Rolf Kühn, der Gentleman des Jazz und Erforscher von neuen musikalischen Wegen, ist tot

Rolf Kühn starb jetzt im Alter von 92 Jahren FOTO: Dylan Cem Akalin

Im Mai haben Jazzfans noch einen recht agilen und wunderbar aufspielenden Rolf Kühn beim Jazzfest Bonn gefeiert. Jetzt ist die Jazzlegende im Alter von 92 Jahren in Berlin verstorben. Das teilten seine Ehefrau Melanie, sein Bruder Joachim und das Label Edel/MPS mit.

Von Dylan Cem Akalin

Rolf Kühn hatte ein bewegtes und ungewöhnliches Leben. Er gilt als einer der ganz großen deutschen stilprägenden Jazz-Musiker, hat mit Legenden wie Benny Goodman und Billy Holliday gespielt und große Orchester geleitet. Geboren 1929 in Köln, aufgewachsen in Leipzig, war seine Kindheit durch Repressionen geprägt, die er als „Halbjude“ im Dritten Reich zu ertragen hatte.

Der Vater war Akrobat. Weil seine Frau, Rolfs Mutter, Jüdin war, flog der Vater aus der Reichstheaterkammer, und sie erhielt den blauen Brief für die letzten Transporte nach Theresienstadt. Doch glücklicherweise kamen die Amerikaner dem Transport in den Tod zuvor.

In dieser Zeit widmete sich Rolf Kühn seiner geliebten Klarinette. Mit 16 hatte Rolf Kühn sein erstes Engagement, bald hörte er seine erste Benny Goodman-Platte. Nach einem Engagement beim RIAS-Tanzorchester zu Beginn der 50er Jahre lebte er für viele Jahre in New York City und spielte als erster Klarinettist in der Band seines einstigen Idols Benny Goodman, gründete eigene Bands und wurde mit dem Downbeat Critics Poll als Clarinet New Star ausgezeichnet.

Er erzählte immer gerne von den glücklichen Zufällen, wie er mit den Birdland Stars of 57 auf Tour ging und Chet Baker in Philadelphia wegen Drogenbesitzes verhaftet wurde. Wie die Polizei in die Garderoben kam und die Musiker auf Einstiche untersuchte. Eines Tages wurde er von Benny Goodman zur Probe eingeladen. Er ließ ihn ein Klarinettensolo spielen – danach blieb er zwei Jahre im Orchester. Oder die Geschichte mit Billie Holiday, die im selben Haus wie er wohnte. Wie er einmal den Hausschlüssel vergessen hatte und bei ihr klingelte. Mitten in der Nacht und von ihr aufs Übelste beschimpft wurde. Später spielte er in ihrer Band.

Es folgte eine lange Station in Hamburg beim NDR, bis es ihn wieder nach Berlin als Musikalischer Leiter des Theaters des Westens zog. Rolf Kühn hat eine Vielzahl von Alben auf MPS veröffentlicht und hunderte Musiken für Film und Fernsehen komponiert. Sein Lebenswerk wurde 2019 in der TV-Dokumentation „Brüder Kühn – Zwei Musiker spielen sich frei“ dokumentiert. Ein sehr sehenswerter Film, der sich den beiden deutschen Jazzmusikern von Weltrang widmet: Rolf Kühn, Meister der Jazz-Klarinette, und Joachim Kühn, der einzigartige Klaviervirtuose. Der Dokumentarfilmer Stephan Lamby erzählt da die außergewöhnliche Lebensgeschichte der Brüder Rolf und Joachim Kühn und beobachtet sie auf ihren Tourneen. Es ist gleichzeitig eine Zeitreise durch die deutsche Geschichte – aus Sicht der beiden Musiker. Er schildert die Anfänge der Kühns als Zirkusfamilie, erzählt von der schrecklichen Zeit unter den Nazis und während des Krieges, Joachims Flucht aus der DDR, ihre Karrieren in den USA und Europa und beschreibt die liebevolle Beziehung zweier Brüder, die ihre menschliche und musikalische Freiheit genießen.

Rolf Kühn gab bis zuletzt Konzerte auf den großen Bühnen der Welt von New York bis zur Elbphilharmonie. Unvergessen der Konzertabend mit Bruder Rolf 2018 im Villinger Franziskaner. „Rolf wird immer als der inspirierende, sanfte, innovative und jung gebliebene Künstler und Mensch in Erinnerung bleiben, der er war. Seine Musik wird unvergessen bleiben“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung zum Tod des Grandseigneurs des Jazz.

Was Rolf Kühn bis zuletzt ausmachte, war nicht nur sein ungewöhnlicher Klarinettensound, der so überhaupt nichts mit diesem hölzernen, klagenden Sound zu tun hatte, den man deshalb bei Bestattungen in New Orleans in der Frühzeit des Jazz so schätzte. Rolf Kühn war einer der wenigen Interpreten, der der Klarinette einen coolen Charakter im zeitgenössischen Jazz verschafft hat. Im Mai erlebten die Zuschauer in Bonn, dass der 92-Jährige nichts von seiner Experimentierfreudigkeit und der Lust an der musikalischen Interaktion verloren hatte.

Bis zuletzt ging er fast täglich ins alte Rias-Gebäude, aus dem heute Deutschlandradio Kultur sendet und wo er seinen Probenraum hatte. Rolf Kühn wird als stets elegant gekleideter Gentleman und Forschender von neuen Wegen des Jazz in Erinnerung bleiben.