Nur eine Illusion: Tribute Bands erobern die Säle

Ausschnitt des Genesis Plattencovers "Seconds Out"

Tribute Bands füllen Säle und Hallen. Die Fans sind auf der Suche nach dem Kick von einst und vergessen, dass es vielfach neue Bands gibt, die es lohnen, beachtet zu werden.

 

„If I’m going to sing
like someone else,
then I don’t need
to sing at all.“

Billie Holiday

Von Cem Akalin

Es war wie ein Flug in fantastische Dimensionen, eine Reise auf dem fliegenden Teppich in eine unbekannte, aber lang ersehnte Welt der musikalischen Erfahrung. 1975, im April, Düsseldorf. Auch die älteren Jungs, die mich als damals 16-Jährigen und meinen Freund mitgenommen hatten, waren nach dem Konzert so nachhaltig beeindruckt, dass die Fahrt zurück schweigsam verlief. Genesis war auf „The Lamb Lies Down On Broadway“-Tour und spielte das komplette Doppelalbum. Als Zugabe gab es “Watcher of the Skies” und „The Musical Box”, genau die Stücke, die mich in den Bann dieser britischen Band gezogen hatten, mit ihrer für mich damals so rätselhaften Musik, die so völlig anders war, als alles, was ich bis dahin gehört hatte.

Und dann Peter Gabriel! Der mit seiner charismatischen Präsenz und seinen immer wieder wechselnden fantastischen Kostümen die Bühne beherrschte. Alles war in Weiß getaucht, abgedrehte Bilder, Lichteffekte, und dann diese Musik, die uns berauschte. (Phil Collins trug weiße Latzhosen am Schlagzeug. Die kauften wir uns am nächsten Tag dann auch – bei Benartz in der Bonngasse.) Es war eine unvergessene Erfahrung, ein Abenteuer, und die, die das Glück hatten, dieses zu erleben, fühlten sich lange danach noch wie eine verschworene Gemeinschaft, die sich ohne Worte versteht.

Genau so sollten eben Konzerte sein. Genau das ist es, was ein gutes Rock-, Jazz- oder auch Pop-Konzert ausmachen sollte. Die Nachhaltigkeit eines Augenblicks, der eine Ewigkeit zu dauern scheint, und das ist, was gute Musiker von durchschnittlichen unterscheidet. Sie schaffen es, ihr Publikum in ihren Bann zu ziehen, was nur geschehen kann, wenn sie sich öffnen und der Kern ihrer Antriebskraft erlebbar wird. Manche nennen es Ehrlichkeit oder Persönlichkeit.

31 Jahre später zieht mich die Band „The Musical Box“ an einem kalten Januarabend in die Bonner Beethovenhalle. Das Ticket für einen guten Platz kostete etwa 50 Euro, damals hatten wir irgendwas um die 15 Mark gezahlt, um das Original zu sehen. Was diese kanadische Tribute Band von anderen unterscheidet, ist, dass sie die komplette Bühnenshow von Genesis überlassen bekamen, inklusive der damals von der Band gespielten Instrumente. In meiner Erinnerung war alles irgendwie großartiger, dass so vieles am Bühnenbild so wenig perfekt war, erstaunte mich schon. „The Musical Box“ waren großartig. Keine Frage. Musikalisch geradezu perfekt.

Was allerdings befremdlich war, dass Sänger Denis Gagné so vollständig die Figur Peter Gabriel eingesogen hatte, sogar seine damaligen Bühnenansagen und kleinen Histörchen inklusive Räuspern gab er eins zu eins wieder. Irgendwie befremdlich! Und das Gefühl von damals kam natürlich auch nicht wieder. Wie auch? Es war die Retorte auf der Bühne ohne die Ausstrahlung der damaligen Musiker.

Konzerte von Cover Bands haben etwas Trauriges, weil das Publikum da einen Augenblick aus der Jugend festhalten will. Oder wenigstens nochmal erleben. Noch trauriger ist es, wenn Bands sich selbst covern. So wie Yes im vergangenen Jahr. Man spielte kein einziges neues Stück – lediglich die ersten drei Alben. Das war irgendwie schmerzlich.

Coverbands, oder wie sich viele eher sehen, Tribute Bands, sind mittlerweile fast erfolgreicher als Bands, die mit ihrer eigenen Musik durch die Clubs reisen. Es lässt sich schon von einem Phänomen sprechen. Viele Clubs könnten ohne den kommerziellen Erfolg dieser Kapellen, die die Musik legendärer Gruppen spielen, kaum noch überleben.

