Ein überragender Jason Moran mit seinem Solopiano-Programm und das sympathische norwegische Duo Helge Lien und Knut Hem sorgten am Donnerstag im Beethovenhaus Bonn für Begeisterungsstürme. Das Publikum konnte einfach nicht genug bekommen. Beide Künstler überzogen ihr Set deutlich.
Von Dylan Cem Akalin
Jason Moran zählt zu den bedeutenden Jazzpianisten der Gegenwart. Er ist einer, der sich zwar von den sogenannten Young Lions, die vor allem in den 90er Jahren die Rückbesinnung zu den Traditionen betonten, distanzierte, aber dennoch steht er fest auf dem Fundament der Jazzgeschichte. Vielleicht der eindrucksvollste Moment ist, als der 44-Jährige James P. Johnsons „Carolina Shout“ ankündigt – ein Initialstück des Harlem-Stride-Piano, das jeder Jazzpianist kennen und spielen sollte. Das Stück, das Johnson schon 1918 schrieb, ist auch sowas wie ein Mahnmal an die unselige Geschichte der afroamerikanischen Bevölkerung. „Es entstand in einer Zeit, in der es immer mehr Schwarze nach Norden zog, weil sie im Süden keine Zukunft hatten. Sie konnten kein Haus besitzen, sie lebten tagtäglich Terror und Lynchjustiz. Als sie nach Norden gingen, wollten sie aber ein Stück ihrer Heimat und ihrer Kultur mitnehmen. Und was James P. Johnson machte, war die Musik des Südens.“
Daraufhin spielt Moran dieses rasante Stück, das seit hundert Jahren gerne als Test benutzt wird, um den Swing, die Kraft, Präzision und Timing eines Pianisten zu prüfen. Moran bestand die Prüfung mit Auszeichnung.
Vielfältige Einflüsse
Fragt man Moran nach seinen Einflüssen, so ist es ganz selbstverständlich für ihn, neben Musikern wie Thelonious Monk, McCoy Tyner und Jaki Byard auch Maler wie Gustav Klimt, Filmemacher wie Jim Jarmusch oder den Architekten Mies van der Rohe zu nennen. Der Einfluss großer Jazzmusiker ist für ihn so bedeutend wie der bedeutender Künstler aus anderen Disziplinen. Insofern hatte der New Yorker Altsaxofonist Greg Osby einen gewissen Einfluss auf den gebürtigen Texaner. Osby vertritt die Ansicht, dass seine Musik von vielfältigen Einflüssen geprägt wird – von Architektur bis Philosophie.
Und genau so spielt Moran auch. Sein moderner Ansatz hat etwas Versöhnliches, seine Improvisationen sind aufgebaut wie Gebäudeensembles, die harmonisch ineinandergreifen. Funken von musikalischen Erinnerungen bilden darin Säulen, Wände, Lichtstrahlen. Hören wir da bei „Wind“ Momente aus Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1 Op. 23 – Allegro? Sind da Bezüge zur guten alten Klavierbegleitung zu Stummfilmen der Buster Keaton-Ära in „Reanimation“?
Mehrdimensionale Klanggebäude
Moran baut mehrdimensionale Klanggebäude auf, und dabei wechselt er auch schon mal auf ebenso irritierende wie schwindelerregende Weise die melodieführende Hand von links nach rechts und wieder nach links. Vor allem „Big News/More News“ hat man das Gefühl, als würde er da Formen und Schichten bilden und sie beliebig übereinander- oder ineinanderzulegen. Sehr faszinierend.
Seine Hommage an seinen Lehrer Jaki Byard ist erfüllt von liebenswürdiger Melodieführung. „Blessing The Boats“, ein Stück seiner Frau, der Mezzosopranistin Alicia Hall Moran, betont wiederum die introvertierte Seite des Pianisten. Ein Stück, das er sehr versunken präsentiert.
Bei „Magnet“ gehen die Lichter im Kammermusiksaal aus. Die gehämmerten tiefen Töne klingen zunächst wie Donnergrollen, in die sich ferne Glocken mischen. Je länger das Beben andauert, desto mehr schärfen sich die Sinne im Dunkeln für die feinen Nuancen im monotonen Dauerton. Ist das ein Pfeifen, ein Piepen? Das Dröhnen wird lauter und immer bedrohlicher. Erst nach langen neun Minuten ebbt es ab, und das Klavier gibt Klänge von sich, als würden sich Würmer und anderes Getier nach dem Sturm langsam und vorsichtig wieder an die Erdoberfläche wagen. Moran findet zu einer melodischen Figur, die sich wiederholt, fast wie in einem Blues.
Hintergründig schön
„Ich bin ein moderner Pianist“, sagte Moran einmal. Er sei kein Pionier, nicht cutting edge, kein Avantgardist. „Ich bin modernistisch. Ich lade alte Dinge mit neuen Ideen auf“, sagt er, und wie er das tut ist hintergründig schön, kraftvoll, intelligent und sehr persönlich.
Das Publikum ist begeistert. Moran muss noch drei Zugaben geben. „All Hammers And Chains“, „Sheik of Araby“ und das sehr an die französischen Impressionisten erinnernde „He Cares“. 76 Minuten pure Freude.
Helge Lien und Knut Hem
Davor Helge Lien und Knut Hem: Ry Cooder trifft auf norwegische Folklore trifft auf Jazz. Keine Frage, die Weissenborn-Gitarre mit ihrem holen Hals klingt wunderbar, die Dobro metallisch, fast blechern. Dazu der volle Klang des Flügels. Das hat schon was. Die Flageolette-Töne sind klar wie Eiszapfen, das dröhnende Klavier schafft imaginäre Berglandschaften mit tief hängenden Wolken. Dann wieder werden Wüstensounds aus der trockenen Arizona-Einöde mit fröhlich-bunten norwegischen Folkloretänzen vermischt.
Sehr schön ist das Titelstück ihres Albums „Hummingbird“ mit leichten Bluegrassverweisen, der „Weddingmarch“ ist melancholischer als man bei dem Titel erwartet hätte. Das Pianosolo von Helge Lien, der als Professor für Jazz an der Norwegischen Musikakademie in Oslo tätig ist, verbindet Bill Evans‘ lyrisch-dynamischen Spielstil mit der Affinität von Keith Jarretts narrativem Erfindungsreichtum und dem subtilen strophischen Ausdruck von Brad Mehldau. Sehr hübsch.