Von Cem Akalin
Als Stadt, schrieb einmal der Ökonom Richard Florida von der University of Toronto, könne man im internationalen Wettstreit nur mithalten, wenn man ein Klima schaffe, in dem sich junge Kreative wohlfühlen. Im Wettbewerb um Fachkräfte und Investoren, internationale Institutionen und Unternehmen spielen nicht nur flexible Büroräume und technische Infrastruktur eine Rolle. Das haben viele Kommunen und Länder längst erkannt.
Populäre Kultur, Musik zum Beispiel, ist ein bedeutender Faktor geworden. Hamburg leistet sich seit 1987 das RockCity, einen von der Stadt geförderten Verein, der sich um alle Aspekte der Musikszene kümmert: von der Vermietung eines Tourbusses bis zur juristischen Prüfung von Verträgen. Zum Leistungsspektrum gehört auch die Verwaltung des „Live Concert Accounts“, den die Kulturbehörde zur Stärkung der Livemusik bereithält: Die Clubs können sich Zahlungen an die GEMA erstatten lassen. Dieses Finanzierungskonzept hat die Kulturbehörde mit RockCity Hamburg und der GEMA entwickelt.
Das Land Bayern kündigte kürzlich auf einer Fachkonferenz der Initiative Musik „Plan! Pop 12“ an, Anlaufstellen für Pop und Rock zu bilden. In Baden-Württemberg ließ Ende der neunziger Jahre die Landesregierung eine Bestandsaufnahme zur Rock- und Popmusik im Bundesland erstellen. Ergebnis: Eine ernst zu nehmende Musikwirtschaft gab es kaum noch. In der Folge wurde die gesetzliche Grundlage für die 2003 in Mannheim eingerichtete Popakademie Baden-Württemberg geschaffen. Heute gehört Mannheim zu den innovativsten Standorten für Populärmusik in Europa.
Und was leistet sich Bonn? Eine Kommune mit etwa 30.000 Studenten, die internationale Stadt der Wissenschaften und Kultur, wie sie sich gerne darstellt? Hinter verschlossenen Türen tagten in den vergangenen Wochen etliche Runde Tische. Erst nach Protesten aus der Pop- und Rockszene wurde ein „Untertisch Populärmusik“ gebildet. Am kommenden Mittwoch wird es im Kunstmuseum ab 18 Uhr im öffentlichen Hearing unter anderem um diesen Kulturbereich gehen. Aber wird das reichen, um in Bonn etwa eine Clubszene zu etablieren? Um ein Klima zu schaffen, in dem sich ein attraktives subkulturelles Milieu entwickeln kann?
Dass das dringend nötig ist, stellte der Städteplaner Professor Kunibert Wachten kürzlich bei seinem Schlussbericht zum „Masterplan Innere Stadt Bonn“ heraus. „Neben der Hochkultur müssten mehr Räume für subkulturelles Leben in der Stadt entwickelt werden“, sagte er. Planerisch bedeute dies, Bereiche der „Inneren Stadt“ offen zu halten, damit sich dort „kreative Milieus“ bilden können. Die Bonner Kulturlandschaft, meinte der Professor, der an der Universität Aachen lehrt, müsse noch vielfältiger sein, „um im nationalen und internationalen Konzert der Städte konkurrieren zu können“.
Subkultur – das steht heute längst nicht mehr für trashigen Gruppen. Selbst wenn: Die Welt ist bunter geworden mit Hippies, Punks, Wavern, Rockern, Technokids und Hip-Hoppern. Aber Kulturforscher haben heute eine starke Stildurchmischung festgestellt, im Gegensatz zu früheren Zeiten, als sich die verschiedenen Szenen scharf voneinander abgrenzten. Heutige Jugendliche konsumieren gleichzeitig Musik- und Modestile unterschiedlichster Richtungen. Für sie sind das keine Widersprüche, wenn jemand gleichzeitig HipHop, Heavy Metal, Punk und Techno hört.
Wenn Städteplaner Wachten also von Freiräumen für die Entwicklung einer Subkultur spricht, denkt er nicht an die Hausbesetzerszene am Hamburger Hafen, sondern daran, dass gerade für die Innenstädte händeringend nach Konzepten gesucht wird, wie sie wieder belebt werden können. Eine Forderung lautet, die Zentren auch fürs Wohnen attraktiver zu machen. Ebenso wichtig ist es, dort Kulturangebote zu schaffen. Die Konsumpaläste des Einzelhandels müssen sein, doch nach Geschäftsschluss fegt heute nur der Wind durch die Fußgängerzonen.
Auch die Quartiere in den Stadtbezirken bieten reichlich Potenzial für Kulturtempel: die ehemalige Kurfürstenbrauerei an der Bornheimer Straße, die Tapetenfabrik in Beuel, Fassbender in Bad Godesberg, wo Haribo vielleicht mal ein Museum bauen will. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Oder doch? „Die entscheidende Frage ist doch, welche Akzeptanz die Populärmusik bei Stadt und Politik hat“, sagt Holger Jan Schmidt, früherer Geschäftsführer der Rheinkultur, die in diesem Jahr erstmals seit 30 Jahren nicht veranstaltet wird. Im Prinzip gebe es mit der Endenicher Harmonie nur einen richtigen Livemusikclub in Bonn.
