Joan Baez auf der Insel Grafenwerth in Bad Honnef – sogar die Bäume tanzen für sie

Joan Baez auf der Insel Grafenwerth in Bad Honnef. FOTO: Peter "Beppo" Szymanski

So eine traumhafter Atmosphäre auf der Insel Grafenwerth in Bad Honnef. Wunderschöne Location, eine fantastisch aufgelegte Joan Baez und ein Publikum, das all das zu schätzen und zu genießen wusste. Wenn unsere Enkel uns eines Tages fragen: „Was hast du eigentlich am 6. Juli 2019 gemacht?“, dann können wir mit Stolz und Wehmut in der Stimme sagen: Wir waren bei Joan Baez auf der Insel und hatten einen prächtigen Abend.

Von Dylan Cem Akalin

Die immer noch starke künstlerische und emotionale Verbundenheit mit ihrem langjährigen Partner und Weggefährten Bob Dylan ist von Beginn an zu spüren: Warum sonst eröffnet Joan Baez auf ihrer Fare Thee Well Tour 2019 den Konzertabend mit Bob Dylans „Don’t Think Twice“? Dem Song, den Dylan nach einer schmerzlichen Trennung schrieb. Es geht um eine Liebe, die zwar stark ist, aber einfach nicht funktioniert, und darum, sich auszusprechen, damit man sich selbst besser fühlt. Sie wollte nicht nehmen, was er geben konnte, sondern wollte nur, was er nicht geben konnte. Er möchte bleiben, und er möchte, dass sie ihn zurückhält, aber sie tut es nicht.

„Thank you, Bob“

Später hören wir einen weiteren Dylan-Song: Warum also auch „It Ain’t Me“ mit den traurigen Zeilen: „I’m not the one you want, babe/I’m not the one you need/You say you’re lookin‘ for someone/Who’s never weak but always strong…“? Vermisst sie ihn heute noch? Leider haben wir keine Möglichkeit, ihr diese Fragen zu stellen. Nach dem fast zweistündigen Konzert verschwindet die Folklegende in ihrer Garderobe und trifft Freunde – und Bad Honnefs Bürgermeister Otto Neuhoff… Doch sie singt den Song mit einer gewissen Abgeklärtheit, mit großem Selbstbewusstsein und sagt am Ende leise: „Thank you, Bob.“ Und schließlich singt Baez noch „Diamonds & Rust“, den Song, den sie in den 70er Jahren über ihre erste Begegnung mit Dylan 1964 schrieb:

„Well, you burst on the scene
Already a legend
The unwashed phenomenon
The original vagabond
You strayed into my arms
And there you stayed“  

Die 78-Jährige sieht fantastisch aus mit ihrem kurzgeschnittenen, silbernen Haar. Sie trägt schwarze Jeans mit großer silberner Gürtelschnalle, ein graues Top und der Silberschmuck glitzert im Scheinwerferlicht. Sie tritt allein mit der Gitarre auf die Bühne, und, Mann, kann die Frau spielen! „Don’t Think Twice“ hat eine leichte Jim-Croce-Country-Note. Ihr Alter nimmt sie gelassen, erzählt von einer 107-Jährigen, die sie mal bei einem ihrer Konzerte getroffen hat und kündigt mit Blick aufs Publikum Tom Waits „Last Leaf On The Tree“ an: „Ich denke wir alle fühlen uns ein wenig so.“ Sie singt nur wenige eigene Songs, darunter aber ihren Klassiker „Farewell Angelina“, leicht rauchig. Der einstige glasklare Sopran, der ist nicht mehr. Na und?

