Wir wollen Euch jeden Tag ein Adventstürchen öffnen, mit der Hoffnung, Euch die eine oder andere Eingebung zu geben, was ihr verschenken oder was ihr Euch selbst zum Geschenk machen könnt. Unter unseren Empfehlungen sind brandneue Veröffentlichungen, aber auch einige, die etwas zurückliegen, aber es wert sind, nochmal ins Gedächtnis geholt zu werden. Wir geben Tipps für Konzerte, Bücher, Platten – alles rund um Musik. Hinter unserem 23. Adventstürchen steckt ein Dylan-Paket:
Ab 31. März 2019 ist Bob Dylan wieder auf Deutschlandtour
Alle Daten und Tickets gibt es hier.
Daniel Kramer
Bob Dylan – A Year and A Day
Gebundene Ausgabe: 280 Seiten
Verlag: TASCHEN (15. August 2018)
Sprache: Englisch, Französisch, Deutsch
ISBN-10: 3836571005
50 Euro
Richard F. Thomas
Why Dylan Matters (Englisch)
Gebundenes Buch – 16. November 2017
Verlag: Harper Collins Publ. UK
ISBN-10: 9780008245498
Bei Amazon 11,99 Euro
Von Dylan Cem Akalin
Der junge schlacksige Mann mit dem ungebändigten Haarschopf stand kurz vor seinem Durchbruch. Als Daniel Kramer Bob Dylan das erste Mal erlebte, war der Sänger und Poet noch relativ unbekannt und trat in der Steve Allen TV-Show auf, ausgerechnet mit einem Song, der der weißen Mehrheit den Atem geraubt haben dürfte. „The Lonesome Death of Hattie Carroll“, eine Ballade mit realem Hintergrund. Es handelt von dem Sohn eines reichen Tabakplantagenbesitzers, der in Baltimore ein schwarzes Dienstmädchen tötete und lediglich mit einem halben Jahr Haft auf Bewährung davonkam.
„Das war mutig“, schreibt Kramer im Vorwort zu einem wunderschönen, englischsprachigen Bildband, das der Taschen-Verlag jetzt herausgebracht hat. „Die Musik, die Harmonica und das Gitarrenspiel waren stark. Sie unterstrichen eine Dringlichkeit und machten es mir möglich, diese Tragödie ganz tief zu fühlen. Er hatte mich – und die Stimme alleine hätte dazu gereicht. Er hatte diesen gewissen Sound, den ich immer gemocht hatte. Sie erinnerte mich an eine Stimme von den Bergen. Es war eine alte Stimme, schroff und wettergegerbt, wie eine Stimme, die lange im Regen stand und Rost angesetzt hatte.“
„Komm nächsten Donnerstag nach Woodstock“
„Dann begann ich regelmäßig, dem Büro von Dylans Manager Albert Grossman, Notizen zu schicken und Anrufe zu tätigen, und bat um ein einstündiges Fotoshooting“, erinnert sich Kramer. „Das Büro hat immer nein gesagt.“
Aber nach einem halben Jahr, als Kramer wieder mal mit einem Anruf nervte, hatte sich die Situation plötzlich geändert. „Er sagte nur: ,OK, komm nächsten Donnerstag nach Woodstock‘“, erinnert sich Kramer.
Als Kramer bei Grossman ankam, dauerte das eigentlich auf eine Stunde begrenzte Treffen fünf Stunden, gefolgt von etlichen Begegnungen in den nächsten zwölf Monaten, die zu einigen der bekanntesten Aufnahmen von Dylan führten.
„A Year and A Day“ (Taschen)
Diese Bilder, von denen viele noch nie zuvor veröffentlicht wurden, sind jetzt versammelt in „A Year and A Day“ (Taschen). Es umfasst tatsächlich lediglich diesen intensiven Zeitraum, den Kramer und Dylan zwischen dem 27. August 1964 und dem 28. August 1965 gemeinsam verbrachten. Nicht nur ein edler Schatz für Dylonologen, sondern für Fans großartiger Schwarz-Weiß-Fotografie und Liebhaber von Dylans früher poetischer Phase.
