Beste Band beim Pinkpop-Festival: Prophets of Rage. Außerdem System of a Down, Sum 41 und viele mehr

Prophets of Rage FOTO: Peter "Beppo" Szymanski

Was für ein Tag! Meine Fitness-App zeigt am Ende von Tag drei des Pinkpop-Festivals fast zwölf absolvierte Kilometer an. Die meisten davon gehen wohl auf Kosten von Prophets of Rage, eindeutig die stärkste Band beim Festival. Wer da ruhig stehen kann und nicht mitgeht, mit dem muss etwas nicht stimmen.

Von Dylan Cem Akalin

Seasick Steve FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Ein Highlight jagt das nächste. Ein sagenhaftes Programm hat Jan Smeets für den letzten Tag zusammengestellt. Seasick Steve ist einfach ein Typ. Der steht  beziehungsweise sitzt da mit seinem Drummer und spielt seine Nummern mit einer Coolness, die Spaß macht. „Ich habe keine Hits, ich mache einfach nur Musik“, ruft er den Leuten zu. Viele werden den Bluesmusiker nicht kennen, dennoch packt er die Leute mit seiner Musik, an der noch richtig der Dreck des Mississippi hängt. Dann holt er auch noch seine selbstgebastelte „Banjo-Washboard-Kinda-Shit“ raus, zusammengeschraubt aus einem Waschbrett, das er in einer alten Scheune gefunden hat, einem Mississippi-Autokennzeichen und weiß der Geier was für Teilen noch. Eine einzelne Saite hat das Teil, aber es hat einen Sound, der die Whiskey-Kehle runterrauscht. Steve sitzt später im Sicherheitsgraben vor System of a Down und sieht sich die Show an. Cooler Hund!

Rag n Bone Man. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Eine echte Type ist auch der Rag ‚n‘ Bone Man, steht da, massig, tätowiert, Camouflage-Hemd, weißes T-Shirt, Kette mit „Rum Gom-Anhänger“, was immer das ist. Falsche Entscheidung: Der britische Blues- und Soulsänger spielt auf der kleineren 3fm-Bühne. Und der Mann mit dem Megahit „Human“ zieht die Massen an. Kein Durchkommen mehr. Und der Mann ist klasse, startet mit „Wolves“, „No Mother“, „Ego“. Meine Fresse, hat der eine Stimme. Schwarz, soulig, durchdringend. Okay, „Human“ kommt als vorletztes Stück, die Leute sind hin und weg. Und dann „Bitter End“. Dem Mann könnte man stundenlang zuhören.

Don Broco („Fire“) hat etwas mit dem Sound zu kämpfen, die Fans stört das aber nicht. Während Liam Gallagher eher eine Art Alt-Herren-Treffen im völlig überfüllten Zelt veranstaltet, brennt Sum 41 die Bühne ab. Sum 41 sind sowas wie die ADHS-Vettern von Green Day: schneller, extrem eingängige Songs mit einer Handvoll Akkorde. Das Quintett wirkt auf der Bühne nach der Alkoholabhängigkeit von Frontmann Deryck Whibleys, der wieder seit zwei Jahren trocken sein soll, und die Rückkehr von Gitarrist Dave Baksh stark dynamisch und voller Kraft. Letzterer ist immer noch ein begnadeter Gitarrenvirtuose und lässt kurz ein bisschen Metallica erklingen – sehr zur Freude des Publikums. „Master Of Puppets“ kommt einwandfrei als „Ruhepunkt “ zwischen eigenem Material. Starker Auftritt!

Passenger Mike Rosenberg wirkt dagegen wie eine zarte Kletterrose an der Mauer. Beharrlich, sich immer treu bleibend und voller Eingebung. Das Faszinierende an dem 33-Jährigen Briten: Er erreicht mit seinen sanften Songs die Leute – sogar von der großen Bühne aus.