Joan Baez‘ Abschied

Joan Baez auf der Insel Grafenwerth in Bad Honnef. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Die amerikanische Singer-Songwriterin ist seit genau sechzig Jahren im Beruf. In den frühen 60er Jahren hatte sie ihren Durchbruch mit engagierten Folk-Popsongs wie eben „Farewell, Angelina“, „Love Is Just a Four-Letter Word“ und „We Shall Overcome“ und war zusammen mit Pete Seeger, Woody Guthrie und Bob Dylan einer der wichtigsten Protagonisten der Protestgeneration. Ihr Aktivismus war ihr stets genauso wichtig wie ihre Musik und sie verband beides auf perfekte Weise. Letztes Jahr veröffentlichte sie das Album „Whistle Down the Wind“, aus dem sie an diesem Abend viele Songs präsentierte, und kündigte das Ende ihrer Live-Karriere an.

Sie begründete das mit dem „Niedergang“ ihres Gesangs – das Dilemma eines jeden alternden Sängers und die Frage an sich selbst: Gehe ich das Risiko ein, ein Schatten meiner selbst zu werden, oder höre ich auf, bevor ich lächerlich werde? Leute wie Ian Anderson (Jethro Tull) oder wie jüngst Kim Wilde auf dem KunstRasen Bonn holen sich einen Begleitsänger, damit der die schwierigen Parts übernimmt. Baez entschied sich für den Abschied.

„Ich höre es, und ich fühle es“

Joan Baez auf der Insel Grafenwerth in Bad Honnef. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Es kostet sie nach und nach zu viel Mühe, bekannte sie kürzlich in einem Interview mit einer englischen Tageszeitung. „Ich musste in den letzten Jahren mein Live-Repertoire anpassen. Zum Beispiel habe ich einige Songs gelöscht, weil ich die hohen Noten nicht mehr erreiche. Für andere Songs habe ich die Melodie aus dem gleichen Grund geändert. Das bedeutet, dass ich meine Songs für jede Tour neu erfinden muss. Sobald ich auf der Bühne stehe und die Arbeit erledigt habe, ist meine Stimme in Ordnung. Trotzdem habe ich beschlossen, nicht mehr aufzutreten, weil ich die Arbeit auf diesem Niveau nicht mehr machen möchte.“

Sie müsse doppelt so hart an sich arbeiten, sagt sie. „Ich mag es, wie meine Stimme jetzt klingt. Aber wenn ich meine Stimmbänder flexibel halten will, muss ich vier oder fünf Mal pro Woche trainieren. Und selbst dann geht es immer weiter bergab. Ich höre es, und ich fühle es.“ So offen und selbstkritisch kennen wir sie. Und deshalb liebt das Publikum die Folksängerin.

Gabriel Harris und Dirk Powell

Ab Song 4, wieder ein Tom Waits-Titel, „Whistle Down the Wind“ holt sie ihr „kleines Symphonieorchester“ auf die Bühne: ihren Sohn Gabriel Harris am Schlagzeug und den Multiinstrumentalisten Dirk Powell, der sie auf der Mandoline begleitet – so wie der plötzlich aufkommende Wind.

Josh Ritters „Silver Blade“ ist einfach hinreißend. Die Epopöe ist in der klassischen antiken Dichtkunst geschrieben und transportiert eine leicht keltische Liedform. Der Song gehörte schon im vergangenen Jahr in Köln zu meinen Favoriten.

Seitenhieb gegen Trump

Joan Baez auf der Insel Grafenwerth in Bad Honnef. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Nicht fehlen durfte an diesem Abend auch „Deportee“, den Woody Guthrie über die mexikanischen Einwanderer an der US-Grenze geschrieben hatte und längst zu ihrem Standardrepertoire gehört. Sie widmet ihn allen Flüchtlingen und Einwanderern und fragt sich, „warum wir weiterhin Mauern bauen, anstatt die Hungrigen zu ernähren“. Ein kräftiger Seitenhieb gegen den US-Präsidenten Donald Trump, was vom Publikum mit Applaus unterstützt wird. Das Lied, begleitet von der Violine, klingt, als würde sie ihn irgendwo in einem Camp zwischen geflüchteten Familien singen. Soviel Intimität bei einem Konzert mit 3500 Besuchern erreichen nicht viele Künstler. Die Trauerweide rechts von der Bühne schüttelt die Äste, die Akazien wiegen sich, die Pappeln rauschen – eine perfekte Kulisse.

