open Air – und liefern ein umstrittenes Konzert voller Energie, Nostalgie und einer ergreifenden Hommage an Ozzy Osbourne. Axl Rose ringt mit der eigenen Stimme, das Netz urteilt hart – und dennoch geschieht ein Moment, der bleibt.
Von Lina Tacke
Es ist Donnerstagabend auf dem heiligen Acker. Der Himmel hängt tief, ein feiner Nieselregen liegt über dem Gelände, als gegen halb neun ein kollektiver Aufschrei über das Wacken-Open-Air-Gelände fegt. Guns N’ Roses betreten die Bühne – zum ersten Mal überhaupt in Wacken, zum ersten Mal vor diesem ebenso treuen wie kritischen Metalpublikum. Und über alle dem die bange Frage: Wird es wieder ein Desaster wie zuletzt in München und Düsseldorf?
Die Band eröffnet mit „Welcome to the Jungle“ – erstmals seit 2012 wieder der Tour-Auftakt, was für extra Energie sorgt. Ein Opener, wie er epochaler kaum sein könnte – aber auch einer, der die Geister scheidet. Schon wenige Minuten nach Showbeginn flammt in den sozialen Netzwerken ein Feuerwerk aus Kritik und Nostalgie auf. Viele feiern die bloße Tatsache, dass die Gunners diesen traditionsreichen Festivalboden betreten haben. Andere, vor allem die Puristen unter den Wacken-Veteranen, zeigen sich enttäuscht. Axl Rose, einst die Stimme einer Ära, klingt für manche wie „Micky Maus in einem Mixer“, wie es auf YouTube unter einem Video von „Civil War“ heißt. In Kommentaren ist von einer „Karikatur seiner selbst“ die Rede, mancher fühlt sich gar an eine Playbackshow erinnert. Und die Kritiker haben recht. Während die Band um den fantastischen Gitarristen Slash wirklich hervorragend abliefert, kämpft Axl Rose – mit sich selbst.
Kollektive Ratlosigkeit
Es ist keine simple Enttäuschung, die sich breitmacht – sondern eher eine kollektive Ratlosigkeit: Ist es das Alter? Die Technik? Oder die Erwartungshaltung eines Publikums, das die 1980er verklärt wie ein verschwundenes Goldenes Zeitalter?

Guns N’ Roses selbst scheint das wenig zu kümmern. Sie spielen sich durch ein fast dreieinhalbstündiges Set, das von Klassikern über Raritäten bis zu Hommagen reicht. „Bad Obsession“, „It’s So Easy“, „You Could Be Mine“ – das Material sitzt, besonders wenn Slash und Duff McKagan das Zepter übernehmen. Der neue Drummer Isaac Carpenter bringt Frische ins Set, tighter Groove, spürbar mehr Präzision als zuletzt. Slash, wie immer mit Zylinder und seelenruhiger Virtuosität, spielt, als hätte er nie etwas anderes getan. Duff McKagan sorgt für lässige Tiefe und übernimmt mit „Thunder and Lightning“ von Thin Lizzy sogar das Mikro – ein seltenes, charmantes Zwischenspiel.
„Sabbath Bloody Sabbath“
Und dann ist da dieser Moment, der alles überstrahlt: Mitten im Set stimmt die Band „Never Say Die“ und „Sabbath Bloody Sabbath“ an – zwei Black-Sabbath-Stücke, gespielt mit Verbeugung, mit Wucht, mit Würde. Die Hommage an Ozzy Osbourne, der wenige Tage zuvor gestorben ist, trifft das Publikum unerwartet und tief. Für einen Moment verstummen sogar die digitalen Spötter. Kein großes Pathos, keine pompöse Ansage – nur zwei Songs, gespielt wie ein stilles Gebet. In Wacken, dem Herz des europäischen Metal, bekommt diese Geste ein Gewicht, das sich nicht messen lässt.
Trotzdem: Die Onlinewelt bleibt gnadenlos. Schon im Vorfeld hatten sich viele Metal-Fans über das Booking beschwert: „Für mich haben die bei Wacken nichts zu suchen“ oder „200 Euro und der einzige Headliner ist Micky Mouse“ – so lauteten Kommentare auf Facebook und Instagram. Und auch nach der Show reißt die Kritik nicht ab. Dabei gehen viele Stimmen an der Wahrheit vorbei. Denn so unstet und brüchig Axls Stimme an diesem Abend sein mag, die Show als Ganzes funktioniert: wegen der Band, wegen der Setlist, wegen des Moments. „Thunder and Lightning“ mit Duff am Mikrofon ist ein charmantes Highlight, „November Rain“ klingt episch wie eh und je, „Paradise City“ ist und bleibt die Explosion am Schluss.
Und der Regen tanzt
Axl Rose wirkt stimmlich nicht durchgehend souverän, einige Übergänge schleppen. Doch die Energie des Moments, die Masse vor der Bühne, das urtümliche Gemeinschaftsgefühl eines ganzen Festivals wiegen das mehr als auf. Wacken nimmt diese Band auf wie einen lange verlorenen Sohn – und Guns N’ Roses danken es mit einer der dichtesten und emotionalsten Shows ihrer jüngeren Geschichte.
Am Ende, bei „Paradise City“, tanzt der Regen wieder. Doch niemand geht. Das hier ist nicht einfach ein weiterer Headliner-Auftritt. Es ist ein Rock’n’Roll-Abend, wie man ihn nicht mehr oft erlebt: groß, laut, unvollkommen – und gerade deshalb so wunderbar echt.
Guns N’ Roses liefern an diesem Abend wahrlich kein perfektes Konzert. Sie liefern aber durchaus ein ehrliches. Sie kämpfen mit sich, mit der Technik, mit der Erwartung – und genau das macht diesen Auftritt doch irgendwie zu einem Ereignis. Vielleicht kein Triumph, sicher kein Desaster. Sondern ein Kapitel, das ins Wacken-Geschichtsbuch gehört: Als der Dschungel den Acker betrat. Als der Regen fiel. Und als Ozzy zum letzten Mal über allem schwebte.
Setlist Guns n Roses auf dem Wacken Open Air, 31. Juli 2025
Welcome to the Jungle
Bad Obsession
Mr. Brownstone
Chinese Democracy
Live and Let Die (Wings cover)
Yesterdays
It’s So Easy
Civil War
Used to Love Her
Slither (Velvet Revolver cover)
Never Say Die (Black Sabbath cover)
Sabbath Bloody Sabbath (Black Sabbath cover)
Shadow of Your Love
You Could Be Mine
Estranged
Double Talkin‘ Jive
Hard Skool
The General
Thunder and Lightning (Thin Lizzy cover) (Duff on Vocals)
Coma
Absurd
Rocket Queen
Knockin‘ on Heaven’s Door (Bob Dylan cover)
Slash Guitar Solo
Sweet Child o‘ Mine
November Rain
Sorry
Patience
Human Being (New York Dolls cover)
Nightrain
Paradise City