Wolfgang Niedeckens BAP beenden vor 8000 Fans ihre Strooßekööter-Tour auf dem KunstRasen in Bonn. Drei Stunden lang gibt es Verzällche un Musik – mit einem prächtig aufgelegten Niedecken und einer erstklassigen Band. Wer bis jetzt kein BAP-Fan war, der ist es spätestens seit Freitagabend. Und neben glücklichen Gesichtern sieht man auch die eine oder andere Träne in den Augen der Fans: BAP macht eine lange Live-Pause.
Von Dylan Cem Akalin
Wolfgang, bliev su, wie de wohrs: Jraaduss! Der 68-Jährige ist schon eine Type. Eine der authentischsten, glaubwürdigsten Figuren im Musikbusiness. Und sicher der bedeutendste Botschafter des Rheinlands. BAP kann alles – außer Hochdeutsch. Als Wolfgang Niedecken „Absurdistan“ als Song ankündigt, den er wegen der inhaltlichen Bedeutung auf Hochdeutsch singe, da muss man doch ein wenig schmunzeln. Vor dem Bild einer zerbombten Stadt singt Niedecken das Lied über die „globale Geisterbahn im kollektiven Größenwahn“. Es geht um Krieg, um Klimawandel, Hunger, Korruption und die Gleichgültigkeit über all die Probleme „op dämm Planet“.
BAP steht eben neben all dem Spaß, den sie verbreiten, auch für politische Haltung – aber es geht auch um Nostalgie, um familiäre Bande, um die Nestwärme des Veedel. Doch der Kölner ist ja bekannt dafür, dass er seinen Dom zwar liebt, aber neben dem starken Heimatgefühl, dem Wunsch nach Geborgenheit, ist der Kölner „Ahnunfürsich“ ein weltoffener Mensch, den es immer wieder in die Ferne zieht. Niedecken hat es nach New Orleans gezogen, wo er sein Solo-Album „Reinrassije Strooßekööter“ aufgenommen hat. Wegzugehen, um anzukommen sozusagen. Ausgerechnet aus der Ferne schreibt er eine Hommage an seine Familie.
Zwischen New Orleans und Chlodwigplatz
Und wir sehen Palmen auf der Bühne, eine üppige Szenerie mit großer Showtreppe und rotem Teppich, wallenden Brokatvorhängen wie in einem herrschaftlichen Haus in den amerikanischen Südstaaten. Und dennoch sehen wir später Schwarz-weiß-Bilder vom Chlodwigplatz.
Der Auftaktsong „Drei Wünsch frei“ startet gleich mit Gesellschafts- und Politikkritik, „Waschsalon“ ist von Frühwerk „Für usszeschnigge!“, und bei „Psycho-Rodeo“ hören wir erstmals die Klasse von Axel Müller mit einem Saxofonsolo. Zu BAP gehören mit Müller, Christoph Moschberger und Johannes Glotz erstmals auch drei Bläser, die Niedecken bei den Aufnahmen zu „Sing meinen Song“ kennen- und schätzen gelernt hat. „Die lassen wir nicht mehr von der Kette“, ruft Niedecken begeistert.
Gut drei Stunden spielt sich Niedeckens BAP durch die Bandgeschichte. Und die Fans lieben es. Neben mir steht eine Gruppe richtiger Hardcore-Fans, darunter eine 1,55 Meter große, quirlige Frau mit ihrem fast zwei Meter großen Berg von einem Mann, die jeden, aber auch jeden Song mitschmettern und tanzen. Drei Stunden lang das Glück in ihren Gesichtern.
Manfred „Schmal“ Boecker im Publikum
Was ist es, was BAP mit den Leuten macht? Da ist natürlich einmal die ungeheure Musikalität der Band. Aber da ist auch Wolfgang Niedecken, der mit 8000 Leuten auf dem Platz verzällt, als stünde er mit ihnen in einer Altstadtkneipe. Intimität erzeugen auf dem großen KunstRasen, dazu gehört Talent und eine gehörige Portion Bodenständigkeit.
Und so plaudert Niedecken mit seinen Fans, spricht einzelne in den ersten Reihen an, die er als Stammgäste bei seinen Konzerten identifiziert. Er erzählt von seiner Mutter, von der er das kölsche Grundgesetz gelernt hat, singt für die Tochter eines Bandmitglieds den „Jebootsdaachspogo“, grüßt und spricht immer wieder Manfred „Schmal“ Boecker. Der Perkussionist und das Gründungsmitglied steht im Publikum. „Weeste noch…?“, ruft er oder „Genau so war’s, oder Schmal?“, wenn er etwa was zur Entstehungsgeschichte von „Ruut-wieß-blau querjestriefte Frau“ erzählt.
Viele im Publikum sind mit BAP groß, einige auch alt geworden. Man steht zusammen, erzählt von seinen ersten Erinnerungen. „Sind hier welche aus Rheinbach?“, fragt Niedecken irgendwann mal. Arme gehen hoch. Auch der von Martina, die längst schon in Köln lebt, aber BAP noch aus ihrer frühen Jugendzeit kennt. „Die habe ich mit 13 zum ersten Mal in der Schulaula gesehen“, sagt sie und zeigt einen Zeitungsausschnitt. Da ist sie 19, und sie hat 1986 eine handsignierte Platte von BAP gewonnen.
Starke Band
Gitarrist Ulrich Rode ist richtig stark, und so bekommt er den nötigen Raum für erstklassige Soli. Während seines Solos bei „Do kanns zaubere“ fliegen ihm sogar ein paar Stofftiere zu. Anne de Wolff ist ein Phänomen. Mal spielt sie Geige, mal ist sie am Waschbrett, singt oder spielt Posaune. Michael Nass gefällt mir sowieso, vor allem, wenn er die Orgel dröhnen lässt – so wie bei „Anna“. Schlagzeuger Sönke Reich ist immer präsent. Der junge Kerl war noch nicht mal auf der Welt als „Verdamp lang her“ 1981 erschien. Und Werner Kopal ist auch wieder gesund und spielt den Bass.
Viele Songs hat Niedecken neu arrangiert. Da kriegt „Diss Naach ess alles drin“ viel New Orleans-Feeling, der Geburtstagsgruß gerät zu einem jazzigen Shuffle. „Ruut-wieß-blau querjestriefte Frau“ klingt ein wenig nach Arlo Guthrie, „Aff un zo“ nach Karibik, wobei das Saxofon am Ende einen wahren Nachtflug hinlegt, „Stell dir vüür“ wie die kölsche Inkarnation von Bob Dylans „Hurricane“.
Und dann gibt es selbstredend auch einen starken Mittelteil mit einem Statement zur Flüchtlingskrise („Ich habe Hochachtung vor dieser 31-jährigen Frau, die das macht, was die Pflicht der europäischen Regierungen wäre“), und dann singt er „Vision vun Europa“ mit einer herzzerreißenden orientalischen Klarinette im Start und Wüstenbildern im Hintergrund. Er ruft auf, für seine Hilfsorganisation zur Wiedereingliederung von Kindersoldaten zu spenden. Schließlich singt er zwei Stücke, „von denen ich eigentlich dachte, dass die mal überflüssig würden“: „Kristallnaach“ und „Arsch huh, Zäng ussenander“.
BAP rühren Rock und Jazz, Boogie und Reggae, kölsche Melancholie und Südstaaten-Blues zu einer ganz eigenen Kraftbrühe mit ganz viel Würze. Am Ende gibt’s dann endlich noch „Verdamp lang her“ und „Jraaduss“. Und dann ist Schluss. „Niemals geht man so janz“, ruft Niedecken seinen Fans noch zu. Dann ist er weg.