Paolo Conte, 82. Zerknitterte Hosen, ausgebeultes graues Jackett, blau-weißes Halstuch. Knollennase, ledrige Haut, verschmitzte Augen. Der Mann fasziniert immer noch mit seinen verschlüsselten Texten, der tiefen, gegerbten Stimme. Mehr als 3000 Fans erleben auf dem Roncalliplatz in Köln einen prächtigen Abend mit dem Cantautore aus dem Piemont.
Von Dylan Cem Akalin
Was sind das für poetische, philosophische Texte voller geheimnisvoller Andeutungen! Schon das Eröffnungsstück unter dem erhabenen Kölner Dom könnte genauso gut „Absinth“ statt „Ratafià“ (ein Likör) heißen – so voller halluzinierender Traumbilder ist der Text. Selbst ein Swing wie „Sotto le stelle del jazz“ verbirgt zahlreiche persönliche Andeutungen. Die zweitausend Rätsel unter dem Jazzmond? Irgendwo bittet er eine Frau, ihn aufzuwecken als die Jazz-Affen tanzen. Paolo Conte. Der Mann sitzt am Flügel, hinter und neben ihm ein elfköpfiges Orchester, alle im Smoking mit weißen, gestärkten Hemden und Fliege, und der Mann beginnt zu singen, mit einer tiefen eindringlichen Stimme, die vom Leben erzählt.
„Come Di“ klingt mittlerweile wesentlich versunkener als früher, auch die Stimme hat nicht mehr die Leichtigkeit von einst. Der Schalk sitzt dem Mann aber immer noch gewaltig im Nacken, wenn er spöttelt: „Schau dir eine Frau an, die dich anstarrt/Wie von einem alten Liebhaber in Neapel gesehen/Mit sehr entfernten Ferngläsern“. Heute hat er bei der Präsentation eine Menge von dem späten Cab Calloway, auch das Orchesterarrangement klingt wie aus den 40er Jahren.
Mit der Eleganz eines Zebras
Mit ruhigem Bass und einer hellen Gitarre wird „Alle prese con una verde milonga“ eingeleitet. Wie der Titel es schon verrät ist der Song in der Vorform des Tango Argentino gehalten, wehmütig, elegisch im Sprechgesang, unbekümmert und mit der „Eleganz eines Zebras“ in der Orchestrierung. Insgesamt etwas langsamer als im Original mit einer bedeutenden Stütze durch Geige und Akkordeon. „Ich bin hier, ich kam zu spielen, ich kam zu lieben, Und heimlich zu tanzen“, singt er voller Sehnsucht in der Stimme. Und das alles natürlich wieder mit unendlich vielen Bildern. Dagegen ist so ein Liedchen wie „Languida“, eine Andeutung an die Metamorphose der Raupen und ein Song über Trennung, vielleicht sogar eine Dreiecksbeziehung, schon fast zu eindeutig für den Liedermacher.
Zu „Snob“ trägt er erstmals eine Sonnenbrille. Der Song ist eine Liebeserklärung an das ungekünstelte, ehrliche Leben: „Wir in der Provinz sind so/Die Dinge, die wir essen/Sie sind so substanziell wie Dinge/Die wir uns sagen.“
Hasardeure im Musikbusiness
Paolo Conte ist ein Mann aus einer anderen, leider schon vergangenen Zeit. Und es scheint, als beklage er das. Er verkörpert etwas, was es heute kaum mehr gibt. Das Geheimnisvolle, die Verschmelzung von Entschlossenheit und poetischer Entrücktheit, rätselhafter Romantik und schleierhafter Erinnerung an Vergangenes. Und so klingt auch das Orchester, in dem Oboe und Fagott, echte Geigen und Akkordeons neben den klassischen Jazzbesetzungen ihren Platz haben. Manchmal denkt man fast, man lausche der Kapelle auf der Titanic, die ungerührt ihr Programm spielt, während die Welt um sie in den Wogen des Meeres versinkt. Paolo Conte gehört zu der aussterbenden Spezies der Hasardeure im Musikbusiness. Irgendwann denke ich plötzlich an Bob Dylan und denke, die beiden müssten sich gut verstehen in ihrer stillen Kommunikation. Das Publikum liegt den Künstlern zu Füßen, aber Paolo Conte findet an diesem Abend kein Wort des Grußes, des Dankes oder des Abschieds. Eine leichte Verbeugung gibt es mal, so wie bei His Bobness. Als das Publikum am Ende nicht gehen will, tritt er kurz nochmal auf die Bühne, grinst und macht die Halsabschneiden-Geste, fährt sich rasch mit der Rechten quer über die Gurgel – und verschwindet. Zu seinem Privatjet, der ihn wieder nach Hause bringt.
Salzige Worte schmecken wie das Meer
Zuvor indes hören wir noch ein paar wunderbare Songs. Die Pause kommt übrigens sehr abrupt nach etwa 40 Minuten. Da hatte er gerade das herzerweichende „Messico e nuvole“ gesungen, als er und seine Musiker plötzlich die Bühne verlassen.
Conte setzte sein Programm schließlich mit dem Stück „Dancing“ fort. Metallische Hörner, afrikanische Trommeln, sogar die Becken klingen kurz und trocken wie Kuchenbleche. Das Baritonsaxofon hat seinen Auftritt bei dem charmanten „Gioco d’azzardo“. Und Conte hat recht, wenn er singt: „Bestimmte Worte scheinen zu weinen, Sie sind salzig, sie schmecken wie das Meer.“
Fast poppig ist „Gli impermeabili“, bei „Madeleine“ hört er dem Akkordeonspieler gedankenverloren zu, als hätte er das Lied selbst zum ersten Mal gehört. Vielleicht denkt er auch an die Frau, an die er die Worte richtete: „Einige Katzen oder bestimmte Männer/Verschwinden im Nebel oder in einer Tapete.“
Zweimal „Via Con Me“
„Via Con Me“ hören wir sogar zweimal, als Zugabe spielt er das Lied nochmal. Und die Fans singen natürlich mit… It’s wonderful…
„Max“ ist sehr rhythmisch gehalten, die Melodie hat eine ganz leichte orientalische Färbung, der Song wäre eine ideale Untermalung eines italienischen Films.
Für mich das Highlight des Abends: „Diavolo rosso“. Die Komposition ist eine Mischung aus Polka, italienischer Folklore, Jazz und Klezmer. Die Solisten sind hinreißend. Was für ein wilder Auftritt der Klarinette, die rasante und elegante Akkordeondarbietung, die Violine entführt uns in russische Ferne. Und dann dieser Gesang! Ein Text wie eine Reise mit dem Teufel durch die Höhen und Tiefen des Lebens, wo blonde Mädchen kleine Ohrringe tragen, die Kerle wie aus Holz geschnitzt, die Frösche aus den Reisfeldern singen, Walzer aus Wind und Stroh sind, die Gerüche nach Lust und Liebe aus den Hotels wehen und Glühwürmchen in der Nacht tanzen. Dieser Mann ist eben ein großartiger Poet, ein Dichter, der die Welt anders sieht als viele von uns. In Farben und Geschichten, die aus der Vergangenheit in die Gegenwart funkeln.