Was für ein Album. „Rough and Rowdy Ways“ von Bob Dylan ist ein Blick auf Leben und Tod von einem, der weder vor dem einen noch vor dem anderen Angst hat. Dylan hat sich poetisch wieder mal ganz tief in seine Seele begeben, streut Literatur- und Popreferenzen über lange Songs mit minimalen Melodien, Lieder, die sich anfühlen wie ausgewaschenes Treibholz, kräftig aber verletzlich, Geschichten, die wie eine sanfte Brise durchs offene Fenster durch die wehenden Vorhänge fliegen. Ein großartiges Album, in dem es unfassbar viel zu entdecken gibt. Das Album erscheint an diesem Freitag, 19. Juni, als CD, im Juli erst kommt es auf Vinyl heraus.
Von Dylan Cem Akalin
Schon das erste Stück auf dem Album „I Contain Multitudes“ beginnt mit großer schwärmerischer Geste. Die Eingangszeilen „Today, and tomorrow, and yesterday, too/The flowers are dyin‘ like all things do“ sind entlehnt aus Shakespeares Macbeth-Monolog, um dann gleich wieder aus einem Gedicht des irischen Dichters Antoin Ó Raifteirí (“The Lass from Bally-na-Lee”) zu zitieren. Und so traumwandelt Dylan mit uns immer weiter durch die imaginären Hallen seiner literarischen Ahnen. Es sind bilderreiche Zeilen voller Hinweise auf Spuren seiner poetischen Leidenschaft. Der Titel ist ja schon aus Walt Whitmans „Song of Myself, 51“ entnommen. Ein Stück über das Wunder, die Natur zu erleben und die Fähigkeit des Menschen, eins mit sich selbst und mit der Natur zu werden. Dylan erinnert uns an die schönsten Zeilen Whitmans, mit denen dieser die „Vergangenheit und Gegenwart“ als verwelkte Pflanzen darstellt, die einst lebendig und empfindsam waren, jetzt aber von der Gegenwart ihres Lebens entleert werden.
„I sleep with life and death in the same bed“
Und ist dieser Weise geht es in dem Song weiter. Sein Herz schlägt durch die Holzdielen wie in Edgar Allen Poes Kurzgeschichte „The Tell-Tale Heart“, und er malt Aquarelle wie der wunderbare kleine Filmheld Sam in Wes Andersons „Moonrise Kingdom“. Durch diesen irren Traum schwirren die Rolling Stones zu einem Lied von Bob Luman. Dylan huldigt Anne Frank, Indiana Jones und dem englischen Dichter, Naturmystiker und Maler William Blake, er spielt Sonaten von Beethoven und Präludien von Chopin und fragt am Schluss: „What more can I tell you? I sleep with life and death in the same bed.“
Und das alles singt er mit einer allwissenden Lässigkeit ja Gleichgültigkeit zu äußerst sparsamer Instrumentierung.
Und was ist mit diesem Song „False Prophet“? Die Musik basiert auf Billy „The Kid“ Emersons „If Lovin ‚Is Believin'“ (1954). „Ich bin kein falscher Prophet“, knurrt Dylan über einen schleichenden Blues-Groove, der von einem geradezu schmutzigen Gitarren-Riff angetrieben wird. „Ich weiß nur, was ich weiß.“ Der Text bewegt sich zwischen der existenziellen Mattigkeit eines unsterblichen, ermüdeten Satans, seiner saloppen Unverfrorenheit und etlichen spirituellen Anspielungen. Und zum Abschluss des Songs bemerkt er beiläufig „Ich kann mich nicht erinnern, wann ich geboren wurde / und ich habe vergessen, wann ich gestorben bin“
„My Own Version Of You“
Ein Prophet wollte Dylan selbst nie genannt werden, nicht mal ein Poet. Schon in einem frühen Interview sagte er von sich, er mache einfach Tanzmusik. „Elvis vielleicht. Ich konnte mir leicht vorstellen, er zu werden. Aber Prophet? Nein.“
„My Own Version Of You“ klingt wie eine humorvolle Frankenstein-Geschichte, wenn er auf der Suche nach Leichenteilen ist. „Ich nehme das Scarface Pacino und The Godfather Brando“. Aber dafür sind viel zu viele biblische Hinweise drin. Da kommt Jerome (Hieronymus) von Stridon, der Theologe und Historiker, der die Bibel ins Lateinische übersetzte vor, und Sankt Peter, Johannes der Apostel. Das alles klingt nach einer verqueren Version des Buches Jesaja und die Herstellung der Götterbilder. Und selbstredend kommt er auch hier nicht ohne Verweise auf seine persönlichen Helden wie etwa Frank Sinatra aus.
