New Model Army im Palladium Köln: Auch 2019 ein sensationelles Gastspiel

New Model Army im Palladium Köln FOTO: Peter "Beppo" Szymanski

Die Weihnachtskonzerte von New Model Army im Palladium Köln sind längst Kult. Am Samstag spielten die Briten wieder einmal im komplett ausverkauften Haus – und die Hardcorefans aus England sorgten wie jedes Jahr für sagenhafte Stimmung. Die Truppe um Justin Sullivan wird immer besser. Ein unglaublich tiefgehendes Konzert der Independent-Rocker aus Nordengland, die die Mischung aus Rock, Punk, Folk mit rebellischer Poesie hervorragend beherrschen.

Von Dylan Cem Akalin

Justin Sullivan ist ein moderner Moritatensänger.  Die Songs von New Model Army sind nicht selten schaurige Balladen, Erzähllieder über Wut und Zorn und Traurigkeit und über Missstände, über Armut, Unterdrückung und die Macht der Gemeinschaft, über innere Dunkelheiten und das alles in szenischen Beschreibungen vor grauer, düsterer Kulisse. Und wie im Bänkelsang spricht der 63-Jährige das Publikum direkt an, und das bewegt sich wie eine einzelne organische Einheit im Raum. Vor allem vorne, wo nackte, verschwitzte Oberkörper sich wie in einer irren Prozession in Trance tanzen, stoßen, schlagen.

Geheime Botschaften in der Nacht

22 Songs spielt die Band in rund 120 Minuten, darunter immerhin sieben vom genialen neuen Album „From Here“, vom vorherigen Album leider nur eins, dafür mit „Winter“ aber das eindringlichste – und was für eine geile Version. Sullivan kriecht geradezu in den Song, wie stets bei den Konzerten lediglich von schräg unten angestrahlt, was den Eindruck eines Bänkelsängers, der geheime Botschaften in der Nacht überbringt,  nur noch mehr verstärkt. Er krümmt und windet sich, die Haare wie graue Spinnweben um seinen Kopf, streckt sich wie ein verfolgtes Tier, das sein Ende ahnt. („And I knew that the end was coming and I wished that it was over/Bring me the snowfall, bring me the cold wind, bring me the winter…“) Eindrucksvoll.

New Model Army im Palladium Köln FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

„From Here“ ist ja schon auf dem neuen Album von fast verstörender Anklage gegen unsere Gleichmütigkeit. Was für ein starker Text über Mittelmaß, Selbstüberschätzung und unerschütterliche Gleichgültigkeit. Live präsentiert die New Model Army diese Anklage wie eine hexerische Beschwörung. Schlagzeuger  Michael Dean spielt einen durchgehenden Rhythmus wie im afrikanischem Stammesrausch, Sullivan spricht den Text mehr als dass er ihn singt. Die Faust nach oben gestreckt, spärlich beleuchtet als stünde er im Laternenschein, appelliert er an die Masse wie ein Freiheitsheld vergangener Tage.

Düstere Melancholie

Die Band agiert als Ganzes ganz hervorragend, Marshall Gill (Gitarre), Bassist Ceri Monger, der seine rote Mähne immer wieder nach hinten wirft,  und Keyboarder Dean White, der wo nötig befremdende Sounds erzeugt.  Der Opener „No Rest“ war ja schon ein beeindruckender Start, „Never Arriving“ leitete die bei NMA so bekannte düstere Melancholie ein, „The Weather“ brachte erste Gänsehautmomente, ein Song, der so symptomatisch für die zurückhaltende Spannung ist, die die Band so meisterhaft beherrscht –  immer am Rand des explosiven Ausbruchs zu balancieren. „The Charge“ ist das erste von fünfen aus dem Album „Thunder and Consolation“ (1989), in dem die Band schon Umweltprobleme und soziale Missstände thematisierte.

New Model Army im Palladium Köln FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Einer der Höhepunkte war natürlich „51 State“. Den Song leitete Justin mit Blick auf die jüngsten Wahlen in seiner englischen Heimat mit den Worten ein: „Heute Nacht sind wir Flüchtlinge. Vielleicht kehren wir nie mehr zurück.“ Und die ganze Halle sang mit. „51st State“ erschien 1986 auf ihrem Album „The Ghost of Cain“ und die NMA protestierte gegen die Pro-Amerikanische Politik von Margaret Thatcher. Der Text stammte indes von Ashley Cartwright von den eher unbekannten The Shakes.  

Bilder aus Worten

Auch ein starker Moment: Das Ergebnis der UK-Wahlen habe die Band in Brighten verfolgt, erzählt Sullivan, und da habe er an „Over The Wire“ gedacht, ein Song über den Niedergang einer Hafen- und Industriestadt und den „verlängernden Schatten der Empire-Tage, eine Welt, die wartet, aber nicht gebraucht wird“. Auch so ein Text voller Bilder. Ja, Justin Sullivan ist auch ein glänzender Lyriker, der mit Worten Bilder malt, die von starken Assoziationen und poetischen  Stillleben geprägt sind. Da sammelt sich Staub in vergessenen Fußabdrücken, man reitet geschwärzte Hügel hinab, Asphaltmassen schmelzen in der übelriechenden Luft des Giftes.

New Model Army im Palladium Köln FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Fünf Zugaben gibt es, allesamt tolle Songs: „Ballad of Bodmin Pill“, „125 Mph“, „Green and Grey“, „Betcha“ und mit „I Love the World“ werden die Fans in die Nacht entlassen. Da gibt sich Sullivan nochmal als Antichrist, der darüber lacht, dass die Arche sinkt. „We’ve seen the iron carcass rust and buildings topple into dust“, spuckt er von der Bühne hinab. „Vernarbt und lächelnd, langsam sterbend, werde ich schreien, bis überhaupt niemand mehr übrig ist“ („Scarred and smiling, dying slow, I’ll scream to no one left at all“). Was für ein Schlussstatement!

New Model Army im Palladium Köln FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
New Model Army im Palladium Köln FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
New Model Army im Palladium Köln FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
New Model Army im Palladium Köln FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
New Model Army im Palladium Köln FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
New Model Army im Palladium Köln FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
New Model Army im Palladium Köln FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
New Model Army im Palladium Köln FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
New Model Army im Palladium Köln FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
New Model Army im Palladium Köln FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
New Model Army im Palladium Köln FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
New Model Army im Palladium Köln FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
New Model Army im Palladium Köln FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
New Model Army im Palladium Köln FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
New Model Army im Palladium Köln FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
New Model Army im Palladium Köln FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
New Model Army im Palladium Köln FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski