Little Steven im Interview: über Bruce Springsteen, das schwierige Geschäft mit der Musik und Politik

Little Steven ©Little Steven

Little Steven, Bruce Springsteen engster Freund und Gitarrist in seiner E Street Band, kommt mit seiner eigenen Gruppe nach Deutschland. Am Mittwoch, 4. Juli 2018, spielt er ab 20 Uhr, im E-Werk in Köln. Ein Interview mit Steven Van Zandt führte Dylan Cem Akalin.

Little Steven ©Jo Lopez

Steven Van Zandt, den die Rockwelt nur als Little Steven kennt, begrüßt mich mit einem fröhlichen „Hi, ich bin Stevie“. Der Mann, der zuletzt vor allem als Mafioso Silvio Manfred Dante in der Serie „Die Sopranos“ bekannt war, ist als musikalischer Partner von Bruce Springsteen und seiner E Street Band kaum wegzudenken. Nach langer musikalischer Abstinenz ist Little Steven wieder mit seiner Band The Disciples of Soul unterwegs.

Die Tour ist Lehrern gewidmet. Das ist dem 67-Jährigen wichtig. „Jeder Lehrer, der dieses Interview liest, kann sich registrieren lassen und bekommt dann freien Eintritt in mein Konzert“, sagt er. „Lehrer haben’s wirklich schwer, und ich will mich mit ihnen solidarisch zeigen. Sie haben eine wichtige Aufgabe.“ Außerdem hat seine Stiftung hat ein musikhistorisches Curriculum entwickelt. Jeder kann die Unterrichtsmaterialien auf http://teachrock.org kostenlos herunterladen.

Lehrer, die sich bei Christine@teachrock.org  registrieren, kommen kostenlos in Little Stevens Konzert. Und kann noch eine Begleitung mitbringen. Mit Steven Van Zandt sprach Dylan Cem Akalin

Mr. Van Zandt, hören Sie eigentlich noch gut?

Steven Van Zandt: (lacht)

Weißt du, ich habe dich vor mehr als 30 Jahren, 1987, im Bochumer Stadion gehört. In meiner Erinnerung war das das lauteste Konzert, das ich je gehört habe…

Van Zandt: (lacht laut)

Es war laut, wild, leidenschaftlich. Ist das sowas wie ein Lebensmotto?

Van Zandt: (lacht immer noch) Ja, ich liebe das laute Leben. Na ja, es geht mir jedenfalls gut. Weißt du, das, was du als Zuschauer hörst, ist nicht das, was wir auf der Bühne mitbekommen. Aber ja, es ist laut. Und das macht mich glücklich. (lacht)

„Bruce schrieb und schrieb und schrieb“

„Darkness on the Edge of Town“, das Album, das du  mit Bruce Springsteen gemacht hast feiert in diesen Tagen seinen 40. Geburtstag, ein Album voller Überheblichkeit, voller dunkler Verzweiflung, aber auch Pathos, Wut. Erinnerst du dich an die Entstehung?

Van Zandt: Ja, natürlich. Ich war an den Arrangements der Songs beteiligt. Das war die Zeit, wo unsere Kreativität geradezu explodierte. „Bei Born To Run“ waren es vielleicht acht, neun Songs, und für Darkness hatte Bruce 50 Songs geschrieben. Das war bemerkenswert, das alles mitzuerleben. Es war, als hätte sich ein Tor geöffnet, und Bruce schrieb und schrieb und schrieb. Alles gutes Zeug.

Hat sich seitdem etwas geändert für dich?

Van Zandt: Es war das letzte Mal, dass das Aufnehmen einer Platte so schwierig war.

Inwiefern?

Van Zandt: Es war früher unendlich schwierig, den Sound, der dir vorschwebte, auch so aufzunehmen. Also rein technisch. Und das war auch der Grund, warum mich Bruce bei den nächsten zwei Alben als Co-Produzent haben wollte. Er wusste, ich war ein Band-Typ. Ich bin ein guter Arrangeur, ein guter Produzent und einer, der eine natürliche Begabung dafür hat, Livesounds einzufangen. Es fällt mir nicht schwer, live eine Beziehung zwischen Band und Zuschauer zu schaffen. Die 70er waren, was die Aufnahmetechnik betrifft, die schlimmste Zeit im Musikbusiness.

„…das Schlimmste, was dem Rock ‚n‘ Roll passieren konnte“

Ach, tatsächlich? Wie kommt’s?

Van Zandt: Die Technik war auf einem Stand, die dir immer wieder Probleme bereitet hat. Die Entwicklung war an einem Punkt angelangt, wo die Technik den Stab über deine Musik übernahm. Techniker hatten die totale Kontrolle! Alles wurde getrennt, alles wurde auf verschiedenen Kanälen aufgenommen. Das machte den Sound makellos, aber irgendwie steril, da war nichts, was mal aus dem Ruder laufen konnte. Das war das Schlimmste, was dem Rock ‚n‘ Roll passieren konnte!

