(see English version here) Vielleicht ist er ja verliebt. So hingebungsvoll wie er „Make You Feel My Love“ geradezu säuselt. Vielleicht hat er auch nach der gut dreimonatigen Pause seiner „Never Ending Tour“, die er am Sonntagabend in Düsseldorf wieder startet, einfach nur die Bühne und die Musik vermisst. Jedenfalls ist Bob Dylan an diesem Abend einfach nur sagenhaft gut. Sogar die Mundharmonika kommt nach langer Abstinenz wieder zum Einsatz. Und wie! Und dann verbeugt sich Bob Dylan am Ende sogar vor dem Publikum. Ich sag‘ ja, ein Abend zum Niederknien.V
Aus dem Dunkel dröhnt Strawinsky. Dann gehen die Scheinwerfer an, und Bob Dylan steht am Klavier. Silbergraues Hemd, dunkle Hose mit einer breiten hellen Seitennaht, heute Abend ohne Hut. Die Band steigt ohne Umschweife in „Things Have Changed“ ein. Es dauert nur einen Augenblick, dann hat das Publikum beim zweiten Stück erkannt, dass es „It Ain’t Me, Babe“ ist. Wie oft wird er den Song in den letzten 55 Jahren gesungen haben? Jedenfalls spielt Dylan dazu ein paar interessante Akkorde.
„Highway 61 Revisited“ klingt, als würde ’ne Countryband Rock’n’Roll spielen, und Dylan hustet die Zeilen hin wie ein Truckerfahrer auf Durchreise, und am Ende überschlägt sich die Stimme geradezu. Den ersten wirklich schönen Moment erleben wir bei „Simple Twist Of Fate“. Die Vorhänge sind rot angeleuchtet, die Falten werfen schwere Schatten im Stoff, kleine Lampen auf der Bühne vermitteln eine Atmosphäre wie bei einem Tanzcafé in Brooklyn, und so klingt der Song auch, Dylans präsentiert den Song eher als Sprechgesang. Wir wissen ja, dass dieser Song so manches auf den Kopf stellt. Gelegentlich wird das „Er“ zum „Ich“, während sich die Frau als Prostituierte in den Docks erweist und der Sänger ein alter Mann ist, der nach den Reizen einer jungen Frau sucht. Dieser Song wurde von Dylan sicherlich nicht häufig so überzeugend dargebracht wie an diesem Abend. Und dann noch mit seinem Mundharmonikasolo, das wie ein Messer ins Herz schneidet.
Blick zurück auf sich selbst
Der Song kommt tatsächlich so, dass der Geschichtenerzähler auf seine Vergangenheit zurückblickt und so weit von dieser Vergangenheit entfernt ist, dass er jetzt seine persönlichen Erinnerungen an einen tiefen Schmerz mit einem jungen Menschen teilt. Oh, dieser Song ist zum Darin-versinken.
Stürmisch erklingt „Cry A While“, vor Schatten im Hintergrund, die an ein Baugerüst erinnern, die Stimmung ist ein schleppender Rock, und Dylan hämmert geradezu auf die Klaviertasten. Seine Liebeserklärung an Rom, „When I Paint My Masterpiece“ kommt wie ein leichter Walzer daher, und als er in dem Lied dann in Brüssel landet, bläst Dylan eine einsame Mundharmonika.
