Hannes Wittmer lädt mit „Das kleine Spektakel“ zu Konzertabenden der besonderen Art. Nicht nur erzählt der Singer/Songwriter seine Geschichte chronologisch anhand seiner Diskografie, er lässt auch die Zuschauer zu Wort kommen.
Von Freda Ressel
Hannes Wittmer, den einige vermutlich noch unter seinem inzwischen abgelegten Künstlernamen Spaceman Spiff kennen, lebt seit einiger Zeit das Experiment aus, wie das Verlassen eingetretener Pfade zu völlig neuen Erfahrungen führen kann. Nach dem Erfolg seines Albums „Endlich Nichts“ machte er eine längere Pause, aus der er nachdenklich und sehr politisiert wiederkehrte und sein Weltbild und künstlerisches Selbstverständnis auf den Kopf gestellt fand. Das aus dieser Erfahrung heraus entstandene Album „Das große Spektakel“ veröffentlichte er zunächst nur als Gratisdownload mit freiwilliger Spendenoption auf seiner Homepage (inzwischen gibt es auch eine Vinylauflage, deren Einnahmen an Ärzte ohne Grenzen gehen), auch Konzerte spielt er seitdem nur noch auf Pay What You Want-Basis. Auf der Solotour, die unter dem Motto „Das kleine Spektakel“ läuft, und die als letztes Lebenszeichen vor einer längeren Pause angesetzt ist, erzählt er, wie er vom 17-jährigen Punk zu dem „politischen Singersongwriterschluffi“ wurde, wie er sich heute beschreibt.
Das Artheater in Köln ist teilbestuhlt und auch abseits der Stühle gut befüllt. Ein Stuhl wird an diesem Abend von unterschiedlichen Menschen in Anspruch genommen – ein grüner Klappstuhl steht neben Wittmer auf der Bühne, daneben ein Mikrofon. Wer etwas erzählen möchte, oder einfach nur einen Song lang von der Bühne zuhören, sei herzlich eingeladen. Zunächst aber bleibt er leer, und Wittmer spielt mit „Weiter“ einen Song, den er mit 17 für seine damalige Punkband geschrieben hat – das klappt auch nur mit Akustikgitarre.
Im Anschluss erzählt er vom angefangenen Sportstudium – „die schlechteste Entscheidung meines Lebens“ – aus dem einzig der Inlineskating-Schein und eine Menge trauriger Lieder resultierten. Davon, wie er aus Versehen sein erstes Album „Bodenangst“ aufnahm. Und wie er das Studium abbrach – „die beste Entscheidung meines Lebens“ und nach Hamburg ging, wo er plötzlich von der Musik leben konnte.
Die Einsamkeit und das mühsame Ankommen in der neuen Stadt sind der Motor für das zweite Album “ … und im fenster immer noch wetter“. Dann das Ausversehen-Konzeptalbum „Endlich Nichts“ mit dem kleinen Hit „Vorwärts ist keine Richtung“ und vielen weiteren schönen Songs wie „Tessatz“ und „Oh Bartleby“. Schließlich: Pause. Nachdenken. Es formen sich Songs, die Zusammen mit Input etwa des Soziologen Hartmut Rosa oder Guy Debord mit seiner „Gesellschaft des Spektakels“ ein Konzept ergeben, vielleicht auch eine Büchse der Pandora – Die Erkenntnis, dass es etwas anderes abseits des Kapitalismus geben muss. Dass die Gesellschaft aktuell vor allem aufgrund von einer Einigung auf menschgemachte Konzepte wie etwa Grenzen oder Geld funktioniert. Dass Wachstum und Leistungsdruck nicht alles sein kann, und dass Freiheit nicht immer Freiheit für alle bedeutet, wenn etwa das Verhalten der westlichen Länder eine Klimakatastrophe zur Folge hat. Das Album „Das große Spektakel“ verarbeitet diesen großen Themenkomplex künstlerisch, Songs wie „Affen“, „Fragen “ oder der inoffizielle Titeltrack „Satelliten“ mit der großartigen Zeile „Wie soll ich mich langweilen, wenn alles mich anschreit in buntesten Farben“ greifen Aspekte auf, sind kryptisch und klar zugleich. Sein Plan, um Veränderung hervorzurufen? Gegennarrative. Alternativen anbieten. Und näher zusammenrücken.
Ein ganz praktisches Beispiel liefert an diesem Abend eingangs erwähnter Klappstuhl, denn dieser wird oft in Anspruch genommen. Spannend dabei ist: Obwohl zwischendurch immer wieder Menschen auf die Bühne kommen und ihre eigene Geschichte dazumischen, zerfasert der Abend nicht, sondern wird eigentlich nur runder, bekommt einen noch persönlicheren Charakter. Zumal der Input unterschiedlicher nicht sein könnte: Der Aachener Musiklehrer, der sich das von Wittmer gecoverte „Volkslied“ von Jan Böttcher wünscht und eine traumhafte zweite Stimme dazu singt. Der junge Mann, der davon berichtet, wie er über seine Therapeutin zu Wittmers Musik gestoßen ist und einige Parallelen zu seinem eigenen Leben fand. Der Mensch aus dem Ruhrpott, der sich dafür entschuldigt, bei einem anderen Konzert betrunken zu Wittmers Gitarre gegriffen zu haben, um jemandem Kettcars „Balu“ vorzuspielen, ohne zu fragen. Eine weitere Person berichtet vom besten Freund, der nicht da sein kann, weil er gerade Vater geworden ist (Nachdem ein Anruf von der Bühne aus leider nicht angenommen wird, verspricht Wittmer, ihm nach dem Konzert auf die Mailbox zu sprechen). Die Klimaaktivistin, die, in Anlehnung an Wittmers Hinweis zu diesem Thema, auf die Kölner Veranstaltungen der nächsten Tage rund um die Großdemonstration am 29.11. aufmerksam macht. Und ein paar Menschen, die einfach Danke sagen möchten.
Um am Ende die Augenhöhe mit dem Publikum endgültig herzustellen, spielt Wittmer die Zugabe „Photonenkanonen“ im Publikum sitzend und unverstärkt. Ihn wie mich erstaunt und erfreut es, dass in diesem Moment niemand sein Handy zückt um den Moment festzuhalten. Stattdessen wird der zarte Song leise, aber passioniert mitgesungen, und man merkt: Das Zusammenrücken funktioniert – zumindest heute, im Kleinen, in diesem Theater in Köln.