„Bob Dylan: A Year and a Day“ enthält eine kuratierte Auswahl von knapp 200 Bildern, darunter viele verwendete Fotos von den Coveraufnahmen zu „Bringing It All Back Home“ und „Highway 61 Revisited“. Vor allem Kramers Anekdoten machen das Buch zu einem interessanten und persönlichen Zeugnis einer ganz besonderen Phase Dylans, der gerade dabei war zu Weltruhm zu gelangen.
Das Besondere an den Bildern ist diese Vertrautheit, die zwischen Fotograf und Künstler geherrscht haben muss. Wir sehen Dylan auf dem Beifahrersitz und sich Notizen zu einem Song machend, Dylan versunken in die Lektüre einer Zeitung, im Hintergrund seine Freundin Sara Lownds, bei Proben, bei Konzerten. „Obwohl er höflich und freundlich war, war Bob Dylan nicht besonders glücklich über die Fotosession“, schreibt Kramer über ihr erstes Treffen im Haus von Albert Grossman in Woodstock. Er wollte nicht nur für ein normales Porträt sitzen. „Er sagte zu mir: ,Mach, was du willst.‘ Also habe ich ihn in Albert Grossmans Haus fotografiert.“
„Aber auf diesem Bild lächelt er“
Dylan wollte sich nicht inszenieren lassen, wollte keine gestellten Bilder mit der Gitarre oder an der Schreibmaschine. Kramer sollte ihn einfach begleiten und seine Bilder schießen. Da sind zwei Bilder mit Dylan auf der Schaukel, eine der wenigen Situationen, die er selbst für Fotos vorschlug. Auf einem sitzt er lediglich auf der Schaukel auf der Veranda, der rechte Arm hält sich hoch oben am Seil fest. Konzentriert und entspannt in einem. „Seine Stimmung änderte sich, als er aufstand und Schwung nahm, höher und höher stieg“, erzählt der Fotograf. Bob sieht oft mürrisch aus, aber auf diesem Bild lächelt er.
Oder diese Bilder, wie er Schach spielt mit Victor Maymudes, seinem damaligen Tourmanager, in Bernard´s Café Espresso, einem beliebten Treffpunkt in Woodstock. Dylan ging dorthin, wenn er aus der Stadt raus wollte, um Musik zu schreiben. Es war der erste Tag, an dem Kramer ihn traf. Das alles war nicht geplant. „Es war nur ein Teil davon, wie Dylan seinen Tag verbrachte.“ Auf einem Bild sind eine Frau und ein Junge dabei, es waren nur Einheimische, die Dylan kannten, weil sie auch oft ins Café kamen.
„Bringing It All Back Home“
Dylan beim Schuhe anprobieren, unterwegs in den Straßen von Philadelphia, auf der dunklen Bühne der Stadthalle, beim Gitarre stimmen, ganz nah mit der Mundharmonika und der Zigarette, die glühend an der Halterung klemmt, bei der Studioarbeit, fast immer mit Sonnenbrille oder konzentriert in der Ecke stehend und am Text eines Songs feilend, total ausgelassen am Klavier, was Kramer wohl überraschte, dass Dylan solch ein guter Pianist war. Es sind die Aufnahmen zu „Bringing It All Back Home“, Dylans Hinwendung zum Rock.
Die wenigen Farbbilder sind jene, die zu den Aufnahmen des Plattencovers entstanden. Kramer erinnert sich, dass Dylan ihn an einem verschneiten, kalten Abend mit seinem Kombi abholte, sie gut einen Zentner voller Fotoequipment einluden und hinaus zu Grossmans Haus in Woodstock fuhren.