Wie an einem verlassenen Filmset
„Honest With Me“ ist ein echter Rock ‚n‘ Roll, und „Tryin’ To Get To Heaven“ hat die Zartheit eines Briefs, den der Reisende aus einer Tex-Mex-Bar in der Grenzregion schreibt. Wie ein wilder Indianertanz kommt einem „Scarlet Town“ vor, um dann aber wieder in eine Romanze umzuschalten. „Make You Feel My Love“ singt Dylan in einer Szenerie wie in einem verlassenen Filmset am Abend erinnert. Die großen Scheinwerfer sind heruntergedimmt, der alternde Star sitzt am Klavier und singt für seine Liebste, die ihn verlassen will, ein Lied, mit dem er sie zurückerobern will, und dabei überschlägt sich in hohen Lagen die Stimme: „I could make you happy, make your dreams come true/Nothing that I wouldn’t do.“
„Show me your moral virtues first“
„Pay In Blood“ hat unglaubliche Power. Der Song startet so eindringlich und hämmernd wie John Cales „Fear Is a Man’s Best Friend“, aber Dylan hat bei diesem Song, der sicher einen religiösen Hintergrund hat, so einen ironischen Unterton. “Nothing more wretched than what I must endure”, heißt es schon zu Beginn. „Nichts Elenderes als das, was ich ertragen muss“, was sich wohl auf die Paulus bezieht: „Welch elender Mensch bin ich. Wer befreit mich aus diesem toten Körper?“ Im Alten Testament ist das Blut die Seele – die Seele ist in deinem Blut. „Weil im Blut das Leben ist, schafft es Sühne für verwirktes Leben“, heißt es da. Aber Dylan hat seine eigene Sicht: „I pay in blood, but not my own“ („Ich zahle mit Blut, aber nicht mit meinem eigenen“), singt er. Es ist eine Ablehnung dieser Interpretation, dass das eigene Blut der Schlüssel zur eigenen Seele sei. Für Dylan hat der Mensch es selbst in der Hand, was er aus sich macht. Das hat schon etwas Trotziges am Ende:
How I made it back home nobody knows,
Or how I survived so many blows
I been through hell what good did it do,
My conscience is clear, what about you
I’ll give you justice, I’ll fatten your purse
Show me your moral virtues first
Hear me holler hear me moan
I pay in blood but not my own
Das ist einfach großartig!
„Like A Rolling Stone“
Das Set war noch lange nicht am Ende: „Like A Rolling Stone“ klingt fast ein wenig Poppig, am Ende so leicht, dass Snoopy darauf tanzen würde. „Early Roman Kings“: Trockener Bluesrock, „Don’t Think Twice, It’s All Right“ als melancholische Ballade mit einem an ein Traditional grenzendes Pianosolo wie aus einer Westernbar. „Love Sick“ singt ein Mann, den eigentlich nichts mehr erschüttern kann, der am Ende aber zu seinen Gefühlen steht.
„Thunder On The Mountain“ ist einer der großen Überraschungen des Abends. Dylan, der im Mai 78 wird, singt den Song mit jugendlicher Kraft und Freude („Feel like my soul is beginning to expand“). „Soon After Midnight“ hat einen starken Country-Touch, und mit einem wilden, engagierten Zusammenspiel beendet die Band mit „Gotta Serve Somebody“ den Abend.
„Blowin’ In The Wind“
Zur Zugabe gibt es einen geigenverhangene Version von „Blowin’ In The Wind“, den Dylan wie einen Botschaft an einen guten, alten Freund vorträgt. Mit der Rocknummer „It Takes A Lot To Laugh, It Takes A Train To Cry“ werden die Fans nach knapp zwei Stunden nach Hause geschickt.
Bob Dylan ist keiner, der tut, was man von ihm erwartet. Und das ist gut so. Genau das lieben die Fans an dem knarzigen Mann. Seine Songs sind für die Ewigkeit, und er singt sie jeden Abend irgendwie anders. Manchmal muss man schon sehr konzentriert zuhören, um zu entdecken, was er da spielt. Insofern ist er vielleicht der einzige Jazzer unter den Rockmusikern. Und er ist erstaunlich gut bei Stimme. Er singt einfach fantastisch. Er modelliert, flötet, schraubt die Töne in die Höhe und lässt sie dort verebben, und er singt in einer sonoren Tieflage, dass es einem wie Butter übers Herz streicht.
Wunderbar waren auch die kakophonischen Zwischenspiele, aus denen sich dann jeweils die nächsten Songs herausschälten. Das machte die Show zu einem Ereignis aus einem Guss.
Den Auftakt der Tournee hat er in der Mitsubishi Electric Hall in Düsseldorf gestartet. Wenn er auf den nächsten Konzerten auch nur halbwegs so auftritt wie heute Abend, dann dürfen sich die Fans auf tolle Shows freuen.