Kommt zum Jazzfest Bonn 2025: Florian Arbenz im J&R-Interview über sein neues Quartett und Jazz in sakralen Räumen

Schlagzeuger Florian Arbenz kommt mit spannendem Projekt nach Bonn. Copyright Arbenz

Der schweizer Schlagzeuger Florian Arbenz tritt am Freitag, 16. Mai 2025 mit seiner Formation Arbenz X Krijger/Osby/Churchill in der Kreuzkirche beim Jazzfest Bonn auf. Es gibt noch einige Restkarten. Er spricht über die Kraft der Improvisation, seine langjährige Zusammenarbeit mit Saxophonist Greg Osby und die besondere Magie, die ein Konzert in einem sakralen Raum wie der Bonner Kreuzkirche entfaltet. Wie sich sein aktuelles Quartett entwickelt hat und warum die Hammond-Orgel eine Schlüsselrolle spielt, verrät er im Gespräch mit Dylan Akalin.

Wie und wann ist es eigentlich zur Zusammenarbeit mit Greg Osby gekommen?

Florian Arbenz: 1998 haben wir die erste Tournee zusammengespielt. Was Greg auszeichnet, ist, dass er extrem neugierig und offen ist. Ich hatte ihm damals einfach eine CD von mir geschickt. Ich war vorher in New York und habe ihn gehört im Sweet Basil. Dann habe ich ihm einfach eine CD von mir geschickt und gesagt: ‚Hallo Mr. Osby, wollen Sie mit mir spielen?‘ Und dann hat er sich tatsächlich zurückgemeldet. Seitdem sind wir eigentlich jedes Jahr praktisch zusammen unterwegs. Also, wir haben wirklich eine sehr, sehr lange Beziehung.

Mit Arno Krijger und Greg Osby hast du schon oft zusammengespielt. Wie kam das denn jetzt überhaupt zu dieser Konstellation, mit der Ihr ja auch einige Aufnahmen miteinander gemacht habt?

Florian Arbenz: Ich habe eine Serie gemacht in der Pandemie von zwölf Alben. „Conversation“. Es war irgendwie natürlich klar, dass ich da Greg mit einbeziehen wollte, weil er wirklich einer meiner wichtigsten musikalischen Mentoren ist. Wir haben vorher ein Duo-Programm gemacht mit einem bekannten Schweizer Maler: Stephan Spicher. Danach wollte ich etwas machen, das klanglich ein bisschen fetter ist. Greg hat immer viel mit Synthesizer gespielt, vor allem in den 90er Jahren. Ich wollte aber nicht unbedingt einen Synthesizer haben, und so ist mir dann die Idee gekommen, eine Hammond zu verwenden. Sie hat den gleichen, fetten Klang, aber es ist irgendwie anders, es ist analoger. So bin ich dann auf Arno gestoßen. Es ist gar nicht so einfach, Hammond-Organisten zu finden, die diese Offenheit besitzen, auch ein bisschen Dinge ausprobieren wollen.

Der hat einen tollen Ansatz, finde ich. Ich finde, dass er mitunter ziemlich rockig klingt.

Florian Arbenz: Er ist einfach unglaublich offen und unglaublich breit gefächert. Man kann mit ihm wirklich auch Dinge erarbeiten. Das schätze ich extrem, dass er wirklich offen ist für Ideen. Er hat so dieses Emerson Lake and Palmer-Ding ein bisschen. Genau. Und er spielt halt den Bass mit dem Fuß. Genau das gibt ihm extrem viel Freiraum mit den Händen. Er macht immer sehr viel mit den Registern, bei ihm lebt der Klang unglaublich, weil er nicht die linke Hand gebrauchen muss, um die Bässe zu spielen.

Arbenz X Krijger/Osby FOTO: JFB

Machen tatsächlich gar nicht so viele Jazz-Organisten, was ich erstaunlich finde. Barbara Dennerlein gehört noch zu denen, die ja auch viel mit den Füßen macht, natürlich. Aber es ist tatsächlich erstaunlich, wie wenig da eigentlich mit dieser Technik arbeiten.

Florian Arbenz: Ich glaube, das kommt daher, dass viele vom Piano kommen. Arno hat aber immer nur Hammond gespielt. Der kann gar nicht Piano spielen (lacht). Er ist wirklich ein Hammond-Organist. Vollblut. Das ist sein Ding.

Immy Churchill kommt dazu

Wenn ihr nach Bonn kommt, habt ihr ja dieses Trio zum Quartett ausgebaut mit der wunderbaren Immy Churchill, die dann nochmal eine Stimme in das Ensemble bringt. Wie kam es zu dieser Konstellation?

