Ihre neue CD heißt „Colours of Spring“ – Farben des Frühlings. Das passt ja jetzt zu den Sehnsüchten der Menschen nach einem extrem langen Winter. Wie kommt’s zu dem Titel?
Peter Materna: Wegen des furchtbaren Winters! (lacht) Nein, die Idee war eine andere. Die Produktionszeit war eine sehr intensive. Ich habe die Stücke zum Beispiel zweimal gemischt. Und als ich das Ganze in einen Guss packen musste, da ging mir sehr viel durch den Kopf, weil die Titel ja nicht alle neu sind. Die Frage war: Wie bündelt man die Arbeit von 13, 14 Jahren mit einer Headline?
Wenn man den Titel liest, erwartet man ein fröhliches Album. Es ist aber, auch wenn es so manche tänzelnden Momente gibt, wieder eins mit der für Sie typischen, sehr eigenen Melancholie. Sehr skandinavisch, möchte ich sagen.
Materna: Tja, was ist fröhlich? Fröhlichkeit kann sich auf sehr unterschiedliche Weise ausdrücken.
Vielleicht hat das mit Ihrem Saxofon-Ton zu tun. Der wird immer introvertierter, im Sinne von „sehr konzentriert“. Ich habe das Gefühl, Sie stülpen sich den Ton geradezu über. Da herrscht manchmal fast eine Ehrfurcht vor dem Klang.
Materna: Ja, das war der Grund, warum wir die Aufnahme zweimal gemischt haben, weil der Klang mich beim ersten Mal tatsächlich nicht so überzeugt hat. Die Art und Weise, wie ich mit Musik, mit dem Klang umgehe, ist in der Tat eine sehr eigene. Der Ton macht die Musik. Ich finde diesen Satz sehr richtig. So wie eine Zeitung über ein Titelbild die Leser fangen will, möchte ich über meinen Sound den Zuhörer packen – aber auch mich selbst. Er öffnet die Aufmerksamkeit. Irgendwann kommt aber der Punkt, wo es egal wird, nämlich dann, wenn du deinen Sound gefunden hast. Und ich denke, dass ich an diesem Punkt angelangt bin. Ich habe tatsächlich ewig an dem Sound gearbeitet.
Der Klang schafft Distanz oder Nähe. Bei Ihrem Sound auf der neuen CD sitzt der Zuhörer ganz nah dran.
Materna: Das ist für mich die Definition von Kunst – in der Bildenden Kunst wie in der Musik: den Betrachter beziehungsweise den Zuhörer an der Kreativität teilnehmen zu lassen. Das funktioniert im Jazz natürlich sehr gut, wo man das Private geradezu nach Außen stülpt. Man bekommt ja alles mit, die Regung, die Atmung… Das Unperfekte, die Ecken und Kanten machen ja gerade den Charme aus.
So wie im Frühling die Natur noch nicht gänzlich erwacht ist?
Materna: Wissen Sie: Bei der Musik gehen ja wahnsinnig viele Assoziationen durch den Kopf. Ich habe ein Archiv von Tausenden abstrakter Farbfotos, und diese Farben sind Ausdruck für meine zurückhaltende Musik. „Die Farben des Frühlings“ – das ist für mich dieses besondere, frische Licht im Frühling, wo die Sonne noch nicht so hoch steht. Da herrscht eine besondere Leuchtkraft, die eben auch in meiner Musik steckt.
Sie gehören zu den wenigen Saxofonisten, bei dem das Tenor-, das Alt- und das Sopran-Saxofon gleichberechtigt existieren. Warum haben Sie kein Hauptinstrument?
Materna: Ich habe mich für drei Hauptinstrumente entschieden. Das war aber ein langer Prozess. Ich habe sie nacheinander entdeckt, und bei jedem Instrument habe ich den Klang gesucht. Ich übe nach wie vor jeden Tag, und dabei konzentriere ich mich jedes Mal auf ein Instrument und tauche ein in die Suche nach dem Klang.
Sie haben zwei fantastische Mitmusiker auf der CD, Musiker des sparsamen Einsatzes, sehr virtuos, mit eigener Klangfarbe, aber konzentriert aufs Gesamtbild.
Materna: Henning Sieverts kenne ich schon sehr lange, seit unserer Zeit im BuJazzO.
Ein sehr produktiver Mann.
Materna: Ja, das stimmt. Er spielt bei fast jeder zweiten deutschen Jazz-Combo, die ich fürs Jazzfest engagieren will. (lacht) Er ist als Musiker und Mensch sehr beeindruckend, genauso wie Florian Weber, den ich vor zwei Jahren mit dem Trio Minsarah nach Bonn geholt hatte. Das sind beides Musiker, die einem immer wieder neue Türen öffnen – durch ihre Einstellung, durch ihre Hingabe zur Musik.
Zum Schluss noch eine Frage zum Jazzfest Bonn, das Sie ja leiten: Vier Wochen vor Festivalbeginn sind alle Konzerte ausverkauft. Da scheint es offensichtlich eine große Nachfrage für Jazz zu geben. Überrascht?
Materna: Ich freue mich riesig darüber, dass es solch eine Klientel gibt. Ich glaube, dass wir über unsere Öffentlichkeitsarbeit auch viele Klassikfans erreichen. Ich höre immer wieder von Besuchern, die sagen: Das ist Jazz? Till Brönner hat wohl ganz recht: Jeder liebt Jazz, es gibt nur noch Menschen, die haben es noch gar nicht bemerkt.