James LaBrie: Die Kraft unserer Musik liegt in der Vielschichtigkeit

Sänger James LaBrie FOTO: Horst Müller

Sie kennen keine musikalischen Grenzen. Die Dimensionen des Progressive Rock haben sie seit Ende der 80er Jahre konsequent erweitert. Und so gilt die Band Dream Theater heute als die bekannteste Vertreterin dieser Musikrichtung. Das 1992 erschienene Album „Images And Words“ ist das meistverkaufte Prog-Rock-Album. Das Quintett aus New York gilt darüber hinaus als eine der beeindruckendsten Live-Bands mit überaus virtuosen Musikern, die scheinbar mühelos Zitate aus der gesamten Rock- und Pop-Geschichte in ihr Spiel einbauen. James LaBrie ist der Frontmann und Sänger der Gruppe. Mit ihm sprach Cem Akalin.

Sänger James LaBrie. FOTO: Horst Müller
Sänger James LaBrie. FOTO: Horst Müller

Hi James. Du benutzt seit Eintritt in die Band 1992 deinen zweiten Vornamen, weil der Keyboarder damals auch Kevin hieß. Also, soll ich dich lieber Kevin nennen?

LaBrie: Nein, James ist in Ordnung.

Du bist geboren in Penetanguishene …

LaBrie: Ja. Das ist indianisch und bedeutet „Platz des rollenden weißen Sandes“.

Wie kommt ein Junge aus einer Kleinstadt in Ontario/Kanada dazu, eine klassische Gesangsausbildung zu machen? Du hast sogar eine Ausbildung zum Opernsänger.

LaBrie: Ich ging mit 18 nach Toronto und hatte Unterricht bei einer Dame namens Rosemary Burns. Ich wollte mehr aus meiner Stimme herausholen. Mir ging es um die Techniken.

Hast du auch Opern gesungen?

LaBrie: Nicht bei öffentlichen Konzerten. Nur privat. Aber 2002 habe ich bei der Opernsängerin Victoria Thompson wieder begonnen Unterricht zu nehmen.

Für dein „3-Tenöre-Projekt“?

LaBrie: Oh, das ist ein wirklich tolles Projekt. Es nennt sich „True Symphonic Rockestra“, und wir haben es in Krasnodar in Russland aufgenommen. Aber das Album ist noch nicht veröffentlicht. Wir haben eine Art Best off der Stücke aufgenommen, die die drei Tenöre Luciano Pavarotti, Placido Domingo und José Carreras gesungen haben – aber als rockige Version. Also zum Beispiel (singt) „O sole mio“ kommt wie eine Version von Fear Factory. Aber wir wollten nicht von einem Extrem ins andere verfallen. Es ist schon sehr ausgewogen.

Wer macht da mit?

Sänger James LaBrie: FOTO: Horst Müller
Sänger James LaBrie: FOTO: Horst Müller

LaBrie: Dirk Ulrich aus Deutschland ist der Produzent. Die anderen beiden Tenöre sind Thomas Dewald und Vladimir Grishko. Thomas ist Professor für Gesang in Mainz, und er ist fantastisch, ein wahnsinniger Sänger und ein netter Kerl. Und auch Vladimir. Wir hatten eine Menge Spaß zusammen. Nun verhandeln wir mit einigen Labels.

Bei deinem Solo-Album „Elements of Persuasion“ und der neuen Dream Theater-CD „Systematic Chaos“ (VÖ 1. Juni) habe ich das Gefühl, dass deine Stimme wieder voll da ist. Habe ich Recht?

LaBrie: Oh, du weißt von meiner…

Ja, du hattest vor einigen Jahren eine Lebensmittelvergiftung auf Kuba, und in der Folge waren deine Stimmbänder geschädigt.

LaBrie: Ja, ich war bei vielen Spezialisten, und alle haben mir gesagt, dass das lange dauern würde, bis ich wieder mein volles Stimmvolumen bekommen würde. Das war mit ein Grund, warum ich vor fünf Jahren zu Victoria Thompson gegangen bin. Weil ich spüren konnte, dass meine Stimme, dass einiges von der Kraft wieder zurückkam. Also sagte ich mir: Du musst wieder trainieren und etwas für deine Stimme tun.

„Systematic Chaos“ ist sehr viel düsterer als die letzten DT-Alben. Hat das mit den Ereignissen der letzten Jahre zu tun?

LaBrie: Ja, stimmt, sie ist teilweise düster.

Lass uns über den 11. September reden.

LaBrie: Klar.

SängerJames LaBrie (Rechts) mit Cem Akalin. FOTO: Horst Müller
SängerJames LaBrie (Rechts) mit Cem Akalin. FOTO: Horst Müller

Du warst an diesem Tag vor sechs Jahren in New York. Wie hast du diesen Tag erlebt?