Little Steven ©Little Steven

Aber es gab doch großartige Rock-Alben in den 70ern! Und heute versuchen so viele Retrobands,  genauso zu klingen wie ihr in den 70ern?

Van Zandt: Moment, versteh mich nicht falsch! Der Punkt ist, dass diese großartigen Alben trotz der Technologie entstanden sind! Das war vielleicht auch der Grund für das Entstehen von Punk. Man wollte etwa machen, das wilder und natürlicher war. Die Musik war dabei, sich immer mehr in die technische Richtung zu bewegen. In den 80ern hatte diese Technik eine neue Ebene erreicht. Du konntest plötzlich einen Drumsound aufnehmen, für den du in den 70ern so dermaßen hart gearbeitet hattest. Und auf dem Album „The River“ klangen die Drums das erste Mal fantastisch! Und sechs Monate später wurde das Sampling erfunden! (lacht)

Frustrierend!

Van Zandt: (lacht) Wenn ich mir überlege, was ich alles versucht habe, um einen bestimmten Klang des Schlagzeugs aufzunehmen, wie oft wir die Mikrofone versetzt haben, was uns Stunden und Tage gekostet hat. Und plötzlich brauchtest du nur einen Knopf drücken – und der Sound war da! Deswegen klingen die Alben aus den 80ern alle etwas größer und breiter, manche sind dabei vielleicht etwas übers Ziel hinausgeschossen. Mein Gott, was haben wir früher alles angestellt, was haben wir alles abgepolstert und gedämmt. Es war zum Teil auch eine öde Arbeit! Es war fürchterlich! (lacht)

„Das hat mich alles irgendwie frustriert“

Hattest du die Schnauze voll von all dem oder wieso hast du dich aus der Musik herausgezogen? Für einen Rockstar hast du eine ungewöhnliche Biografie: Erst bist du kaum von deiner Gitarre zu trennen, machst bei den erfolgreichsten Alben von Bruce Springsteen’s E Street Band mit, bist maßgeblich für den Erfolg von Southside Johnny and the Asbury Jukes verantwortlich und verschwindest dann im Film-Geschäft. Wie kam es dazu?

Van Zandt: Mhm, ich war ja auch ziemlich politisch engagiert. Und ich habe in den 80ern fünf Soloalben gemacht, auf die ich wirklich stolz bin. Aber irgendwie habe ich das nicht als richtige Karriere gesehen, sondern eher als künstlerisches Abenteuer, was wahrscheinlich ziemlich naiv war. Ich hatte ja nie einen Manager, was ein großes Problem war.

Warum?

Van Zandt: Es wurde immer komplizierter, das Geschäftliche im Auge zu behalten und eine musikalische Karriere zu verfolgen. Die fünf Soloalben  waren ja auch sehr unterschiedlich. Das hat mich alles irgendwie frustriert. Und dann kam das Angebot von David Chase, bei der Serie „Die Sopranos“ mitzumachen. Und ich dachte: Warum nicht? Und dann war ich zehn Jahre mit dieser Serie beschäftigt. Schließlich kam die Serie „Lilyhammer“, und ich war vier Jahre in Norwegen.

Und dann kam Bruce Springsteen.

Van Zandt: Ja, er brachte die E Street Band wieder zusammen, und wir waren auf Tour. Und ehe du dich`s versiehst, sind zwei Jahrzehnte vorbei. Und jetzt bin ich dabei, mich wieder neu zu erfinden. Ich bin ein Songwriter! Ich brachte „Soulfire“ raus, und jetzt das Live-Album.

So viele Jahre kam nichts, und dann „Soulfire“. Was war dein Beweggrund?

Van Zandt: Es waren die Umstände: Ich hab’s ja nicht mal geplant. Nach der Tour mit der E Street Band, wann war das? Ich weiß es nicht mehr. 2016?

Ja.

Van Zandt: Am Ende der Tour in London fragte mich dieser verrückte Promoter: Wann kommst du mal wieder nach London? Und ich sagte: Meine Frau Maureen und ich werden zu Bill Wymans 80. Geburtstag wiederkommen. Nun, er hatte ein Bluesfestival in der Zeit auf die Beine gestellt und fragte mich, ob ich da nicht mit meiner Band spielen wollte. Oh, Mann, ich hatte nicht mehr daran gedacht, mit der Band wieder aufzutreten. Es war eine total spontane Entscheidung, okay zu sagen. Und ich entschied mich für die Band, die ich ein Jahr zuvor für „Introducing Darlene Love“ zusammengestellt hatte. Für mich ist das das großartigste Album, das ich je gemacht habe. Tja, da war ich plötzlich mit der Band und spielte Stücke, die ich 25 Jahre nicht mehr gespielt habe.

