Da ist sie wieder, die Rockband, die Musikkritiker und –fans in zwei Lager spaltet. Für die einen ist die Kölner Band AnnenMayKantereit „Deutschlands Rockband der Stunde“ (FAZ), die anderen eine harmlose Studentenpopband mit „viel zu ernst genommener Jungmännermelancholie“ (SZ). Für den Spiegel sind die Kölner „die Revolverheld-Version von Isolation Berlin“, also irgendwie seicht und überflüssig, und für HAZ-Redakteur Mathias Begalke ist AnnenMayKantereit „eine außergewöhnliche neue deutsche Band – auch weil sich ihre Musik viel älter anhört, als man von Mitte 20-Jährigen erwartet“.
Mag sein, dass Christopher Annen (25), Henning May (24) und Severin Kantereit (23), die sich aus ihrer Schulzeit am Schiller Gymnasium in Köln-Sülz kennen, keine Musik für 40plus-Männer machen. Die Texte jedenfalls, die sprechen definitiv junge Menschen an. Die vielen Erklärungen, warum so eine Band, die bis vor kurzem kaum jemand kannte, so plötzlich erfolgreich ist, geraten zu kurz. Die Generation Tumblr, die ihre Gefühle, die das, was sie im Innersten beschäftigt, in kunstvollen Online-Multimedia-Tagebüchern collagiert, die Kommunikation über Whatsapp-Gruppen pflegt und Musikempfehlungen sich über solche Medien schneller verbreiten als über Musikmagazine oder gar die Feuilletons, hat ihre eigenen Maßstäbe. Und AnnenMayKantereit sprechen etwas an, das die Saiten dieser Leute zum Schwingen bringt.
Richtig, sie thematisieren in ihren Songs nicht die Probleme dieser Welt, sie propagieren nicht den Weltfrieden, und zum Flüchtlingsthema gibt es auch keinen Song. Vielleicht ist es genau das, was ihre Fans so schätzen. Annen, May, Kantereit und Malte Huck (Bass, 22, aus Hennef) besingen Dinge, die jeder kennt: Konflikte mit dem alleinerziehenden Vater, Liebe, Trennungsschmerz und kleine Träume. Das mag bescheiden und anspruchslos sein. Und genauso präsentieren sich die vier Jungs auch: Da ist von Rockstarallüren keine Spur. Sie sehen aus wie viele andere auf der Straße (oder im Hörsaal) auch. Sie tragen keine extravaganten Klamotten, und die Arrangements sind es auch nicht. Bodenständig könnte man sagen, wohltuend prunklos und genügsam, auf den Punkt reduziert. Das verblüfft heutzutage so sehr, wie damals 1977 die Dire Straits mit ihrem eher trockenen Sound überraschten.
Die Jungs bedienen sich aus Rock, Pop, Blues, Folk und Jazz. Die Musik klingt spontan, der Sound ist unperfekt, nicht glatt gebügelt und überproduziert wie bei vielen anderen Bands, und sie wirken von einer ungezwungenen Beiläufigkeit, wie es eigentlich nur Element Of Crime beherrscht. Die Songs klingen mal wie Sportfreunde Stiller, die über einen Cure-Rhythmus einen Protestsong wagen („21,22,23“) oder auch schon mal wie ein Gute-Laune-Punk („Krokodil“).
Es ist aber vor allem die rauchig-schöne Stimme von Henning May, die solche Zeilen wie diese („im Song „Länger Bleiben“) freigibt: „Soll ich noch kurz zum Kiosk gehn und dann kauf ich so ne billige Flasche Wein und die trinken wir zu zweit und dann rauchen wir am Fenster.“ Das sind Texte, die Atmosphäre schaffen, Stimmungen erbauen, die jedem bekannt vorkommen. Es geht ums Traurigsein („Erzähl mir von dir um mich abzulenken, wenn das traurige Gedanken-denken beginnt.“), um oberflächliche Beziehungen („Und dann stehst du wieder vor meiner Tür und fragst mich: ‚Wie geht es dir?‘ Und dann sag ich dir was du hören willst – und dann bist du wieder still.“) oder eben einfach um den Schmerz der Liebe:
„An der Haltestelle stehen und es tut weh dich schon wieder so wieder zu sehen.
Und es tut weh, dass wir gleich wieder gehen.
Und es tut weh, dass man sich nur sieht,
weil bei mir so viel Zeug von dir rum liegt das ich nicht mehr ertrage.
Ich halt dich nicht fest.
Und lass dich nicht los.
Du gibst mir den Rest.
Die Tasche ist groß.
Es tut mir Leid Pocahontas.
Ich hoffe du weißt das.“
Das muss nicht jedem gefallen. Viele scheinen indes schon etwas damit verbinden zu können: Die anstehende Deutschlandtour ist längst ausverkauft.
„Alles Nix Konkretes“ ist ein Album, das von der Authentizität der Musiker lebt. Es sind Songs von brennender Anmut, die sich dennoch schnörkellos und direkt im Kopf festsetzen. (Cem Akalin)