LaBrie: Es war schrecklich. Ich war am Abend zuvor nach New York geflogen. Es war surreal, unglaublich was da passiert ist. Ein Freund von mir, unser Tourmanager Bill Barclay, war auch gerade in der Stadt und hatte sich mit Meatloaf getroffen. Er rief mich an und sagte: Mein Gott, siehst du, was da passiert ist? Die ganze Stadt war … Wir liefen die Fifth Avenue runter. Da fuhren keine Autos. Keine Menschen auf den Straßen, Als wären alle geflohen. Wir waren gerade an der Canal Street. Das ist etwa eine halbe Meile von Ground Zero entfernt. Dort herrschte eine unglaubliche Hitze! Dieser ganze Staub in der Luft. Einfach unglaublich.

Und ausgerechnet an diesem Tag erschien Euer Album „Live Scenes From New York“. Auf dem Cover ein brennender Apfel mit den Twin Towers in Flammen.

LaBrie: Wir waren total geschockt. Niemand konnte voraussagen, niemand konnte auch nur erahnen, dass so etwas wirklich einmal geschehen könnte. Wir haben sofort das Album aus dem Verkehr gezogen. Schon aus Respekt vor den Opfern, mussten wir das tun. Es kam dann mit einem anderen Cover raus.

Hat das Eure Musik irgendwie beeinflusst?

LaBrie: Nein, 9/11 hatte uns musikalisch nicht geprägt.

Was ist mit „Prophets of War“ auf dem neuen Album?

LaBrie: Das hat mit dem zu tun, was sich zurzeit in der Welt tut. Es geht um diese ganzen Irreführungen und Betrügereien, die letztendlich zum Irak-Krieg geführt haben. Wir sind in America ja immer noch dabei, diese ganzen Verwicklungen aufzulösen. Ich bin bei dem Text zu dem Song von einem Buch des früheren amerikanischen Diplomaten Joseph Wilson inspiriert worden. Seine Frau, Valerie Plame, war bei der CIA, und sie wurde von ihrer eigenen Regierung reingelegt. Und das nur, weil die Regierung sich über ihren Mann aufgeregt hatte. Der hatte im Auftrag der Regierung festgestellt, dass die Vorwürfe, der Irak hätte in Nigeria Uran gekauft, auf gefälschten Dokumenten beruhten, was er ja auch öffentlich gemacht hatte. Daraufhin wurden verschiedene Medien aus dem Umfeld von Präsident Bush über die Geheimdiensttätigkeit seiner Frau informiert.

Dream Theater-Sänger James LaBrie. FOTO: Horst Müller
Dream Theater-Sänger James LaBrie. FOTO: Horst Müller

Warum hast du das Thema aufgegriffen?

LaBrie: Worum es mir bei „Prophets of War“ auch geht, ist, dass wir als Volk immer hinterfragen müssen, was uns die Politiker da gerade erzählen. Wir müssen unsere Differenzen mit anderen anders lösen als mit Krieg. Vor allem muss man anderen Kulturen Respekt entgegenbringen, man muss versuchen, andere Religionen zu verstehen, andere Menschen zu akzeptieren und zwar so, wie sie sind, ohne zu versuchen, sie ändern zu wollen.

„Systematic Chaos“ ist wieder einmal sehr abwechslungsreich. „Forsaken“ könnte sogar im Radio laufen. Gibt´s vielleicht auch eine Single-Auskopplung?

LaBrie: Wir haben in der Tat eine Single-Auskopplung, zu der wir letzte Woche in New York ein Video abgedreht haben. Zu Constant Motion.

Das Stück ist heavy.

LaBrie: Seeehr heavy, aggressiv, voller Power. Wir wollten dieses Stück, weil es zeigt, wo wir uns gerade musikalisch bewegen. Das Album ist insgesamt aggressiver, heftiger, aber trotzdem ausgewogen.

Es gibt auch wieder gefühlvolle Balladen.

LaBrie: Ja, Emotionen sind drin, und doch findet du da Progressiv- und Heavy-Metal-Elemente drin. Wir haben alle möglichen Elemente drin, um viel Charakter und Dynamik ins Album zu bringen, und es erlaubt mir als Sänger viel Raum zum Ausdruck. Aber du hast recht: Forsaken wird unsere zweite Single.

Ihr spielt mit außergewöhnlicher Virtuosität, technisch geradezu perfekt. Die Kompositionen sind ausgefeilt und sehr anspruchsvoll. Trotzdem steckt eine Menge Gefühl drin. Was ist das Geheimnis?

LaBrie: Jeder in der Band hat seit seiner Kindheit immer sehr viel Musik gehört. Und das tun wir immer noch. Wir hören viel und sehr unterschiedliche Dinge. Darunter auch viel Pop und Mainstream, …

Ihr habt sogar mal ein Elton-John-Stück gecovert.

LaBrie:…Heavy-Metal, Fusion und Klassik. Und das alles fließt durch uns in die Musik, die wir spielen. Ich glaube, das Geheimnis unserer Musik ist, dass wir nicht eingefahren sind, das wir nicht eingeschworen sind auf einen Stil, ein Genre. Die Kraft unserer Musik liegt in der Vielschichtigkeit. Wir pflegen uns nicht zu wiederholen. Wir sind keine eindimensionale Band. Das wäre uns mit der Zeit auch viel zu langweilig. Diese vielen Einflüsse erlauben uns eben, den Stücken trotz der technischen Finessen sehr viel Soul und Kraft einzuhauchen. Das ist es, was Dream Theater so einzigartig macht.