Dirty Deeds gelten in Bonn als Kultband. FOTO: Horst Müller
Dirty Deeds gelten in Bonn als Kultband. FOTO: Horst Müller

Die Konzerte der Dirty Deeds ’79 vor Weihnachten sind schon ein Stück Tradition – und Kult. Vier Abende hat die beliebte Bonner AC/DC-Coverband wieder im vergangenen Dezember in der Harmonie vor ausverkauftem Haus gespielt. Oder MAM, die sich der Musik der Kölsch-Rocker BAP verpflichtet fühlt. Sie füllten zweimal hintereinander den Konzertsaal in dem Endenicher Musikclub. Oder Still Collins, die vor allem die Genesis-Zeit mit Sänger Phil Collins musikalisch wieder aufleben lassen, Path of Genesis verbeugt sich vor der Peter Gabriel-Ära, Echoes lassen Pink Floyds Musik wieder auferstehen, und die Sticky Fingers rocken schon seit fast 40 Jahren die Stones-Klassiker.

Eine sichere Börse sind auch „dIRE sTRATS“, die Dire Straits Tribute Band. Und ist es nicht verwunderlich, wenn John Illsley, Gründungsmitglied der Dire Straits in einem halbvollen Saal spielt, eine Woche später die Coverband zwei Abende hintereinander in ausverkauftem Haus?

Cover Bands waren einst eher Partybands, die die Top 40 hoch und runter dudelten – in Clubs, auf Unifesten, in Pfarrheimen und Straßenfesten waren sie gar nicht mehr wegzudenken. Seit es moderne Tanzmusik gibt, gibt es diese Musikkapellen, die in der Nachkriegszeit insbesondere in den Clubs der amerikanischen GIs ein Muss waren. Ohne Live Band lief kein Geschäft. Doch dass sich Musikgruppen vor allem der Musik eines Künstlers oder einer Band akribisch widmeten, das wurde ab Anfang/Mitte der 1990er Jahren zu einem Phänomen. Die bekanntesten und erfolgreichsten aus dieser Szene sind eben die kanadische Band The Musical Box und The Australian Pink Floyd Show.

Die Originalbands kommen eben nicht jedes Jahr, oder es gibt sie schon längst nicht mehr, ist das Argument vieler Bands und Fans. „Und letztlich gehen die Leute doch auch zu Beethoven-Konzerten, und der Komponist ist seit fast 200 Jahren tot“, argumentiert ein Musiker. Mag sein. Doch Rock und Klassik sind nach wie vor zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Der Rock steht nicht nur für ein Musikgenre, es ist auch ein Lebensgefühl, der ausführende Musiker ist ein wichtiger Bestandteil seiner Musik, die mehr organisches Gesamtkonzept ist als dokumentiertes Kunstwerk. Die Musik bleibt nicht stehen, sondern entwickelt sich fortwährend weiter.

So gesehen kann auch das Konzept „Zappa plays Zappa“ von Dweezil Zappa nicht funktionieren. Für seinen Vater Frank gab es keine Duplikate in seinen Konzerten. Kein Stück wurde zweimal gleich gespielt, sogar die Texte wurden von Zappa Senior häufig spontan angepasst. Wenn der Sohn dann die Rockoper „Billy The Mountain“ im 21. Jahrhundert exakt so spielt wie der Vater 1971, ist das geradezu ein Schlag ins Gesicht des genialen Musikers, für den die „konzeptionelle Kontinuität“ im Mittelpunkt seines Schaffens stand. Zappas Satire über Bilder der Popkultur, seine Parodie der Werbe- und Politikslogans seiner Zeit sind als Aussage in unserer Gegenwart absolut nichts wert, wenn sie nicht übertragen werden.

