Zehn Jahre Kunst!Rasen Bonn: Gespräch mit Veranstalter Ernst-Ludwig Hartz

Ernst-Ludwig Hartz FOTO: Dylan Cem Akalin

Es läuft auf dem KunstRasen Bonn. Zweimal ausverkaufte Shows von My Chemical Romance, tolle Stimmung bei Deep Purple, zufriedene Fans bei Nico Santos, das Konzert von Sting am kommenden Sonntag ist schon seit Jahren ausverkauft. Mehr als 80.000 Besucher werden in diesem Jahr die Konzerte auf dem KunstRasen in Bonn besuchen. Die Open-Airs auf der Insel Grafenwerth in Bad Honnef musste er indes wegen Klagen des BUND verhindert. Wir sprachen mit Veranstalter Ernst-Ludwig Hartz.

Fast zwei Jahre ohne Konzerte – „das war eine schlimme Zeit“, sagt Hartz. „Ich habe mich ein wenig damit arrangiert, indem ich mal wieder alte Platten aufgelegt habe oder alte Konzertvideos vom Rockpalast angeschaut habe. Aber das ist natürlich kein echter Ersatz für das Liveerlebnis.“ Es fehlte etwas. Das Gefühl kennt jeder Musikfan. „Und je länger dieser Zustand anhielt, desto unzufriedener wurde man.“

Besonders leidgetan habe es ihm in der Pandemie für die Fans, die sich so gefreut hatten. „Bei Sting war es nach der Absage wegen Krankheit in 2019 noch ärgerlicher. Und dann gibt es ja noch Künstler, die ihre Konzerte nicht nachholen, wie Lionel Richie, der die gesamte Tour abgesagt hat. Für das Konzert in Bonn waren 7500 Karten verkauft. Billy Idol ist erkrankt. Das Konzert mussten wir dann in den Oktober nach Düsseldorf verlegen. Das waren zwei tolle Termine, die uns für den KunstRasen gut zu Gesicht gestanden hätten“, meint der Veranstalter.

Fans in Deutschland noch zurückhaltend

Tatsächlich sind die Fans aber nach wie vor zurückhaltend. „Wir haben festgestellt, dass in Deutschland im Vergleich zu Holland und England die Besucher noch nicht wieder im back to live Modus sind, die Verkäufe sind weiterhin zurückhaltend – bis auf die Mega Acts“, erzählt er von den Gesprächen auf Branchentreffen in London und Berlin. „Wenn ich mir andere Länder anschaue, etwa Pinkpop in Holland oder die Konzerte im Hyde Park in London, wo ich gerade unter anderem die Rolling Stones und die Eagles gesehen habe, da ist doch schon eher Business as usual. Da gehen die Leute wieder ganz normal zu Konzerten und Festivals. In Deutschland merken wir, das wurde beim Branchentreffen wieder deutlich, dass die Leute nach wie vor sehr vorsichtig sind – vor allem bei Hallen- und Clubkonzerten. Die Mega-Acts laufen zwar, weil die Menschen wissen, dass das ein besonderes Ereignis ist, was es vielleicht nicht mehr so bald zu sehen gibt. Aber was das Mittelfeld betrifft, das haben mir auch Ticketmaster bestätigt, sind die Verkäufe nach wie vor zurückhaltend.“

Ernest mit Pinkpop-Legende Jan Smeets. Der 77-Jährige hat das Zepter dieses Jahr weitergereicht. FOTO: Privat

Selbst der Veranstalter von Rock am Ring bemerkte kürzlich noch eine gewisse No-Show-Quote. Allgemein spricht man in der Branche von fünf bis 25 Prozent von Ticketkäufern, die zu einem anstehenden Event nicht erscheinen. „Die Kunden haben natürlich die Möglichkeit, die Tickets auch nach dem Konzert noch zurückzugeben. Das habe ich gerade beispielsweise bei Patti Smith schmerzlich bemerkt“, sagt Hartz.

Die Pandemie machte es Veranstaltern schwierig vorauszuplanen, Künstlern ihre Touren vorzubereiten, und Kunden überlegen intensiver, ob sie noch ein Ticket für ein weit im Voraus angesetztes Konzert kaufen sollen. „Neue Shows verkaufen sich schlecht – außer Top-Acts. Ich hoffe, nachdem die ersten Open Airs in Bonn waren, bekommen auch die Bonner wieder mehr Lust auf Livemusik“, meint Hartz, der schon seit 45 Jahren im Geschäft ist und schon Megaevents mit Michael Jackson und U2 organisierte.