Und dann eben Prophets of Rage, sowas wie eine Supergroup, zusammengestellt aus den ehemaligen Rage-Against-the-Machine-Musikern Tom Morello (Gitarre), Tim Commerford (Bass) und Brad Wilk (Schlagzeug) sowie dem Public-Enemy-Rapper Chuck D, dem Cypress-Hill-Rapper B-Real und dem Public-Enemy-DJ DJ Lord. Was machen die da? „Soulpower“ pur (steht auf Morellos Gitarre), Revolution auf der Bühne, eine einzige Energieexplosion. Es ist auch keine Überraschung, dass es politisch zugeht. Die Sirenen heulen, als die Männer auf die Bühne kommen, sie stellen sich nach vorne, die Fäuste in die Luft gestreckt und beobachten lautlos das Feld. Die Revolution hat begonnen, und dabei geht es laut und entschlossen zu – vor allem, wenn Morello die Sirenen im Intro von „Testify“auf seiner Gitarre zu einem Schrei  überlaufen lässt. Klar, das ist ganz viel Rage Against the Machine, schon weil die alte Band um Morello das Rückgrat des Ganzen bildet.

Tatsächlich gibt es heute doch keine Bands mehr, die in diese Richtung gehen. Es ist dieser typische Sound von RATM, die einen umhauen, diese hart entgleisenden Riffs, die hektischen, übellaunigen Kratzer in Morellos Spiel. Viele bekannte Stücke spielt die Band: „Bullet In The Head“, „Insane In The Brain“, „Jump Around“ und dann eine furiose Version des klassisch-rebellischen Rocksongs „Killing in the Name“.  Merkwürdigerweise war das nicht einmal das Highlight. Diese Ehre gebührt der herzzerreißenden Interpretation von „Like A Stone“, eine Hommage an den kürzlich verstorbenen Chris Cornell, der mit Tom Morello diesen Song mit der Band Audioslave gesungen hatte. Der Sänger am Montagabend: Serj Tankian. Der Frontmann von System of a Down wird hinter den Kulissen auf die Bühne gewinkt und ist plötzlich im Mittelpunkt der Prophets Of Rage. Wahnsinn. Und mit welcher Hingabe er den Song singt!

System of a Down FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Sytem of a Down bringen keine neuen Songs – weil es irrwitzigerweise keine neuen gibt. Das letzte Album ist zwölf Jahre her. Dennoch von Nostalgie keine Spur. Die Band hat ihren ganz eigenen Sound, ihren eigenen Metallstil, in den sich orientalisch-armenische Folkklänge verfangen. Tankian und Daron Malakian haben in den 90ern einen einzigartigen Sound geschaffen, und der trägt heute noch: ohrenbetäubend, manchmal fast absurd, progressiv, oft völlig gegen die Regel.

Fehlerfrei war der Auftritt indes nicht. Vor allem war die zweite Stimme von Malakian geht manchmal etwas daneben, und die armenischen Gitarrenmelodien konnten gelegentlich die komplexen Rhythmen nicht halten. Aber völlig egal. Diese Stücke wie „Sugar“ und „Suggestions“ sind schon fast Metal-Klassiker, so wie „Hypnotize“. Und die Hits durften auch nicht fehlen: „Chop Suey“, „Toxicity“, „B.Y.O.B .“, die für wilde Moshpits sorgten.

System of a Down FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Zum Festivalende dann Kings of Leon, die Band aus der Champions League des Alternative Rock. Ja, ein ordentlicher Auftritt war das, und viele bekannte Songs gab es zu hören –  auf eine irgendwie artige Art. Caleb Followill und seine Brüder und Neffen wirkten entrückt. „Closer“ war sicherlich der Höhepunkt des Abends, „Sex On Fire“ und „Use Somebody“ wirkten so runtergeschremmelt, „Waste A Moment“ indes spielte die Band mit viel Inspiration. Beste Band des Festivals? Prophets of Rage!!