Donovans „Catch The Wind“ singt sie zweistimmig mit der wunderbaren Grace Stumberg. Mit „No More Auction Block“ erinnert sie an die Proteste gegen die Rassentrennung in Mississippi und Alabama und ihre Zeit mit Martin Luther King in der Bürgerrechtsbewegung. Und natürlich gibt es einen aktuellen Bezug: „Wir bewegen uns in meinem Land immer weiter zurück“, sagt sie. Deshalb hätten alte Freiheitslieder gerade heute ihre Berechtigung.

Aufruf zum Widerstand

Joan Baez auf der Insel Grafenwerth in Bad Honnef. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Matthias Claudius‘ „Der Mond ist aufgegangen“ gehört zu ihrem festen Repertoire in Deutschland so wie auch „Sag mir wo die Blumen sind“. Bei „Another World“ schlägt sie fast wütend in die Saiten, ein Lied über die Verletzlichkeit des Planeten und ein Aufruf zum Widerstand, weil diese Welt dabei ist, zu verschwinden. Zoe Mulfords „The President Sang Amazing Grace“ erzählt vom Besuch Obamas nach einem Anschlag auf eine von Afro-Amerikanern besuchte Baptistenkirche, bei dem neun Menschen während des Gottesdienstes von einem Weißen ermordet werden. Dem Präsident (Obama), der an die Unglücksstelle eilt, fehlen die Worte, und er singt „Amazing Grace“.

Sie performt  „Joe Hill“ und Leonard Cohens „Suzanne“, „The House of the Rising Sun“, das wir vor allem von den Animals kennen und bei dem sie tatsächlich nochmal die hohen Lagen anstimmt. Bei „Gracias a la vida“ kommt ein wenig Leichtigkeit hinzu. Mit „Turn Me Around“ beendet sie ihr Konzert.

Sie sagt „Auf Wiedersehen“

Joan Baez auf der Insel Grafenwerth in Bad Honnef. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Aber das Publikum steht und will mehr, viel mehr. Und sie singt tatsächlich mehr als auf ihrer Setlist steht. Sie lässt das Tor öffnen, damit die viele Zaungäste zur Zugabe auf den Platz können. Und dann singt sie Dylans „Forever Young“, Pete Seegers „Sag mir wo die Blumen sind“, dann das Klagelied eines einsamen, erfolglosen Jungen, „The Boxer“ von Simon and Garfunkel, John Lennons „Imagine“ und „If I had wings“. Es bleibt die Hoffnung. Denn als Joan Baez um 22 Uhr die Bühne verlässt, sagt sie nicht „Farewell“. Sie sagt „Auf Wiedersehen.“

Setlist, Joans Baez Bad Honnef

Don’t Think Twice, It’s All Right (Bob Dylan cover)
The Last Leaf on the Tree (Tom Waits cover)
Farewell Angelina
Whistle Down the Wind (Tom Waits cover)
Silver Blade (Josh Ritter cover)
It Ain’t Me, Babe (Bob Dylan cover)
Deportee (Woody Guthrie cover)
Diamonds and rust
Catch the Wind (Donovan cover)
No More Auction Block (Traditional)
Der Mond ist aufgegangen (Matthias Claudius)
Another World (Antony and the Johnsons cover)
The President Sang Amazing Grace (Zoe Mulford cover)
Joe Hill (Earl Robinson)
Suzanne (Leonard Cohen cover)
The House of the Rising Sun (Traditional)
Gracias a la vida (Violeta Parra cover)
Turn Me Around

Encore
Forever Young (Bob Dylan cover)
Sag mir wo die Blumen sind
The Boxer (Simon & Garfunkel)
Imagine (John Lennon cover)
If I had wings