Probleme auf der Insel Grafenwerth

Und dann kommen auch noch andere Widrigkeiten hinzu – wie die kurzfristige Absage der Konzerte auf der Insel Grafenwerth. „Die Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung und Bürgermeister Otto Neuhoff waren sehr gut. Wäre da nicht die Klage vom BUND gewesen. So etwas habe ich, seit wir Open-Air-Konzerte veranstalten – im Sommer 1987 – noch nie erlebt. Klar, die Bestimmungen und Auflagen waren damals ganz andere als heute“, sagt Hartz. Waren die Probleme nicht abzusehen? „Aus unserer Sicht nicht – beim letzten Konzert dort mit Joan Baez im Juli 2019 gab es keine Schwierigkeiten. Der Fehler liegt, glaube ich, in der Abstimmung zwischen dem Rhein Sieg Kreis und der Stadt Bad Honnef. Wir hatten den Antrag am 03.03.22 für die Konzerte 2022 gestellt. Nein, das Problem liegt darin, dass der BUND meinte, kurz vor Start der Konzerte klagen zu müssen. Das war einfach Pech, und ich habe beschlossen, auch die restlichen Konzerte von Zaz und Nick Mason nach Köln zu verlegen. Wichtig war mir, dass die Künstler und Besucher Planungssicherheit bekommen.“

Was sich aber eben auch mit den Jahren geändert habe: Das Publikum ist älter geworden. Jedenfalls für solche Shows. Und sie können nicht mehr so lange stehen. „Die Reaktionen waren entsprechend, dass Ältere sagten, sie wollen nicht zu einem unbestuhlten Konzert… Das ist ein Thema. Andere sind aber froh, dass Patti Smith oder Nick Mason nach drei Jahren endlich auftreten. Es war aber einfach so, dass wir bei einer Bestuhlung im E-Werk und Palladium in Köln die Besucher gar nicht hätten unterbringen können.“

Open-Airs in Städten

Open-Airs in urbanen Räumen werden immer schwieriger. Aber Hartz findet, dass solche Formate immer noch in die Städte gehören. „Open Air ist immer noch ein großes Thema, die Leute wollen im freien feiern und Musik erleben- Das zeigen ja auch die Festivals wie Pinkpop oder Rock am Ring. Aber die behördlichen Auflagen und die Lärmproblematik machen das alles nicht einfacher. Daher war ich froh, dass ich mit dem Roncalliplatz in Köln und der Insel Grafenwerth neben dem KunstRasen weitere schöne Open-Air-Plätze aufgetan hatte – und einmalig dieses Jahr die Hofgartenwiese. Und die Menschen wollen da hin, das sieht man ja an dem Zuspruch.“

Einmalig wird der Hofgarten an der Uni Bonn Platz für exklusive Konzerte von Kraftwerk, Robbie Williams, Fanta4 und Deichkind. „Wir freuen uns sehr, dass die Universität und die Stadt uns die Möglichkeit gibt, diesen schönen Platz einmal zu bespielen. Geplant war das ja schon 2020 im Rahmen Beethovens 250. Geburtstag.“

Rückblick auf zehn Jahre KunstRasen

In Bonn startete der KunstRasen 2012 holprig. Es gab Beschwerden, Klagen und sogar eine Brandstiftung. Dennoch hat sich das Veranstalterduo aus Hartz und Martin Nötzel nicht davon abbringen lassen weiterzumachen. Hat sich die Mühe gelohnt? Hartz: „Auf jeden Fall! Als Martin und ich einen Ersatz für die Museumsmeilenkonzerte gesucht haben und dann den KunstRasen ins Leben gerufen haben, übrigens dank einer Entscheidung des damaligen OB Jürgen Nimptsch im Dezember 2011, konnten wir nicht ahnen, wie sich das entwickelt. Künstler und Besucher lieben den KunstRasen. Wincent Weiss, Simple Minds oder Sarah Connor sind das dritte Mal, Deep Purple und Boss Hoss zum zweiten Mal zu Gast.“

Bob Dylan und Patti Smith war die ersten Künstlerinnen dort und waren begeistert – auch, weil es da noch keine Lärmschutzwand gab und die Künstler während ihres Auftritts einen freien Blick auf die Rheinkulisse hatten. Das erste Jahr hatte mit einem Hammerprogramm begonnen. Mit Lou Reed, Jan Delay und Cro, Dylan, Patti Smith… Deep Purple waren jetzt zum zweiten Mal auf dem KunstRasen.