Florian Arbenz: Mit Immy arbeite ich auch schon seit ein paar Jahren zusammen – in einer anderen Konstellation mit Londoner Musikern. Da ist [Pianist] Ivo Neame dabei, [Vibrafonist] Jim Hart und Percy Pursglove [Trompete, Flügelhorn] und so ein paar ähnliche Cracks. Wir haben über diese Möglichkeit gesprochen, in der Bonner Kreuzkirche aufzutreten, und dass da nicht so voll die rockige oder, wie soll ich sagen, die trockene, satte Akustik herrscht. Ich habe gedacht, es macht irgendwie Sinn, da ein bisschen die Möglichkeiten zu erweitern. Außerdem weiß ich, dass Greg Stimme sehr gerne mag, auch in diesem instrumentalen Setting, also dass die Stimme nicht nur Songs spielt, sondern eben wie ein Instrument gebraucht wird. So bin ich auf die Idee gekommen, Immy mit dazu zu nehmen. Ich bin im Moment dabei, noch zusätzliches Repertoire zu erarbeiten.

Ich bin gespannt, was da herauskommt. Sie hat ja auch ein ziemlich breites Repertoire und bringt auch so eine, ich würde mal sagen, neue und junge Jazz-Ebene mit rein bei euch. Sie geht auch ein wenig in Richtung Singer/Songwriter und beherrscht die leisen Töne.

Florian Arbenz: Auf jeden Fall. Absolut! Man merkt bei ihr, sie kennt den Jazz-Vibe. Sie ist ein super Link zwischen den Genres. Einerseits hat sie ihre eigenen Ansichten und ihre eigene Stimme. Man merkt, sie bewegt sich wie der Fisch im Wasser, wenn sie mit Jazzleuten zusammen ist. Das ist für mich extrem reizvoll. Sie versteht, um was es geht beim Jazz und bringt andere, jüngere Elemente hinein.

Wenn man euch vier betrachtet, hat jeder von euch unterschiedliche Backgrounds, teilweise sogar unterschiedliche Stile. Wie gestaltet sich das in dieser Konstellation im kreativen Prozess? Du hast je eben erwähnt, dass du ein paar neue Stücke arrangierst und ausarbeitest. Wie funktioniert das?

Florian Arbenz: Ich finde genau das sehr, sehr reizvoll, verschiedene starke Stimmen zu kombinieren. Es ist etwas, was mir persönlich manchmal bei anderen Bands fehlt. Wenn alle Musiker aus der gleichen Ecke kommen, dann fehlt es mitunter ein wenig an Inspiration zwischen den Musikern. Weil doch alle das schon kennen, was sie machen, oder sie erkennen das wieder beim anderen. Meine Idee ist es, dass die Musiker zwar Berührungspunkte haben, aber dennoch unterschiedliche Ansätze.

Was meinst du?

Florian Arbenz: Greg kennen zum Beispiel alle. Er hat eine tiefe Berührung zur Jazzgeschichte, aber er kennt sich auch mit dem ganzen Hip-Hop aus und ist ein sehr moderner Musiker, auch so, wie sein Spiel angelegt ist. Arno ist auch in diesen Hammond-Partitionen verwurzelt und trotzdem ist er extrem offen, und Immy hat diese Singer-Songwriter-Komponente. Das heißt, dass man als Band einen Raum schaffen muss, wo alle sich ausdrücken können, aber auch trotzdem alle Berührungspunkte haben. Und genau dies interessiert mich sehr.

Eine Idee von Peter Materna

Wer hatte denn eigentlich die Idee, das Konzert in einem Kirchenraum zu machen?

Florian Arbenz: Die Idee kam von Peter [Materna, Intendant des Jazzfest Bonn]. Ich habe mit Greg die kleinsten Privatkonzerte gespielt, und wir sind in den größten Hallen aufgetreten. Nach fast 30 Jahren weiß ich, dass Greg sehr gerne akustisch spielt. Er ist ein Musiker, der es eigentlich lieber fein und raffiniert hat als laut und brachial. Von daher passt dieses Setting sehr gut zu ihm. Daher habe ich Peter sofort zugesagt.

Ihr habt beispielsweise ja im Atelier von Stefan Spicher gespielt, der währenddessen sozusagen live Werke geschaffen hat. Wie ist das? Beeinflusst der Raum an sich dein Spiel, euer Spiel, den Ablauf? Ändert das die Interaktion?

