Gerry McAvoy begleitete 20 Jahre lang den irischen Blues-Rock -Gitarristen Rory Gallagher, der vor 20 Jahren im Alter von nur 47 Jahren starb. Der 63-jährige Bassist ist mit der Band of Friends auf Tour, um der Musik der irischen Legende zu huldigen. Mit Gerry McAvoy sprach Cem Akalin.
J&R: Am 14. Juni 1995 jährt sich der Tod von Rory Gallagher zum 20. Mal. Erinnerst du dich?
Gerry McAvoy: Oh ja, sehr gut. Das waren schrecklichen Nachrichten. Unser alter Tourmanager Phil McDonnell rief mich an, und der hatte es von seinem Bruder erfahren. Der lebte in Stuttgart und hatte im Radio gehört, Rory sei tot. Wir konnten es alle nicht glauben. Ich habe gleich Rorys Bruder angerufen, der mir das bestätigte. Es war unheimlich traurig.
J&R: Du bist vier Jahre zuvor aus seiner Band ausgestiegen, nachdem du ihn 20 Jahre lang begleitet hast. Warum?
McAvoy: Es gab mehrere Gründe. ich mein, 20 Jahre! Das ist eine lange Zeit. Ich war an einem Punkt angelangt, wo ich wieder mein eigenes Ding machen wollte. Bei Rory war man Teil seiner Musik. Das war auch in Ordnung. Aber dann war es Zeit weiterzugehen.
J&R: Mit Rory konntest du also nicht deine Musik verwirklichen?
McAvoy: Nein. Rory schrieb die Musik – und das war’s. Du warst eben Mitglied der „Rory Gallagher Band“. Ich habe es ja auch so akzeptiert. Aber irgendwo bist du auch Künstler und willst dich weiterentwickeln.
J&R: Es gab also keinen Krach? Der Kontakt war zuletzt regelrecht tot…
McAvoy: Nein, überhaupt nicht.
J&R: Es heißt, Rory habe Euch wie seine Angestellten behandelt.
McAvoy: Nun, es gab zwei Seiten unserer Beziehung: die freundschaftliche und die geschäftliche. Ich mein, klar, er hat sich ja um mich gekümmert. Rory zahlte unsere Gehälter. In Großbritannien ist es so, dass dein Arbeitgeber die Steuern für dich zahlt. Die zahlte ich aber selber. So gesehen war ich nicht Rorys Angestellter.
J&R: Du hast ja später deine Erinnerungen niedergeschrieben. Darin erklärst du, du wolltest das Rätsel Rory Gallagher entschlüsseln. Nach so vielen gemeinsamen Jahren, so vielen Touren, 14 gemeinsamer Alben blieb er dir immer noch ein Mysterium?
McAvoy: So ist es! (lacht) Nach 20 Jahren vielleicht nicht mehr so wie zu Anfang. Aber Rory blieb wirklich immer irgendwie rätselhaft. Und das sah ja nicht nur ich so. Sogar sein Bruder fand das.
J&R: Roger Glover, Bassist und Produzent von Deep Purple, hatte also recht, als er sagte: „Mit seiner zerschundenen Stratocaster sagte er der Welt alles, was er zu sagen hatte.“ War Rory so ein Einzelgänger, der seine Gefühle ausschließlich auf der Bühne auslebte?
McAvoy: Ja, Rory lebte wirklich nur für die Musik. Das war das, was ihn im Leben trieb. Alles wurde der Musik untergeordnet, sogar seine Beziehungen zu Frauen. Musik floss durch seine Adern. Nichts war wichtiger. Vielleicht noch Filme.
J&R: Filme?
McAvoy: Rory liebte Filme, vor allem alte. Den französischen Film noir. Er liebte alter Gangstermovies. Er las gerne Dashiell Hammett, Raymond Chandler und stand auf diesen ganzen alten Verfilmungen.
J&R: So was wie „The Big Sleep“ mit Humphrey Bogart?
McAvoy: Genau! Und ich stand auch total auf diesen Filmen. Und wenn wir on the Road waren, da hingen wir viel in Kinos rum, um diese Filme zu sehen.
J&R: Also hast du am Ende das Rätsel Rory Gallagher entschlüsseln können?
McAvoy: Nein. Naja doch – soweit es ging. (lacht)
J&R: Aber die Musik lebt weiter. Jimi Hendrix hat schon über Rory gesagt, es sei der größte Gitarrist der Welt. Was machte seine Musik für dich aus?
McAvoy: Seine Songs waren schon sehr außergewöhnlich. ich hatte schon fast vergessen, wie gut sie waren. Und er hatte eine sehr eigene Art, die Gitarre zu spielen. So etwas irisches…
J&R: Etwas „irisches“? Was meinst du damit?
McAvoy: Ich hab so einige Stücke im Kopf…
J&R: Welche?
McAvoy: Zum Beispiel „Crest of a Wave“.
J&R: Einer seiner frühen Stücke über den Gipfel des Glücks. hat auch kleine Folkelemente.
McAvoy: (beginnt das rhythmische Thema zu singen) Das ist ist so irisch – aber mit einem rockigen Idiom.
J&R: Ist es vielleicht das Bodenständige …?
McAvoy: Definitiv! Rory stammt ja aus Donegal, und er wuchs mit der traditionellen irischem Musik auf. Einige aus seiner Familie machten irische Musik.
J&R: Warum haben du und Drummer Ted McKenna beschlossen, seine Musik wieder aufleben zu lassen?
McAvoy: Es war so um 2007/2008. Ich spielte noch in der Band Nine Below Zero. Ich war in unserem Speicher und entdeckte meinen alten Plattenspieler. ich holte ihn runter und hörte die ganzen alten LPs, die ich mit Rory gemacht hatte. Und ich war erstaunt, wie gut die Stücke waren und immer noch sind. Es war eine emotionale Sache. Ich wollte diese Songs einfach so gerne wieder spielen. Also sprach ich Ted an, der damals am North Glasgow College lehrte. Und dann gab es noch Marcel Scherpenzeel. Ich war ein Jahr zuvor mit ihm in Amsterdam aufgetreten. Wir gründeten die Band of Friends und dachten: Gehen wir auf Tour und sehen mal, was passiert.
J&R: Es ist aber keine reine Tribute, oder? Ihr spielt die Stücke jedenfalls nicht Note für Note nach.
McAvoy: Nein, nein. ich mein, Rory ist immer bei uns, aber wir spielen die Songs jeden Abend anders. Das entspricht aber auch dem Geist von Rorys Musik. Er hat ein Stück niemals gleich gespielt. Das tun wir auch – bei allem Respekt vor der Songkomposition. Wir sind keine Tributeband, ich sage: Wir zelebrieren seine Musik.
J&R: Erzähl uns, was Marcel Scherpenzeel dazu befähigt, mit Euch Rorys Musik zu spielen?
McAvoy: Er ist mit dieser Musik aufgewachsen und war ein großer Rory Gallagher-Fan. das sagt schon alles.
J&R: Zum Schluss: Was geschah eigentlich mit dieser zerschlissenen, abgewetzten ’61er Fender Strat?
McAvoy: Sie ist immer noch im Familienbesitz und lagert in irgendeinem Bankschließfach. Hin und wieder wird sie mal für Ausstellungen herausgeholt