6000 Fans bei Fontaines D.C. auf dem KunstRasen in Bonn: Wuchtiger Post-Punk – und ein Abend der Propaganda

Fontaines DC auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: J&R

6000 Fans feiern die Iren auf dem KunstRasen Bonn. Doch statt auch Empathie für die Opfer vom 7. Oktober zu zeigen, statt auf das Leid auf beiden Seiten hinzuweisen, setzen Fontaines D.C. auf Parolen wie „Free Palestine“ und „Israel is committing Genocide“ – und macht einen Terrorverdächtigen zum Helden.

Von Dylan C. Akalin

Matan Rosenburg (17), Yehonatan Rom (23), Shai Regev (25), Moriah Raviv (23), Ma’ayan Kalihman (22), Linor Keinan (23), Zelta Kosovski (28), Noa Farage (22), Ben Fishman (21), Alina Falhati (23). Ich muss an all diese jungen Leute denken, die ähnlich fröhlich wie die rund 6000 Besucher auf dem KunstRasen Bonn feierten. 378 Menschen wurden von Hamas-Terroristen am 7. Oktober 2023 auf dem Nova Music Festival ermordet, vergewaltigt, gefesselt und bei lebendigem Leib verbrannt, zerstückelt, ihre Leichen geschändet, 44 weitere entführt, von denen immer noch einige in Tunneln der Palästinenser gefoltert und gedemütigt werden. Weder von der Vorgruppe, Sprints aus Dublin, noch von Grian Chatten und seiner Fontaines DC gibt es ein Wort über diese und vielen anderen Opfer vom 7. Oktober. Und die feixenden Fans, die mit Pali-Tüchern und Palästine-Wimpeln ihren Stars zujubeln werden wohl auch nicht daran denken, dass diese jungen Menschen in ebenderselben Situation wie sie völlig ahnungslos ihr Leben auf grausame Art verloren.

Stattdessen: Immer wieder „Free Palastine“-Rufe von der Bühne, aus dem Publikum. Und Die Band erklärt sich mehrmals solidarisch mit der Rap-Gruppe Kneecap, die unter anderem bekanntlich bei Coachella „F–k Israel Free Palestine“ projizierten. Fontaines DC unterstützen Kneecap zudem mit anderen bekannten Künstlern in einem offenen Brief, nachdem deren Auftritte wegen pro-Hamas- und Hezbollah-Äußerungen in die Kritik geraten waren. Ein Kneecap-Mitglied wurde inzwischen in London wegen Terrorismusvorwürfen angeklagt. Vor dem KunstRasen-Areal hat sich eine BDS-Gruppe aufgebaut, umringt von vielen Konzertbesuchern. Der Verfassungsschutz hat die israelfeindliche Boykottbewegung BDS inzwischen als extremistischen Verdachtsfall eingestuft.

Beschwörende Präsenz

Musikalisch schlagen Fontaines D.C. an diesem Abend einen Bogen von kantigen Post-Punk-Gitarren über lieblichen Britpop bis zu psychedelisch flirrenden Klangflächen. „Here’s the Thing“ baut mit schreienden Gitarren sofort eine wuchtige, fast beschwörende Präsenz auf, getragen von Grian Chattens monotonem, predigtartigen Gesang. Die Fans sind sofort in Betriebstemperatur. In „Jackie Down the Line“ kontrastieren treibende Rhythmen mit einer fast süßlichen Melodie, was in Bonn durchaus für ausgelassene Tänze sorgt. Der Text jedoch – eine zynische Selbstbeschreibung als „a messer“ – bleibt bei aller Eingängigkeit ein Abgesang auf Hoffnung, nicht etwa ein Aufruf zu Humanität.

Fontaines DC auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: J&R

Saubere Gitarrenakkorde, in das sich der Bass hineinwälzt, die Becken knallen und die Scheinwerfer von hinten blenden wie von einer Startbahn: „Boys in the Better Land“, einer der Hits der Band, verwandelt den KunstRasen in ein grölendes Mitmach-Spektakel. Doch während das Publikum den Refrain begeistert skandiert, gehen die bitteren Untertöne des Songs, der eigentlich von irischer Selbstverortung und Ausgrenzung erzählt, weitgehend verloren. „Free Palestine“ skandieren Fans, bevor ein bedrohlicher Bass „Televised Mind“ ankündigt. Der Song lebt von hypnotischen, bisweilen monotonen Repetitionen, die an Joy Division erinnern, aber in der endlosen Schleife des Choruses wirkt es, als würden Inhalte zur reinen Pose verkommen.