Schmidt, der mit Sabine Funk die Agentur BN*PD / Bonn Promotion Dept. leitet, hat völlig recht: Auch die Lokale Kult 41, Nyx, Bla und die Zone bieten regelmäßig Konzerte, aber in einem deutlich geringerem Umfang, was auch den engen Räumlichkeiten geschuldet ist. Aber wirklich konkurrenzfähig ist das Angebot an Pop, Rock und Jazz nicht. Das Jazzfest Bonn, auf dem der Saxofonist Peter Materna einmal im Jahr deutsche und internationale Jazzgrößen präsentiert, ist ein Höhepunkt im Jahreskalender dieser Stadt. Alle Konzerte sind ausverkauft – was zeigt, dass es ein großes Interesse an dieser Kultursparte gibt. Und das, obwohl auch Köln diesbezüglich viel zu bieten hat.
„Wer etwas erleben will, fährt nach Köln“, sagt Schmidt. „Was wir brauchen, sind Entscheidungsträger, die den verschiedenen Zielgruppen ein breites Kulturspektrum anbieten wollen und die schlechten Bonner Rahmenbedingungen verändern. Das geht nur, wenn man die Initiativen, die es ja gibt, auch fördert. Aber welche aktive Unterstützung erfahren sie?“
„Keine“, meint Martin Nötzel, der mit Ernst-Ludwig Hartz die Open-Air-Reihe Kunst!Rasen veranstaltet. Als sie bei der Wirtschaftsförderung der Stadt kürzlich nach Werbeunterstützung gefragt hätten, habe man ihnen die Telefonnummer einer Firma für Außenwerbung gegeben. „Ich habe dann nachgefragt, ob die Stadt bei der Suche nach Sponsoren helfen könnte. Die Antwort war ein Achselzucken.“ Die Bonner Szene finde einfach kein Gehör bei der Stadt, sagt Nötzel.
Das sieht in Köln ganz anders aus. Manfred Post ist wohl das, was man einen „Alt-68er“ nennen darf. Der bekennende Raucher und Che-Guevara-Fan arbeitet seit 1989 im Kulturamt der Stadt Köln und war als „Rockbeauftragter“ dafür zuständig, jungen Bands bei der Suche nach Proberäumen und Auftrittsmöglichkeiten zu helfen. Heute nennt sich Manfred Post „Beauftragter für Populärkultur“. Er ist längst eine Institution und trotz seiner fast 66 Jahre im Dienste der Stadt. „Aber nur noch bis Ende des Monats“, sagt er. Dann hat er seine drei großen Projekte in trockenen Tüchern: das Kreativzentrum 4711, wo rund 70 Firmen aus der Musikszene eine neue Heimat gefunden haben, das Netzwerk „Sound of Cologne“ und den Music Export Cologne – eine Einrichtung mit dem Ziel, ortsansässige Musikunternehmen und Musiker bei der Vermarktung ihrer Produkte im Ausland zu unterstützen.
In Köln geht man auf Kreative zu. Schon auf der Website des Kulturamts werden Initiativen aufgefordert, ihr innovatives Projekt vorzustellen. „Dann könnte eine Förderung für Sie in Frage kommen“, heißt es da. Bei Problemen mit anderen Ämtern stehen die Mitarbeiter des Kulturamts beratend und vermittelnd zur Verfügung. Post kann mit seiner Bilanz zufrieden sein. Hinzu kommt die seit 2004 jedes Jahr stattfindende c/o pop (Cologne On Pop), eines der wichtigsten Branchentreffen für elektronische Popmusik, das Zehntausende anzieht.
Besonders bemerkenswert in Köln ist die Zahl der Clubs. 25 Live-Clubs gibt es mittlerweile in der Domstadt: etwa das Gebäude 9 und die Essigfabrik in Deutz, wo vornehmlich Rockbands auftreten, die Kulturkirche mitten im Wohnviertel in Nippes, wo am 8. Juni etwa Suzanne Vega auftreten wird. Auch das E-Werk, das eine Kapazität für rund 2.500 Besucher aufweist. Oder das Palladium für 4.500 Leute. Ein sehr schönes Ambiente hat die Alte Feuerwache, wo Tanztheater, Weltmusik und experimentelle E-Musik zur Aufführung kommen. Das MTC hat etwa die Dimension der Harmonie und bietet ein ausgesuchtes Programm aus Rock, Crossover und HipHop an.
Das Geheimnis der Kölner? „Ich verstehe mich als Lobbyist der Szene“, sagt Post. Der Bonner Szene empfiehlt er, „den Arsch hochzubringen und politisch zu arbeiten. Man muss die Politik für sich gewinnen, sonst läuft nichts.“