1975 war ein Jahr der wegweisenden Klänge: Von musikalischen Meisterwerken von Genesis, Bob Dylan, Queen und anderen

Genesis zum letzten Mal mit Peter Gabriel in Düsseldorf, Udo Lindenberg mit seinem Panikorchester in der Beethovenhalle, Atlantis und Hawkwind in der Bad Godesberger Stadthalle, Eloy im Underground – 1975 war ein Jahr voller magischer Konzerte und musikalischer Meilensteine. Von epischen Auftritten bis hin zu Alben, die uns bis heute bewegen: Das Musikjahr 1975 war geprägt von großen Gefühlen, neuen Klängen und einem unvergleichlichen Aufbruch.

Von Dylan Akalin

1975 war ein besonderes Musikjahr. Nicht nur für mich persönlich, weil ich in diesem Jahr meine ersten unvergesslichen Konzerte erlebte: Genesis mit einem epochalen Auftritt in der Philipshalle in Düsseldorf etwa, auf der sie das komplette „The Lamb Lies Down on Broadway“-Album spielten. Das letzte Mal mit Peter Gabriel, der seine Ansagen in radebrechendem Deutsch machte. Cat Stevens in derselben Halle, Udo Lindenberg & Das Panikorchester traten in der Bonner Beethovenhalle auf, Atlantis und Hawkwind in der Stadthalle Bad Godesberg, Eloy im Underground. In Bonn war was los – damals.

1975 war ein Jahr des musikalischen Umbruchs und der Innovation, ein Jahr, in dem Klassiker entstanden, die bis heute Bestand haben, und Trends gesetzt wurden, die zukünftige Generationen von Künstlern prägen sollten. Doch zwischen den Monumenten des Jahres finden sich auch Werke, die im Meer der Zeit untergingen – manchmal zu Recht, manchmal tragisch unbeachtet.

Zu den Klassikern, die ewig währen, gehören für mich vor allem fünf Alben:

Bob Dylan „Blood on the Tracks“: Mit seinem Album „Blood on the Tracks“ kehrte Bob Dylan 1975 zu einer Form zurück, die viele als Höhepunkt seines Schaffens betrachten. Das Album, durchzogen von Dylans komplexem Songwriting und tief persönlichen Texten, wird oft als Kommentar zu seiner damaligen Scheidung interpretiert. Songs wie „Tangled Up in Blue“ und „Idiot Wind“ vereinen poetische Erhabenheit mit emotionaler Ehrlichkeit und inspirieren bis heute Songwriter weltweit. Dylans Einfluss ist im Folk, Rock und sogar im Hip-Hop spürbar, wo Künstler wie Kendrick Lamar auf narrative Strukturen zurückgreifen, die Dylan schon längst perfektioniert hat.

Keith Jarrett „The Köln Concert“: Es ist vielleicht der leuchtende Sterne des Jazzjahres 1975. Das legendäre Album „The Köln Concert“ von Keith Jarrett wurde aufgenommen in der Opernhaus Köln und ursprünglich unter widrigen Umständen gespielt – Jarrett war erschöpft und das Klavier entsprach nicht seinen Vorstellungen. Das weiße Album mit der kleinen Schwarz-Weiß-Fotographie ist bis heute eines der meistverkauften Solo-Jazzalben aller Zeiten. Jarretts improvisatorisches Genie schuf eine Klanglandschaft, die Elemente von Jazz, Klassik und Volksmusik miteinander verwob. Noch heute ist dieses Werk eine Inspiration für Pianisten und ein Meilenstein, der die Bedeutung der Improvisation in der Musik untermauert.

Bruce Springsteen „Born to Run“: Bruce Springsteens Durchbruchsalbum „Born to Run“ erzählt von der Sehnsucht nach Freiheit und der Hoffnung auf ein besseres Leben. Songs wie der Titeltrack und „Thunder Road“ kombinierten poetische Texte mit einer bombastischen Produktion. Springsteen wurde zu einer Ikone des Heartland Rock, und sein Einfluss reicht von Bands wie The Killers bis zu den zeitgenössischen Americana-Künstlern wie Jason Isbell. Noch heute füllt der Mann aus New Jersey Arenen.

Genesis „The Lamb Lies Down on Broadway„: Obwohl das Doppelalbum von Genesis bereits Ende 1974 veröffentlicht wurde, prägte es das Jahr 1975 maßgeblich durch seine Live-Aufführungen. Peter Gabriel führte mit seiner exzentrischen Bühnenpräsenz und den surrealen Texten die Band in die Spitzenklasse des Progressive Rock. Das Konzeptalbum erzählt die Geschichte von Rael, einem puertoricanischen Jugendlichen in New York, und setzte Maßstäbe für ambitionierte Konzeptwerke im Rock.

Queen „A Night at the Opera“. Ich werde nie vergessen, wie ich „Bohemian Rhapsody“ das erste Mal im Radio hörte: Das Philips-Kofferradio in der Küche lief den ganzen Tag – entweder SWF3-Popshop oder BFBS. 1975 stürmte der Song aus dem ikonischen Album „A Night at the Opera“ mit einem Song die Charts, mit dem damals wohl kein Musikexperte gerechnet hatte. Mit fast sechs Minuten ist er fürs Radio eigentlich viel zu lang, und dann kommt noch die ungewöhnliche Struktur ohne Refrain hinzu. Aber die genreübergreifenden Passagen aus Ballade, Oper und Hard Rock sowie seine theatralische Dramaturgie fesseln das Publikum, und dank Freddie Mercurys beeindruckender Gesangsleistung wurde der Song zu einem Meilenstein der Rockmusik. Der Song bleibt bis heute in seiner Einzigartigkeit unübertroffen.