Im Buch sehen wir die vielen Variationen zum Album, bis endlich das perfekte Bild im Kasten war: Dylan mit Grossmans Frau Sally vor dem Kamin. Dylan hält die Katze, die übrigens Rolling Stone hieß, eine aufgeschlagene Seite eines Magazins mit einem Bericht über Jean Harlow. Sally, ganz in Rot mit Zigarette, neben ihr die Times mit Lyndon B. Johnson auf dem Titel. Am linken Bildrand sieht man ein Schild aus einem Atomschutzbunker mit der Warnung „Fallout Shelter“. Mehrere Platten liegen vor Dylan: darunter Robert Johnsons „King oft he Delta Blues“, Lotte Lenyas „Sings Berlin Theatre By Kurt Weill“ und „Another Side of Bob Dylan“. Dann folgen wunderbar arrangierte Bilder von Dylan und seiner späteren Frau Sara und die ersten Porträts.
Mann, diese Frau hatte Stil!
Und da ist da natürlich das Kapitel über Dylan und die wunderschöne Joan Baez. Mann, diese Frau hatte Stil! Es sind alles Bilder, die rund um das legendäre Konzert in der Philharmonic Hall im Lincoln Center und einer Zehn-Städte-Tour der beiden entstanden, kurz bevor Dylan sein Kapitel mit der elektrisch verstärkten Band aufschlug.
Der letzte Teil dieses wunderbaren Bandes ist der Forest Hills Show gewidmet. Es war die erste Show, die vollständig elektrisch lief, im Gegensatz zu Newport, wo er nur ein paar Stücke mit der E-Gitarre spielte. Es wurde etwas aus dem Publikum gebuht. „Nicht viel“, meint Kramer. „Viele Kritiker machten viel zu viel Aufhebens darüber.“ Aber Dylan selbst muss mit dem Schlimmsten gerechnet haben. Kurz vor dem Auftritt schwört er die Musiker ein. Nach der Erfahrung in Newport, könnte alles passieren, sagt er: „Euer Job ist es, die beste Musik zu machen, die möglich ist. Was passiert, passiert.“ Und dann sehen wir Dylan mit seiner berühmten Fender, die vor einigen Jahren bei Christie für eine Million Dollar verkauft wurde. Das ist der höchste Preis, der jemals für eine E-Gitarre bezahlt wurde.
Why Dylan Matters
„Why Bob Dylan Matters“ ist nicht nur was für Dylanologen. Richard F. Thomas, ein Harvard-Professor über klassische Geschichte, startete 2003 als Neuling an der ehrwürdigen Uni ein Seminar über Dylan. Das Buch ist sowas wie die Essenz aus seinen Vorlesungen, in deren Mittelpunkt seine zentrale These steht, dass Dylan der Nachkomme der epischen Diter der antiken Griechen und Römer ist, „der größte Künstler der englischen Sprache meiner Zeit“.
“The Lonesome Death of Hattie Carroll”
Und auch Thomas zerlegt auf charmante, wissenschaftliche Weise Dylans “The Lonesome Death of Hattie Carroll”, wobei Thomas betont, dass Dylans Affinität zu alten Versformen und sprachlichen Rhythmen der alten Epen nichts mit einer historischen oder nostalgischen Rückwärtsgewandtheit zu tun haben.
Seine zweite These, dass Dylan ein Meister der „Intertextualität“ ist, der der klassischen Lyrik und den Folksongs einfallsreich die Linien „stiehlt“, ein Prozess, der große Dichter ausmache, ist doch, nach gängiger Kultur- und Literaturtheorie, kein Bedeutungselement, weder in der Literatur, der Bildenden Kunst oder der Musik innerhalb einer kulturellen Struktur ohne Bezug zur Gesamtheit einer kulturellen Entwicklung denkbar.
Für Thomas macht das Dylan auf elegante und vor allem zugängliche Weise. Was sich jetzt vielleicht zu intellektuell anhört, ist durchaus unterhaltsam geschrieben. Ungewöhnlich und einzigartig, dabei ist auf jeder Seite die Liebe zu Dylan spürbar.