Ernest mit Devon Allman. FOTO: Privat

Zehn Jahre KunstRasen. Wie sieht die Bilanz aus? Hartz: „Gemischt, die ersten Jahre waren sehr schwierig und ohne die Unterstützung von Ticketmaster Klaus Zemke wäre es schwierig geworden. Inzwischen müssen wir jedes Jahr einige Künstler ablehnen, weil es sonst zu viel Termine wären oder die sogenannten seltenen Ereignisse schon ausgeschöpft sind. Das Publikum liebt den Platz, die Künstler auch.“

Der KunstRasen ist mittlerweile eine Bonner Marke geworden – mit 80.000 bis 90.000 Besuchern jedes Jahr. Es gebe eine gute Zusammenarbeit mit der Stadt, sagt Hartz, „aber eine besondere Anerkennung bekommen wir nicht“. Das Konzept hat sich in den Jahren etwas gewandelt. Aber die Szene hat sich ja auch gewandelt, und es gibt eine ganze Reihe von deutschen Künstlern, die richtig erfolgreich sind. Jetzt kommen sogar Schlagerstars wie Roland Kaiser. „Als wir anfingen, hätte ich das nicht gedacht, aber nur mit einem bunten Mix funktioniert so eine Spielstätte. Man muss das Angebot so breit wie möglich gestalten. Leider laufen neuere Künstler in Bonn oft nicht so gut wie in Köln – wie wir es zum Beispiel mit Passenger, Angus & Julia Stone, Steven Wilson oder Parvov Stellar erlebt haben.“ Er sehe es auch bei Konzerten in der Harmonie, dass neuere Themen beim Bonner Publikum schwer ankommen. „Bonn ist eher traditionell“, sagt Hartz.

Von nervigen Stars

Was war bislang sein absolutes Highlight? Hartz: „Das sind mehrere. Im ersten Jahr gab es einige Highlights für mich – die Eröffnung mit Lou Reed, die Party mit Jan Delay, Bob Dylan, Santana, Crosby Stills & Nash, Steve Winwood oder Jean-Michel Jarre.“ Dieses Jahr freue er sich vor allem auf die Auftritte von Sting und Toto.

Hartz macht den Job nun schon fast 45 Jahre. Zum Prinzip eines Veranstalters gehört auch die diplomatische Zurückhaltung bei der Erzählung, was Backstage alles so abgeht. Mal ehrlich: Wer hat ihn am meisten genervt? Wer hat die ausgefallensten Wünsche? „Das ist in den letzten Jahren Gott sei Dank deutlich weniger geworden, in den 80er und 90er Jahren waren die Künstler und das Drumherum oft sehr anstrengend. Das hat sich heute auf ein relativ normales Maß reduziert.“ Anstrengend, sagt er nach mehrmaligem Nachbohren, sei früher Lemmy von Motörhead gewesen. Nicht mal Michael Jackson. Der habe eine sehr aufwendige Produktion im Müngersdorfer Stadion im Sommer 1997 gehabt. „Und ja, er hatte eine anspruchsvolle Liste fürs Catering. Aber ansonsten lief das mit dem Künstler alles sehr professionell.“

Und wer war oder waren die Liebenswürdigsten? Hartz: „Da gibt es einige: Wolfgang Niedecken, Steve Winwood, Warren Haynes, Johnny Cash oder Joe Strummer.“ Johnny Cash? The Man in Black? Der Mann, der immer so mürrisch wirkte? „Ich habe ihn zweimal veranstalten dürfen: 1994 und 1997. Nach dem Konzert kam der Manager zu mir und sagte, ob ich mal mitkommen könnte, Mr. Cash wollte sich bei mir bedanken. Sowas kommt sehr sehr selten vor. Und dann stand ich vor Johnny Cash und seinen 1,90 Meter. Im schwarzen Mantel, Hut auf. Und reichte mir seine Pranke. Wir haben ein paar Sätze gewechselt. Das war ein sehr bewegender Moment.“

Und Joe Strummer von der britischen Punk-Band The Clash? Den hatte er für das Bizarre-Festival gebucht, und das jüngere Publikum kannte den kaum. „Er hatte einen echt schwierigen Stand“, erinnert sich Hartz. „Er hatte dennoch einen wirklich tollen Auftritt. Und er kam hinterher und bedankte sich, dass ich ihn gebucht hatte. Sowas erlebst du selten.“

Wen hätten Sie denn gerne mal nach Bonn geholt oder überhaupt mal gerne veranstaltet? Gibt es noch sowas wie Träume und Leidenschaft, wenn man das so lange macht? „Da gibt es einige, die ich gerne nach Bonn geht hätte – oft scheitert es dann am Tour-Zeitraum, der Kapazität oder der Lautstärkebegrenzung, zum Beispiel Neil Young & Crazy Horse. Und wenn es nicht möglich ist, einen Künstler nach Bonn zu bekommen, dann schaue ich ihn mir eben in einer anderen Stadt oder in London an. Die Planung für 2023 läuft schon auf Hochtouren. Auch gerne nach Bonn würde ich neben Neil Young gerne mal John Mayer holen. Jetzt freue ich mich erst mal auf Sommer 2022.“