Für viele Fans zählt Led Zeppelin „Physical Graffiti“ nicht zu den „unsterblichen“ Alben der britischen Rockband. Das Doppelalbum beweist indes ihre Vielseitigkeit und Virtuosität. Zudem enthält es mit „Kashmir“ eine einzigartige Hymne des Hard Rock, gleichzeitig integriert die Band auf dem Album Blues, Folk und orientalische Einflüsse in ihre Musik. Led Zeppelin prägte die Hard-Rock- und Metal-Szene nachhaltig und bleibt ein Bezugspunkt für unzählige Bands.

Einer der bekanntesten Rockhits, die damals auf keiner Party fehlen durfte, war Bachman-Turner Overdrives „You Ain’t Seen Nothing Yet“. Mit seinem treibenden Rhythmus und eingängigen Refrain ist er ein Paradebeispiel für den Stadionrock der 1970er Jahre. Der Titel wurde vielfach gecovert und bleibt ein fester Bestandteil von Rock-Radiosendern weltweit.

Die Disco-Welle beginnt

1975 war auch das Jahr, in dem die Disco-Bewegung an Fahrt aufnahm. Die Bee Gees hatten mit „Jive Talkin'“ einen ihrer ersten Disco-Hits, während Gloria Gaynor mit „Never Can Say Goodbye“ das Fundament für ihren Status als Disco-Königin legte. Die deutsche Gruppe Silver Convention erzielte internationale Erfolge mit Songs wie „Fly, Robin, Fly“ und zeigte, dass Disco auch über den Atlantik hinaus begeistern konnte. Diese Musikrichtung, die das Tanzen und die Clubkultur feierte, ebnete den Weg für elektronische Musikstile wie House und Techno.

Soul und Funk in Bestform

Mit „That’s the Way of the World“ etablierten sich Earth, Wind & Fire endgültig als führende Größe des Funk und Soul. Der Titeltrack und Songs wie „Shining Star“ kombinierten funkige Grooves mit spirituellen Botschaften und inspirierten Generationen von Künstlern, von Prince bis hin zu Bruno Mars. Unvergessen ist ihr Auftritt als Vorgruppe von Santana in der Kölner Sporthalle, das mit einer Feuerfontäne vor der Bühne begann.

Und dann war da noch Minnie Riperton und „Lovin’ You“, der Song mit Ripertons unverkennbaren hohen Stimme und den ikonischen Vogelgesängen, der für mich fest mit dem Jahr 1975 verbunden bleibt und zu den romantischsten Hits des Jahres zählt. Ihre einzigartige Gesangstechnik beeinflusst Sängerinnen wie Mariah Carey und Ariana Grande bis heute.

Der Beginn von Metal-Legenden

Während Motörhead 1975 ihre Reise mit der Gründung der Band und ersten Live-Auftritten begann, wurde der Grundstein für den Heavy Metal gelegt, der die 1980er Jahre dominieren sollte. Iron Maiden formierte sich im selben Jahr und begann, die britische Metal-Szene zu prägen. Beide Bands wurden zu Pionieren ihrer Genres und beeinflussten unzählige Musiker weltweit.

Die deutsche Schlagerhitparade

Und was wäre die deutsche Musikszene ohne die Schlagerhits wie „Tränen lügen nicht“ von Michael Holm und „Griechischer Wein“ von Udo Jürgens, George Baker Selection’s „Paloma Blanca“ hielt sich wochenlang an der Spitze der Charts und wurde zur Hymne der sommerlichen Unbeschwertheit. Penny McLeans „Lady Bump“ ist heute eher eine Erinnerung an Glitzeroutfits und Diskokugeln als an musikalische Relevanz. Ein besonderes Phänomen war Mike Krüger, dessen humorvoller Schlager wie „Mein Gott, Walther“ die Charts stürmte. Sein augenzwinkernder Stil brachte frischen Wind in die Hitparade und inspirierte spätere Comedy-Künstler wie Helge Schneider.

Zu Recht vergessene Werke

Nicht alles aus dem Musikjahr 1975 hat die Zeit überdauert. Viele Schlager und Pop-Hits waren stark zeitgebunden und spiegelten Moden wider, die schnell verblassten. Dazu zählen Songs wie David Dundas’ „Jeans On“ oder Paul Ankas „Times of Your Life“.

Das Musikjahr 1975 war ein Jahr voller Kontraste – von introspektivem Folk über bombastischen Rock bis hin zu tanzbarem Disco. Es brachte uns zeitlose Klassiker und inspirierte unzählige Künstler. Gleichzeitig bot es eine Fülle an Kuriositäten, die das Jahr zu einem wahren Kaleidoskop der Musikgeschichte machen. 1975 bleibt ein Beweis dafür, wie vielseitig und einflussreich Musik sein kann – und wie sie uns bis heute begleitet.