Verschlüsselt, merkwürdig, witzig

Ja, die Texte sind gelegentlich verschlüsselt – bis merkwürdig, vielleicht auch witzig gemeint. Etwa wenn der Sänger wie bei „Roman Holliday“ seine Liebste fragt, ob es das Weed ist, was sie gerade so zugedröhnt hat oder doch der Moment.

Bei „It’s Amazing to Be Young“ und „Big Shot“ werden die Grenzen zwischen Aufbruchspathos und Selbstüberhöhung deutlich. Die Band verkauft Jugend als Mythos – und doch kann man sich des Gedankens nicht entziehen, dass Jugend gerade in Israel am 7. Oktober auf bestialische Weise zerstört wurde. Während hier in Bonn die Scheinwerfer blenden und Fans euphorisch pogen, klingt das „Amazing“ im Titel fast wie eine bittere Ironie.

„Free Mo Chara“

Die neuen Stücke – „Death Kink“, „Before You I Just Forget“ oder „Horseness Is the Whatness“ – entfalten musikalisch eine gewisse Intensität. Doch ausgerechnet in letzterem wird der Text verändert: „Free Mo Chara“, ruft Chatten in die Menge, ein offener Support für ein angeklagtes Mitglied der Rap-Crew Kneecap. Kunst und politische Haltung verschwimmen hier zu einem Statement, das viele im Publikum begeistert aufgreifen – aber in seiner Einseitigkeit Fragen aufwirft.

Im Zugabenteil wirkt „Romance“ besonders irritierend. Das lange Video-Intro, das mit Bildern kokettiert, die an Agitprop erinnern, schiebt sich als ideologische Folie vor den Song. „I Love You“, ursprünglich eine Liebeserklärung an Dublin, widmen Fontaines D.C. an diesem Abend explizit „Mo Chara“. Wieder klatscht und jubelt die Menge, als wäre es ein rein emotionaler Moment – doch tatsächlich wird ein wegen Terrorverdachts Angeklagter zum Helden stilisiert. Das Video erinnert fatal an Roger Waters‘ Roger Waters’ antisemitische Inszenierungen mit dem riesigen fliegenden Schwein. Hier erscheint es über einer Brücke, offenbar im Ascheregen eines Krieges. Die Menge jubelt über ein mutmaßlich antisemitisches Bild.

Tiefpunkt am Ende

Doch der eigentliche Tiefpunkt folgt nach dem letzten Ton. Auf der Leinwand erscheinen erneut die Zeilen „Free Palestine“, bevor zum Schluss in grellen Lettern prangt: „Israel is committing Genocide. Use your voice.“ Was als moralischer Appell verkauft wird, ist in Wahrheit eine pauschale Schuldzuweisung – eine hochkomplexe Realität auf ein Schlagwort reduziert. Kein Wort über die Massaker, Vergewaltigungen und Verschleppungen vom 7. Oktober, kein differenzierter Blick auf das Leid unschuldiger Menschen auf beiden Seiten. Stattdessen eine Parole, die den Terror, dem hunderte junge Festivalbesucher zum Opfer fielen, ausblendet.

Fontaines DC auf dem KunstRasen Bonn 2025. FOTO: J&R

So endet der Abend nicht mit dem befreienden Rausch einer Rockshow, sondern mit einer politischen Anklage, die von den 6000 feiernden Menschen begeistert aufgenommen wird, im Kern aber auf Vereinfachung, Einseitigkeit und gefährlicher Schlagseite beruht. Fontaines D.C. beweisen auf dem KunstRasen, dass sie ihre musikalische Wucht perfektioniert haben. Doch zugleich zeigen sie, dass sie ihre Stimme nicht für Empathie und Differenzierung nutzen, sondern für Propaganda.

Musikalisch mag das Finale mit „Starburster“ noch einmal Druck entfachen, doch der Nachgeschmack ist schal. Denn so souverän die Band ihre düsteren Klangräume beherrscht, so wenig ist sie bereit, differenziert Verantwortung zu übernehmen. Stattdessen wird Solidarität nur einseitig definiert – mit einer Szene, die selbst keine Hemmungen kennt, Terror zu legitimieren.

Setlist Fontaines DC, KunstRasen Bonn, 19.08.2025:

Vom Band: Starburster / In Heaven (Lady in the Radiator Song)
Here’s the Thing
Jackie Down the Line
Boys in the Better Land
Televised Mind
Roman Holiday
It’s Amazing to Be Young
Big Shot
Death Kink
A Hero’s Death
Before You I Just Forget
Horseness Is the Whatness (“Free Mo Chara” geänderter Text in der ersten Strophe)
Big
Hurricane Laughter
Nabokov
Desire
Bug
Favourite

Encore:

Romance (mit zweifelhaftem Video als langes Intro)
In the Modern World
I Love You (Dedicated to KNEECAP’s Mo Chara)
Starburster