Und doch strömen die alten Zappa-Fans hin zu den Hallen. Warum? Sicherlich auch aus Nostalgie. Die Cover Band The Grandsheiks füllt regelmäßig die Clubs. Eine Truppe mit ganz hervorragenden Musikern. Und doch bleibt ein geistloser Eindruck zurück. Lediglich über Saxofonist und Keyboarder Daniel Guggenheim lässt es sich schwärmen. Denn der gebürtige Schweizer nimmt sich den Raum bei seinen Soli, um ihn mit sehr persönlichen Interpretationen zu füllen. Wie man’s richtig macht mit seiner Huldigung etwa der Musik Zappas, beweisen Leute wie der Dirigent Kristijan Järvi, der die Werke Frank Zappas neu arrangierte und vor zehn Jahren dafür in der Kölner Philharmonie zu Recht gefeiert wurde. Oder The Ed Palermo Big Band, die das Werk des einstigen Musikrebellen auf ganz eigene Art lebendig hält.

Es gibt einen Grund dafür, dass sich Ende der 1960er Jahre eine neue Rockbewegung bildete, dass Gruppen wie Yes, King Crimson, Genesis, Gentle Giant, Jethro Tull, Kansas und andere den Progressiven Rock begründeten. Und glücklicherweise ist ihr Weg ja fortgesetzt, ja, auch erweitert worden. Bands wie Rush, Dream Theater, Fates Warning, Queensrÿche oder Vanden Plas haben den Heavy Metal eingebunden. The Mars Volta, Primus, Porcupine Tree und andere den Alternative Rock.

Erfreulicherweise gibt es genügend Musiker, die den Rock kreativ weiter entwickeln. Wer wissen will, wie man heute in der Tradition von AC/DC Musik macht, der sollte sich auf keinen Fall die schwedische Band Bonafide oder The Answer entgehen lassen.

Die Mats/Morgan Band hat die Pfade Zappas ausgebaut, Orcus Chylde ist eine Band aus Aschaffenburg, die die Fahne des Classic Rocks von Deep Purple hochhält, Barrett Elmore haben die Musik der frühen Pink Floyd nach heute adaptiert. Wer Kate Bush und Björk liebt, sollte mal Eivør Pálsdóttir hören.

Wer einmal erfahren möchte, wie langlebig eben die Musik von Peter Gabriel, Phil Collins und ihren Freunden oder Yes ist, sollte mal bei IQ, The Flower Kings, Glas Hammer oder Astra reinhören, aber vor allem muss er sich anschauen, was Steven Wilson macht. Der 47-jährige Brite ist der zurzeit wohl einflussreichste und bedeutendste Rockmusiker, nicht nur, weil immer wieder seine Fähigkeiten als Produzent und Toningenieur gefragt sind, er gilt als Erneuerer des progressiven Rock.

Sein jüngstes Album „Hand. Cannot. Erase“ steht in der Tradition von The Wall (Pink Floyd), Quadrophenia (The Who) und The Lamb Lies Down On Broadway (Genesis), es sind aber auch Referenzen an Kate Bush zu hören. Er habe tatsächlich ein Album mit dem Sound von 1972 machen wollen, erklärt er. Herausgekommen ist ein fantastisches Konzeptalbum, das die Geschichte einer jungen Frau erzählt, die verschwindet und von niemandem vermisst wird.

Vorlage für diese fast dokumentarische Chronik, die stellvertretend für das moderne urbane Leben steht, ist eine tatsächliche Begebenheit. Als Joyce Carol Vincent auf ihrem Sofa vor dem laufenden Fernseher gefunden wird, stapelt sich die Post hinter der Eingangstür auf dem Boden. Joyce Carol Vincent ist tot, der Leichnam geradezu vollkommen verwest. Drei Jahre lang hatte die junge Frau kein Mensch vermisst. Dabei hatte die beim Todeszeitpunkt 38-Jährige Familie, Freunde, einen Job. Wie konnte es also dazu kommen, dass jemand mitten in London stirbt, ohne dass das irgendjemand bemerkt? Wilson beschäftigt sich musikalisch damit. Das Ergebnis ist einfach großartig.

Und live ein so beeindruckendes Erlebnis, schon, weil sich Wilson allergrößte Mühe für einen hervorragenden Klang gibt, dass man am Ende verdutzt auf die Uhr schaut. Es ist vielleicht nicht mehr der Ritt auf einem magischen Teppich, wie man Musik noch als Jugendlicher empfinden kann. Aber ein einzigartiges Erlebnis, wie es Tribute Bands eben nicht schaffen. Was diese bieten, ist eben nur die Illusion eines Fotoalbums, das vor Jahren verbrannt ist. Aber die gestellten Fotos können das Original doch nicht ersetzen. Die Erinnerung ist süßer als die Imitation.