Lasst uns fliegen: Riverside geben in der Kantine Köln ein magisches Konzert

Riverside in der Kantine Köln FOTO: Peter "Beppo" Szymanski

Riverside gehört zu jenen organischen Rockbands, für die Entwicklung Teil des Konzepts ist. Seit ich 2007 das polnische Progressive-Rock-Quartett zum ersten Mal gehört habe, ist es daher immer wieder ein spannendes Vergnügen, sie live zu erleben. Schon geringe Nuancenverschiebungen im Gefüge lassen neue Stimmungen aus ihrer Musik wachsen. In der Kölner Kantine erleben die mehr als 500 Fans ein fast zweieinhalbstündiges Live-Konzert, bei dem es viel zu entdecken und noch mehr zu genießen gab.

Von Dylan Akalin

Das fängt schon beim Opener an. Die gut 14-minütige Version der dreiteiligen Nummer „The Same River“ hat mehr Transzendenz denn je, selbst wenn bei der steigenden Dynamik auch mal die Moll Pentatonik aus den Saiten schimmert. Mariusz Dudas Gesang dringt mit viel Hall und Echo wie aus den kühlen Hallen eines Klosters durch den Club, der dann von sägenden Gitarren mit ganz viel Sustain unterstützt wird. Das Zusammenspiel von Gitarrist Maciej Meller und den vollen E-Piano-Akkorden von Michał Łapaj am Ende des Stücks sorgt für Gänsehaut am ganzen Körper. So darf es weitergehen.

Bei den tanzbaren Rhythmen, die ein wenig an The Cure erinnern, und der leichten Melodie von „#Addicted“ geht die Gitarre fast ein wenig unter. Eher sperrig geht es da bei „Rainbow Box“ zu. Es ist 20.25 Uhr, als uns Riverside wieder mitnimmt auf einen magischen Flug. „Story of My Dream“ beginnt mit Keyboard-Fanfaren a la Genesis und einem fetten Drum-Einsatz von Piotr Kozieradzki, dass man meint, der Sound trägt einen gleich weg. Ab hier gibt es für die Band nur eine Richtung: immer weiter zu neuen Höhen.

Schon mit dem im Februar 2016 unerwartet verstorbenen charismatischen Gitarristen Piotr Grudziński hat die Band sich immer mehr vom Metal-Sound wegbewegt. Die Wurzeln des sympathischen Bartträgers lagen ja eindeutig im Metal. In den letzten Jahren betonte er stets, dass ihm Melodien und die musikalische Transformation von Emotionen immer wichtiger wurden.

Maciej Meller!

Für mich setzt Maciej Meller, der 2017 zur Band stieß, genau diesen Prozess konsequent fort. Wenn Grudziński an der Gitarre der freiheitsliebende Easy-Rider-Fahrer war, ist Meller eher der zauberische Vogel, der die Schwingen ausbreitet und sich davontragen lässt. Seine Arbeit mit dem Volume-Pedal und das Spiel mit anhaltenden Tönen ist himmlisch. Passagenweise assoziiert man da auch die Spielweise von Steve Hackett. Bei „Escalator Shrine“ scheint er am Ende des ersten Teils die Töne geradezu aus dem Hals der Gitarre zu schälen und sie fast ewig dahingleiten zu lassen – bis ein Break und die folgende kurze totale Stille sie stoppt. Dann treiben Bass und Drums das Stück an, Michał Łapajs Orgelspiel wird immer wilder und wechselt von funky zu bluesigen Figuren. Orgel und Gitarre liefern sich ein heftiges Call and Response. Duda setzt sich vor das Schlagzeug und folgt dem Spiel wie einem Tennismatch. Irgendwann wird wohl jedem im Saal klar, worein das alles mündet: Deep Purples „Black Night“. Was für ein Spaß. Und was für ein irrer Bogen, dann aus dieser Stimmung plötzlich in Pink Floyd-Modus zu geraten. Die 20-minütige Version endet in einem Wirbel aus phrygischen Modi, in dem ein gregorianischer Chor die Fassung verliert. Großartig.

Riverside in der Kantine Köln FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Das Piotr Grudziński gewidmete „Towards The Blue Horizon“ erstaunt im Mittelteil mit grollenden Keyboard-Sounds, wechselnden Launen und einem schrägen Schlussteil. Nach der Akustiknummer „Time Travellers“ von Duda, zeigt sich Łapaj bei „Egoist Hedonist“ als tanzender Derwisch an den Keyboards.

Eindringlich

Die politischen Verhältnisse in Polen deutet Duda zu Beginn von „We Got Used to Us“: „Ihr wollt da nicht sein“, sagt er, und es schnürt einem den Hals zu, als er diesen durchdringenden Song performt, in dem es um unechte Freundschaften, aber auch um die Fragilität von gegenwärtigen Realitäten geht, um Sprachlosigkeit, um Hilflosigkeit. Das muss man Duda lassen. Seine Lyrics sind ganz schön eindringlich und intelligent, wie er mit wenigen Zeilen so wahnsinnig viel sagen kann. Dazu die unsterblichen Sounds von Keyboard und Gitarre, die effektvollen Drums. Schöner kann Progrock live kaum sein.

Riverside in der Kantine Köln FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Ein irrer Fuzz Bass leitet in „Panic Room“ ein, bei „Second Life Syndrome“, dem letzten Stück im regulären Set, tänzelt er. Techno-Rhythmen begleiten orientalische Bassläufe. Das letzte Stück folgt einer Dramaturgie eines Stephen King: Aus einer scheinbaren Normalität entwickelt sich ein kaum auszuhaltender spannender Zustand und endet in einem lichtdurchfluteten Happy End, das nur ein knarzendes altes Radio stört. Irre.

Als Zugabe gibt es „Left Out“ und „Conceiving You“. Dass mitten in „left out“ der Gitarrenverstärker streikt… Band und Publikum nehmen’s mit Humor. Ein toller Konzertabend, der niemanden gleichgültig gelassen haben dürfte.