Die augenblickliche Schönheit des Seins: „Theta Five“ von Orchestra of the Upper Atmosphere

„Theta Five“ von Orchestra of the Upper Atmosphere ist ein faszinierendes und ehrgeiziges Album, das den Hörer auf eine fesselnde Reise durch eine Reihe von Musikstilen und Atmosphären mitnimmt. Das 2020 veröffentlichte Album ist ein Nachfolger der von der Kritik gefeierten Veröffentlichung „Theta Four“ der Band aus dem Jahr 2017 und zeigt ihre einzigartige Mischung aus Free Jazz, experimentellem Rock und elektronischer Musik.

Von Dylan C. Akalin

Ich liebe ja die liebevoll produzierten Alben des britischen Labels Discus Music, hinter dem Martin Archer steht, der auch auf diesem richtig guten Album spielt (unter anderem Saxophone, Klarinette, Flöte, Mellotron). Martin Archer ist ein produktiver britischer Musiker und Komponist, der für seine vielfältigen und grenzüberschreitenden Werke in der experimentellen und avantgardistischen Musikszene bekannt ist. Er ist Gründer und Eigentümer des unabhängigen Plattenlabels Discus Music, das sich zu einer bedeutenden Plattform für die Veröffentlichung innovativer und herausfordernder Musik aus einer Vielzahl von Genres entwickelt hat.

Martin Archer, Musiker und Eigentümer von Discus Music

Archers Karriere erstreckt sich über drei Jahrzehnte, in denen er ein breites Spektrum an Musikstilen und -techniken erforscht hat. Er begann seine Karriere in den 1980er Jahren als Saxophonist und spielte in verschiedenen Jazz- und Improvisationsgruppen. Bald interessierte er sich jedoch für experimentellere Musikformen und begann, elektronische und digitale Elemente in seine Kompositionen einzubeziehen.

In den 1990er und 2000er Jahren veröffentlichte Archer zahlreiche Alben und arbeitete mit einer Vielzahl von Musikern zusammen, darunter Mitgliedern der Improvisationsgruppe Hession/Wilkinson/Fell und dem elektronischen Duo Trespassers William. Seine Musik in dieser Zeit zeichnete sich durch eine einzigartige Mischung aus freier Improvisation, elektronischer Manipulation und unkonventionellen Kompositionstechniken aus.

2004 gründete Archer Discus Music mit dem Ziel, eine Plattform für unabhängige und experimentelle Musik zu schaffen, die von Mainstream-Plattenlabels oft übersehen wurde. Seitdem hat das Label über 120 Alben mit einer vielseitigen Auswahl an Künstlern und Genres veröffentlicht, von Avantgarde-Jazz bis hin zu elektronischem Lärm.

Discus Music hat sich einen Namen für seine qualitativ hochwertigen Veröffentlichungen und seinen innovativen Ansatz für den Musikvertrieb gemacht. Das Label arbeitet häufig mit bildenden Künstlern und Designern zusammen, um einzigartige Verpackungen und Albumcover zu schaffen, die den experimentellen und kreativen Charakter der darin enthaltenen Musik widerspiegeln.

Erforschung neuer Musikformen

Während seiner gesamten Karriere hat sich Archer der Erforschung neuer Musikformen verschrieben und die Grenzen dessen, was in der Musikwelt als konventionell oder akzeptabel gilt, verschoben. Seine Arbeit zeichnet sich durch einen Sinn für Innovation, Experimentierfreudigkeit und die Weigerung aus, sich durch ein bestimmtes Genre oder einen bestimmten Stil einschränken zu lassen.

Das fünfte Album der britischen Kollektiv-Improvisations-Progressive-Rock-Band bestehend aus Archer, Schlagzeuger Steve Dinsdale, den Bassisten Lorin Halsall und Terry Todd, dem Schlagzeuger Walt Shaw, dem Keyboarder Andy Peake, der Violinistin Yvonna Magda und dem Streicher und Sänger Jad Todd, verschmelzt Akustik und Elektronik in oft traumhafte Formen, die mit feuriger Raffinesse fließen. Das Album beginnt mit „Obsidian“, das mit jenseitigen und hypnotischen Klanglandschaften den Ton für das gesamte Album angibt. Das Album wird mit dem 20-minütigen vielschichtigen „Changeling“ fortgesetzt. Der Track baut langsam an Intensität auf und enthält Schichten aus pulsierenden Rhythmen, Gitarren, eindringlichen Saxophonmelodien und sphärischen bisweilen sehr jazzrockigen Ansätzen zwischen Krautrock und Avantgard, die in eindringliche Violinen/Electronics einen melancholischen als auch erhebenden Part wechseln, während in der Ferne leicht orientalische Saxophone erklingen. Dem Mittelteil gibt ein stoisches Schlagzeug Struktur, während eine fast wohlige Kakophonie etlicher Instrumente in einen gemeinsamen Fluss streben und das Rhodes-Piano die Führung übernimmt. Einfach klasse, wie sich die einzelnen Teile ineinanderfügen, wie sich der Fluss in unterschiedlichen Formen seinen Weg zu einer Einheit sucht. Die Schlussphase des Stücks ist ein Traum!

„Pillared Space“

42:03 Minuten lang ist „Pillared Space“, das mit einem dissonanten Gesang, perkussiven Phantasien  und ausgedehnten elektronischen Bewegungen beginnt. Die Klanglandschaft führt uns in eine meditative, unbekannte Welt. Die mysteriösen Reise in namenlose Dimensionen nimmt Fahrt auf, als die Drums wie Tribal-Trommeln die Luft aufwirbeln. Das Spiel mit den kaleidoskopischen Sounds hat geradezu halluzinogene Wirkung. Orchestrale Mächte nahen heran und verlieren sich in elektronischen Entladungen. Das Stück ist aufgebaut wie gleichförmige Sinuswellen, die rätselhafte Informationen übertragen. Es gibt Momente der Ruhe und der Intensität, Momente, in denen man meint, eine Chiffre zu erkennen, die aber gleich wieder überlagert wird von neuen Kodes. Das geschieht vor allem dann, wenn Bass oder Schlagzeug dem Ganzen eine fassbare Struktur geben. Am besten aber gibt man sich der Schönheit des augenblicklichen Seins hin – und wird ab Minute 23 von einem schönen Gesang belohnt.

„Theta Five“ von Orchestra of the Upper Atmosphere ist ein Muss für Fans experimenteller Musik und alle, die nach einer musikalischen Reise suchen, die sowohl zum Nachdenken anregt als auch emotional nachhallt.