„I dont wanna fight, at least not today.“
Bei „I‘ve Made Up My Mind to Give Myself to You“ singt Dylan einen zerbrechlich-zarten Song über Liebe und Tod, im Hintergrund summt ein Männerchor wie bei einem alten Western das Melodiemotiv der Barcarole aus Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“. Altersmilde, möchte man meinen. Ein gemütvoller Rückblick auf „einen langen Weg der Verzweiflung“. „Ich habe dort keinen anderen Reisenden getroffen/Viele Leute sind weg, viele Leute, die ich kannte“. Und am Ende hofft er, die Götter würden es ihm leicht machen…
Mit „Black Rider“ geht es nicht minder dunkel weiter. Auch hier beschäftigt ihn wieder der Tod, und das mit der Innerlichkeit eines italienischen Bänkelsängers. Der Tod ist ihm auf den Versen, doch er will sich ihm kaum noch widersetzen: „I dont wanna fight, at least not today.“ Doch dieser Mann will sich von ihm nicht niedermachen lassen, stattdessen droht er dem Tod persönlich, ihm die Arme abzuhacken.
„Goodbye Jimmy Reed“
„Goodbye Jimmy Reed“ ist dann eine wohltuende schöne Hommage an einen der frühen Könige des Chicago-Blues. Wenn Bob Dylan mit der Folk-Ballade „Mother Of Muses“ die Musen besingt, dann ist das auch ein Lied über sein eigenes Land. Tat er es auch schon mit Songs wie „With God On Our Side“, oder mit der ganz großartigen fast 17-minütige Epos „Murder Most Foul“, das er im März bereits vorab veröffentlichte und auch auf diesem Album zu finden ist. So treibt er mit dem Lied über die „Mutter der Musen“ die Widersprüche von Aufklärung, Ruhm und Freiheit auf die Spitze: Mit zwei Zeilen spannt er den Bogen von den Sezessionskriegen über die Indianerfeldzüge zu den beiden Weltkriegen. „Sing of Sherman, Montgomery, and Scott./ And of Zhukov, and Patton, and the battles they fought.“ Es geht um die Moral, Kriege im Sinne einer wie auch gearteten Freiheit zu führen, sei es vor den Engländern, der Landeroberung oder gegen Invasoren, wie die Deutschen bei Stalingrad.
Für Dylan führen diese fragwürdigen Stationen menschlichen Kampfes zu musikalischen Revolutionen wie die eines Elvis, zu aufrechten Bürgerrechtskämpfern wie Martin Luther King. Das alles bestimmte die amerikanische Geschichte und ihr bis heute nicht aufgearbeitetes Erbe von Sklaverei und Rassismus.
„Crossing The Rubicon“
Die Redewendung „den Rubikon überschreiten“ beschreibt eine Aktion, nach der es kein Zurück mehr gibt. Und Dylan schaut bei „Crossing The Rubicon“ voller Grimm auf diesen Weg. Wenn Dylans vorherrschende Stimmung auf „Tempest“ mörderische Wut war, dann ist es hier ein grübelndes, bevorstehendes Schicksal, das irgendwie bedrohlich ist. Die Musik ist ein gedämpfter R’n‘B-Shuffle, der Gesang mit ordentlich Hall versehen. „Ich kann die Knochen unter meiner Haut fühlen/Und sie zittern vor Wut/Ich werde deine Frau zur Witwe machen/Du wirst nie sehen, wer es ist “, singt er bei „Crossing the Rubicon“.
Natürlich ist es schon seit einer gefühlten Ewigkeit eines der Dylan’schen Weisen, mürrisch darüber zu sinnieren, dass sich irgendwie alles den Bach runtergeht. Aber diesmal scheint sich die Botschaft leicht verschoben zu haben. Hören wir da auch Hoffnung in den Liedern? „I feel the holy spirit inside/See the light that freedom gives/I believe it’s in the reach of/Ever‘ man who lives“.
„Key West is fine and fair“
Und zum Schluss gibt er uns noch eine wunderschöne Ballade über die philosophische Bedeutung von Key West mit, der richtige Ort, wenn Du nach Unsterblichkeit suchst: „Key West is fine and fair / If you lost your mind you’ll find it there.“
Es sind die Songs eines 79-Jährigen, der immer noch was zu sagen hat. Und das mit der JKraft und Wut eines, mit dem man sich besser nicht anlegen sollte. Dylan schnaubt, knurrt, er lehrt, erzählt und braust wie ein Mann, der nichts zu beweisen hat. Immerhin droht er, jemandes Frau zur Witwe zu machen oder einem den Arm abzuhacken. Dylan ist immer noch da.