Na gut, in Geographie hat Tobias Gustavsson noch einige Defizite. Bonn liegt natürlich nicht im Ruhrgebiet. Aber was soll’s. Die Fans verzeihen das dem sympathischen Frontmann der schwedischen Band Nestor gerne. Die Harmonie Bonn wurde am Donnerstagabend jedenfalls eindeutig von den Fans der AOR-Band dominiert. Tag zwei des Crossroads Festivals des WDR Rockpalasts setzte jedenfalls mit Nestor und dem niederländischen Trio Fire Horse ein eindeutiges Ausrufezeichen.
Von Dylan Akalin
Wahnsinnsstimmung im Bonner Musikclub. Logisch. Die Schweden haben auf ihrer Open-Air-Tour bewiesen, dass sie durchaus mit stadiontauglichen Rockgrößen mithalten können – was Sound, Fanbase und Ausdruckskraft betrifft. Immerhin haben sie im Sommer H.E.A.T . und Kiss supported. Wer auf dem melodisch-kandierten Rock der 80er Jahre von Bands wie Journey, Survivor, Europe, Boston oder Asia steht, der ist bei Nestor genau richtig. Und was für eine Energie die Truppe da auf die Bühne bringt, was für eine Show! Tadellos!
Mit „On The Run“ startet die ganz in Weiß gekleidete Band (lediglich Sänger Gustavsson darf eine schwarze Lederweste tragen) los. Die Bombast-Anzeige geht bei „Kids In a Ghost Town“ noch etwas höher, zu „Stone Cold Eyes“ lässt Jonny Wemmenstedt Einblicke in seine Stunt-Guitar-Fähigkeiten zu.
Die Band hat im Frühling bei Napalm Records unterschrieben und dort ihr Album „Kids in a Ghost Town“, auf dem alle Stücke des Abends zu hören sind. Das Konzept der Band ist eine beim Publikum gut ankommende Melange aus Hardrock, Spannung, Virtuosität, Drama und Romantik – Rock für die ganze Familie, wie ein Blick ins Publikum bestätigt. Viele sind mit ihren Kindern da. Da stehen Väter mit der Rock Kutte, tätowierte Motorradfahrer und schick gekleidete Frauen im Saal und schmettern lautstark die Songs mit. Was will man mehr?
Als Lollo Gardtman im Edel-Hippie-Look auf die Bühne kommt, wissen die Fans: Jetzt kommt „Tomorrow“. Auf dem Album übernimmt den weiblichen Part des Duetts die 80er-Pop-Ikone Samantha Fox. Da gefällt mir Gardtman mit ihrer leicht rauchigen, sehr kraftvollen Stimme wirklich um Längen besser. Die Schweden haben es wirklich drauf, effektvolle Akzente zu setzen, zeitweise erinnern sie sogar an Toto. Das Zusammenspiel von nachhaltigen Drums, orchestralen Synths, kraftvollen Riffs, eingestreuten virtuosen Gitarrenläufen und der beeindruckenden Stimmleistung des Sängers wirken live einfach wunderbar. Sicher ist es auch die tanzbare, lebensbejahende Stimmung in den Songs, von denen man selbst beim ersten Mal meint, sie schon mal gehört zu haben, was den Erfolg der Band ausmacht. Übrigens: Ein toller Sound in der Harmonie, wo die Wucht der Präsenz gut zur Geltung kommt. Die Fans waren zu recht total angetan.
Dass dann noch „The Loner“ von Gary Moore in ziemlicher Originalfassung kommt überrascht mich doch, ebenso die Whitney Houston-Nummer „I Wanna Dance With Somebody (Who Loves Me)“ als Zugabe. Keine Frage, das sind alles tolle Musiker, die ganz offensichtlich ihren Traum leben. Und Jonny Wemmenstedt hat einen Höllensound an der Gitarre, für mich persönlich hat die Musik von Nestor indes ein wenig zu viel Zuckerguss, aber das ist (glücklicherweise) ja nur Geschmacksache.
Fire Horse
Umso überzeugter war ich vom niederländischen Powertrio Fire Horse, bestehend aus dem ehemaligen Birth of Joy-Frontmann Kevin Stunnenberg (Vocals, Guitar), Bassist Peter Van Elderen (Peter Pan Speedrock) und Drummer Guy Pek (Grenadeers). Bei dunkler Bühne erklingen die düsteren Zeilen „This will never end ‚cause I want more/More, give me more…“ von Fever Ray, als das Trio zunächst mit einer Kakophonie aus Beckenschlägen und Bassgeschrubbel übernehmen und das melodiöse „Trust“ anstimmen. Ein Song, der gleich ins Ohr und in die Beine geht, akzentuiert von archaisch anmutendem Tiergeheul aus der Gitarre. Die schweren Riffs und Kevins erstes Gitarrensolo weisen aber am Ende schon hin, dass es der Powerrock ist, der die Grundlage ihrer Musik bildet.
Oder etwa doch nicht? „Do My Thing“ könnte mit seinem unbändigen Rockfundament und dem melodischen, doch ungezügelten Gesang geradezu von den Foo Fighters sein. Auch bei anderen Songs wie etwa „Against The World“ kommt diese Assoziation. Energiegeladen, durchbrochen von Tempowechseln und einem bluesorientierten, klassischen Rocksolo zeichnen „Black Waltz“ aus. Kevins Gitarreneinsatz bei „Fire Horse“ ist eindeutig orientiert am 70er Jahre Rock, auch der Sound mit viel Hall, Echo- und dem WahWah-Effekten.
Lasst sich fetter Metall mit Grunge-Moods und einer Verbeugung vor George Harrisons Gitarre vereinbaren? Auf jeden Fall. Fire Horse tun das auf wundersame Weise bei „Situations“. Wenig überraschend, als dann wenig später eine Version von „Helter Skelter“ (Beatles) kommt, die Dave Grohl feiern würde. Meine Lieblingspassage bei „Awake“ ist die unisono gespielten Linien von Bass und Gitarre. Bei dem Stück winken Rush und Yes (die aus den 90ern) von weitem zu. „Stormtrooper“ könnte sowas von Nirvana sein. Das Instrumental „Don’t Care“ zeigt Neigungen zum Fusion und die Lust am ausgefeilten Zusammenspiel. Bei „Illusions“ durchbrechen schräge Gitarrenläufe und Tempowechsel den Fluss der wilden Riffs. Der Auftritt ist ein stürmischer Ritt durch die mannigfaltige Musikfantasie der drei Niederländer. Wirklich beeindruckend.
Wo ordnen sie sich selbst ein?, frage ich hinterher im Gespräch mit Kevin Stunnenberg, der ganz schön zurückhaltend ist, und Drummer Guy Pek. Ihre Antwort: Zwischen solidem Powerrock und Post-Grunge. Dock Pek sagt, sie alle seien stark von der Musik der 60er bis 90er Jahre geprägt worden und das fließe in die Musik stark ein. Es sei kein Zufall, dass sie auch einen Beatles-Song auf die Setlist aufgenommen hätten. Es war der erste Auftritt der Band in Deutschland, sicher nicht der letzte.