„Das ist die Musik, die mich geprägt hat“

Wie war das für dich?

Van Zandt: Ich war selbst beeindruckt. Es lief einfach gut! Es hatte eine sehr eigenen Stil: Weißt du, so ein Rock meets Soul! Nun, mir gefiel’s, und ich genoss es.

Da sind auch Jazzeinflüsse auf dem Album.

Van Zandt: Stimmt! Als ich das Album konzipiert habe, dachte ich mir, nimm all die Farben, die ich schon für andere Künstler geschrieben habe. Und gleichzeitig wollte ich auch einige meiner eigenen Musikwurzeln in dem Album widerspiegeln. Ich schrieb einen Doo Wop-Song, einen Blues, auch ein paar Covers wie James Brown. Das ist die Musik, die mich geprägt hat. Es mag sein, dass viele Seiten von mir darin sehen, die sie bisher nicht kannten. Aber das ist genau das, was ich bin.

Hat sich deine Haltung zur Musik seitdem eigentlich geändert?

Van Zandt: Eigentlich nicht. Ich habe sogar auf die alte analoge Methode aufgenommen. Irgendwie haben sich meine Ohren an diesen Sound gewöhnt, der direkt auf einem Tape aufgenommen wird. Was sich vielleicht geändert hat, ist, dass meine Musik etwas anspruchsvoller geworden ist. Deswegen kann ich auch keine reinen Rockmusiker mehr einsetzen. Ich brauche gute Sessionmusiker, die wissen, was ich will. Wer zu meiner Show kommt, erlebt zehn verschiedene Genres der Popularmusik. Salsa, Folkrock, Soul… alles mögliche.

Eine Brücke zu bauen ist wichtiger, als den Graben weiter zu vertiefen

Was ist mit Inhalten? Du bist ja einer, der nie einen Hehl über seine politische Haltung gemacht hat. Du hast deine Stimme erhoben gegen Ronald Reagan, gegen das Apartheid-Regime in Südafrika.  Auf deinem aktuellen Live-Album sagst du zwar in einer Ansage, niemand in Amerika sei politisch. Und doch: Politisch ist das Album nicht. Warum?

Van Zandt: Die politische Stimmung ist zurzeit so schwierig. In den 80ern hat keine geglaubt, dass Ronald Reagen Gott sei. Da liefen ein paar ziemliche schlimme Sachen ab, und es war wichtig, den Menschen die Augen zu öffnen. Heute ist doch sehr offensichtlich, was passiert. Politisch zu sein, ist einfach nur ärgerlich.

Hast du Robert de Niro bei den Tony Awards erlebt?

Van Zandt: (lacht) Ach weißt du, ich finde es zurzeit wichtiger, die Menschen irgendwie zusammenzubringen. Die Gesellschaft ist dermaßen gespaltet. Eine Brücke zu bauen ist wichtiger, als den Graben weiter zu vertiefen.

Das klingt resigniert, vielleicht sogar enttäuscht.

Van Zandt: Nein, nein, ganz im Gegenteil! Ich habe eine sehr bewusste Haltung. Ich finde es wichtig, zurzeit nicht die eine oder andere Seite zu stärken. Wir brauchen gemeinsamen Konsens, wir müssen zueinanderfinden. Global. Sonst haben wir irgendwann einen weltweiten Bürgerkrieg.

Hättest du nach Reagan gedacht, dass es nochmal so einen Präsidenten wie Donald Trump geben könnte?

Van Zandt: Der war wirklich einzigartig! (Lacht)

Letzte Frage: Du bist seit Teenager-Tagen eng mit Bruce Springsteen befreundet. In seinem Buch schwärmt er geradezu überschwänglich über dich. Was schätzt du an ihm an meisten?

Van Zandt: Er hat mich immer inspiriert. Als wir noch jung waren, war er derjenige, der sich hundert Prozent dem Rock ‚n‘ Roll verschrieben hatte. Er war kein Business-Typ. Du musst schon ein wenig verrückt sein, um dein Leben dem Rock ‚n‘ Roll zu widmen. Er hat mich mit seiner Zielstrebigkeit, mit seiner Fokussiertheit auf die Musik, immer wieder beeindruckt.

Und sonst?

Van Zandt: Er ist der einzige Typ, den ich kenne, der nie Drogen nahm, und in den 60ern hat jeder Drogen genommen. Er hatte auch nie was mit Alkohol. Und er war der einzige Typ, der nicht neben der Musik noch einen anderen Job hatte, um über die Runden zu kommen. Er hat es irgendwie geschafft, immer von der Musik zu leben. Dagegen ist mein Leben ein einziges Chaos. (lacht)