Florian Arbenz: Für mich ist eine Live-Performance ein gemeinsames Erlebnis mit dem Publikum in dem gegebenen Raum.  Das fängt natürlich bei der Akustik des Raums an und geht dann weiter zur Interaktion, wie die Musik ankommt beim Publikum und was von ihm zurückkommt. Ich denke, das ist wie der Reiz an der improvisierten Musik, dass wir versuchen, unser Spiel jedes Mal so zu gestalten, dass wir ein gemeinsames Setting schaffen, zusammen mit dem Publikum in dem entsprechenden Raum – und da ändert sich schon sehr, sehr viel.

Stichwort Akustik: So eine Kirche hat ja einen enormen Hall. Du gehörst zwar zu den Schlagzeugern, die auch sehr leise Passagen lieben. Aber ein Schlagzeug ist erst mal insgesamt ein lautes Instrument. Dann seid ihr zu viert. Ist das nicht eine sehr, sehr schwierige Herausforderung, das Konzept des Quartetts in die Kirche zu transportieren?

Florian Arbenz: Das ist eher eine Herausforderung im positiven Sinne als eine schwierige. Abwechslungsreichtum ist doch etwas Schönes in einem Programm, und da liegt jetzt meine Aufgabe und der Reiz darin, das Programm so abwechslungsreich zu gestalten, dass eben trotz dieser ein wenig limitierten Akustik ein schönes Konzerterlebnis entsteht und dass wir Musiker uns trotz allem wohlfühlen können. Ich denke, in der Jazzmusik ist genau das das Reizvollste, dass es nicht einfach einen definierten Raum gibt, wo diese Musik gespielt wird. Sie kann überall gespielt werden, und wir können durch das Improvisieren auch überall Lösungen finden, die für alle zufriedenstellend sind.

Schlagzeuger Florian Arbenz Copyright Arbenz

Aber es wird ja wahrscheinlich Stücke geben, die du in so einer Kirche nicht so performen kannst wie in einem Jazzclub.

Florian Arbenz: Absolut, genau das ist der Reiz der Sache. Für mich ist das etwas sehr Schönes. Wir haben auch zu viert mehr Möglichkeiten, da etwas Besonderes zu schaffen. Und Immy verfügt ja über eines der dynamischsten Instrumente, die ich überhaupt kenne. Das geht vom lautesten Schrei bis zum leisesten Flüstern. Und Greg ist ein unglaublicher Virtuose mit dem Saxophon, der die Stimme in solchen Räumen fühlen und begleiten vermag.

Und du?

Florian Arbenz: Ich bin tatsächlich der, der da von allen am stärksten gefordert sein wird. Ich werde mir da noch das eine oder andere überlegen.

Jazz wird ja auch oft als eine spirituelle Ausdrucksform bezeichnet. In San Francisco gibt es sogar die Coltrane Church. Inwiefern trifft sich hier die Tradition der Kirche als spiritueller Ort und die Tradition des Jazz als spirituelle Ausdrucksform?

Florian Arbenz: Ich bin da weniger mit der kirchlichen Seite verlinkt, aber ich denke, was ganz, ganz wichtig ist in der heutigen Zeit, ist das Thema der Konversation und des gegenseitigen Sprechens und Zuhörens und des auch Akzeptierens. Das ist das, was in unserer Musik passiert: Du musst auf das reagieren, was du hörst, und das findet in einem Zusammenhang statt, in dem das Publikum auch Musik annimmt, die vorher noch nicht definiert ist. Ich sehe in uns Musikern in der heutigen gesellschaftlichen und auch politischen Diskussion eine gewisse Vorbildfunktion. Es ist doch so: Wenn wir gemeinsam aufeinander hören, können wir etwas schaffen, das grösser ist, als das, was man selbst und alleine schaffen kann. Das ist in unserer Musik so, und das ist im gesellschaftlichen Dialog so. Und da sind wir schon beim Spirituellen – indem wir nämlich zeigen, dass da ein Publikum bereit ist, sich auf ein Experiment einzulassen, und wir der Welt beweisen, dass das nicht nur möglich ist, sondern auch sehr inspirierend sein kann. Ich denke, da sind wir Improvisierenden und Jazzmusiker im Moment in einer extrem wichtigen Funktion. Unsere Aufgabe ist es, das am Leben zu erhalten und sich nicht zu fest in das jetzige Fahrwasser reinziehen zu lassen. Da passt eigentlich eine Kirche sehr gut dazu, finde ich.

Die Kirche hat ja zudem einen gewissen Kontext in der Jazzgeschichte. Da muss ich nicht nur an John Coltrane denken, der ja sehr spirituelle Sachen gemacht hat. Viele seiner Hymnen werden in Kirchen gespielt, also in den USA jedenfalls. Ich denke auch an Duke Ellington und seine „Sacred Concerts“, an Keith Jarrett, Barbara Dennerlein, Jan Garbarek … es gibt eine ganze Reihe von Jazzern, die es in Kirchen gezogen hat, aus welchen Gründen auch immer. Vielleicht hängt das auch mit der Suche nach dem Transzendentalen zusammen. Wie siehst du das? Steht euer Projekt auch irgendwie in so einer Reihe?