Welche CD liegt derzeit in Deinem Player?

LaBrie: Die neue Porcupine Tree. Die ist wirklich cool. Und System of a Downs „Mezmerized“. Das ist das, worauf mein Sohn im Moment total abfährt. Das ist seine Lieblingsband.

Wie alt ist er?

LaBrie: Neun. Er ist wirklich sehr, sehr an Musik interessiert.

Am 16. Juni kommt Ihr nach Bonn. Gibt es schon eine Setlist?

LaBrie: Mike (Portnoy, Schlagzeuger) schreibt die Setlisten seit, seit es die Band gibt. So ungefähr weiß ich was kommt.

Ihr habt schon so manche Cover-Abende gespielt. Unter dem Titel „An Evening with“ habt Ihr in Japan das gesamte Made in Japan Album von Deep Purple gespielt, Master of Puppets von Metallica, Dark Side of The Moon von Pink Floyd. Wird es das in Bonn auch geben?

LaBrie: Ich glaube nicht. Wir spielen Covers nur an ganz speziellen Abenden und spieziellen Orten, so wie „Made in Japan“ in Tokio.

Wie würdest du Dream Theater-Konzerte jemandem beschreiben, der die Band nicht kennt?

LaBrie: Akustisch haben wir einen wirklich großen Sound. Wir spielen jeden Abend eine andere Setliste. Das hält unserer Sound frisch und lebendig. Das ist gut für die Fans und für die Band. Wenn wir immer und immer wieder dieselben Stücke in der selben Reihenfolgen spielen würden, würden wir klingen wie Maschinen. Unsere Zuschauer können aber auch visuell etwas erwarten. Mit unseren Bildern und der Lightshow sind unsere Konzerte ein sehr intensives Erlebnis.

Ihr seid bekannt für Eure extrem langen Konzerte. Die Fans lieben Euch, weil Ihr alles gebt. Absoluter Einsatz. Mike Portnoy, der Schlagzeuger, hatte in New York sogar mal einen Zusammenbruch.

LaBrie: Das war bei den Aufnahmen für die DVD „Live Scenes From New York“. Er hatte die Regie, die Organisation, und war wirklich. Er hatte die Regie, die Organisation, die Vorbereitungen für den Dreh, und war wirklich voll eingespannt, und das für viele Tage. Am Tag des Konzerts hat er kaum gegessen, kaum getrunken, und nach der Show ist er zusammengebrochen. Der Körper war ausgetrocknet.

Drei-, Vier-Stunden-Konzerte sind total ungewöhnlich in Zeiten, wo viele Künstler kaum eine Stunde auf der Bühne stehen. Ihr könntet Euer Geld auch einfacher verdienen.

LaBrie: Naja, das liegt in der Natur unserer Musik. Viele unserer Stücke sind sehr lang. Eine Ein-Stunden-Show wäre für uns völlig unmöglich. Wir wollen unseren Fan etwas geben, das angemessen ist. Wir wollen ihnen etwas Besonderes bieten.

 

Dream Theater sind:

Gesang: James LaBrie (seit 1992)
Bass: John Myung
Gitarre / Gesang: John Petrucci
Schlagzeug / Gesang: Mike Portnoy
Keyboards: Jordan Rudess (seit 1999)

 

Kurzinfo:

John Petrucci, John Myung und Mike Portnoy lernen sich am Berklee College of Music in Boston kennen und gründen 1985 die Band Majesty. Sie holen Kevin Moore (Keyboards) und Sänger Chris Collins dazu, der später von Charlie Dominici ersetzt wird. Da es aber bereits eine Band gleichen Namens gibt, müssen sie ihren Namen ändern. Die Idee für Dream Theater kam von Portnoys Vater, der den Namen von einem Kino in Los Angeles ableitete. Das Logo, das aussieht wie ein M über einem Peacezeichen und das Siegel der schottischen Königin Maria I. darstellt, erscheint bis heute auf jedem Albumcover. James LaBrie ist seit dem zweiten Album dabei. Das 1992 erschienene „Album, Images and Words“ erlangte Platinstatus in den USA und Japan und gilt als die bislang erfolgreichste Progressive-Rock-Aufnahme.

 

Diskografie:

1992 Images and Words
1993 Live At The Marquee
1994 Awake
1995 A Change Of Seasons
1997 Falling Into Infinity
1998 Once In a LIVEtime
1999 Scenes From A Memory
2001 Live Scenes From New York
2002 Six Degrees Of Inner Turbulence
2003 Train of Thought
2004 Live At Budokan
2005 Octavarium
2006 Score
2007 Systematic Chaos (VÖ 1. Juni)

 

Welttournee Chaos in Motion:

13.06. Berlin, Zitadelle Spandau
16.06. Bonn, Bonner Museumsplatz