Florian Arbenz: Die Hammond-Orgel kommt zumindest aus diesem Kontext. Das ist ja eigentlich ein Instrument der schwarzen Kirche, wenn man das so sagen kann. Wie auf der Suche nach speziellen Erlebnissen oder nach speziellen Momenten in der Improvisation ist eine Kirche sicher ein Ort des Innehaltens und des Zuhörens und der Kontemplation. Und ich würde sagen, in diesen Raum passt jegliche Art von wirklich ernsthaft gespielter Musik von Bach über Coltrane bis zu dem, was wir machen, sehr gut.

Ort des Zuhörens und Innehaltens

Du hast es gerade schön formuliert, und es bringt mich auf einen Gedanken: Die Kirche ist tatsächlich ein Ort des Zuhörens und Innehaltens. Dazu kommt ja noch diese architektonische Erhabenheit. Wenn ich allein an den Kölner Dom denke, man muss kein religiöser Mensch sein, um einfach auch berührt zu sein von so einem Raum.

Florian Arbenz: Absolut. Aber wir Jazzmusiker wehren wir uns ein bisschen gegen das Dogmatische in der Religion. Ich sehe mich sehr als weltoffenen Menschen, und doch ist für mich vor allem eine Kraft der Musik von besonderer Bedeutung: Greg und ich haben jetzt eine 30-jährige enge Beziehung. Er ist in St. Louis in einem Ghetto aufgewachsen und ich im guten Mittelstand in Basel. Trotzdem schafft die Musik und unsere gemeinsame Liebe zum Jazz eine Verbindung zwischen zwei Menschen unterschiedlicher Generationen und total unterschiedlicher Herkunft. Das ist nie ein Thema für uns gewesen. Es gibt vielleicht Dinge, die der andere nicht verstehen wird oder die wir diskutieren, aber uns hält immer dieser besondere Kit zusammen, und das ist schon etwas sehr Starkes. Das ist etwas, was eigentlich in einer Kirche oder in einem sakralen Raum sehr gut zur Geltung kommt. Wir haben zum Beispiel auch schon in China in einem Tempel gespielt, und das war auch wunderschön. Es muss nicht unbedingt eine Kirche sein, aber ich denke, diese Art von Raum, der nicht nach Bier stinkt und wo die Leute nicht essen und trinken und reden, ein Raum, der wirklich da ist, um zuzuhören, fördert das Konzerterlebnis.

Das heißt also, Themen wie Freiheit, für die der Jazz absolut steht, und das Dogmatische einer Kirche passen also aus deiner Sicht als Mittel der Transformation in solch einem sakralen Kontext schon zusammen?

Florian Arbenz: Wir kommen in erster Linie, um ein Konzert zu geben von einem weltlichen Veranstalter. Man kann diesen Raum, etwa vom Kölner Dom, als unglaubliches Erlebnis erfahren, egal, ob du auf einer Bank niederkniest und ein Vaterunser auf Latein betest oder nicht. Aber der Raum ist auch losgelöst von dem, was wir tun, und damit auch losgelöst von jeglicher religiösen Dogmatik.

Nochmal zu deinem Conversation-Projekt: Wie hat es das Konzept des aktuellen Ensembles in geprägt? Und wird es fortgesetzt?

Florian Arbenz: Was es definitiv ausgelöst hat, ist, dass ich innerhalb dieser Reihe viele Musiker kennengelernt habe, und es wächst ein bisschen wie ein Kollektiv von Musikern, die offen sind, anderen Musikern Raum zu lassen. Ich versuche da wirklich eine Musik zu schaffen, die zwar durch ihre Struktur definiert ist, aber auch den Musikern Raum für ihre Persönlichkeit lässt. So bin ich zum Beispiel auf Immy gestoßen, die bei einer anderen Conversation-Reihe dabei ist.

Habt ihr vor, in der Konstellation mit Immy nochmal aufzutreten? Oder ist das so ein einmaliges Projekt?

Florian Arbenz: Schauen wir mal. Ich bin ein Mensch, der gerne Chancen wahrnimmt und das ist jetzt eine Chance, die hat sich ergeben durch die Umstände und die nehme ich sehr gerne an. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass das sehr bereichernd sein wird und dass wir in diese Richtung wie weiter forschen oder neue musikalische Räume schaffen.