Martin Tingvall: „Das Trio ist eine Herzenssache“

Drei Echo-Preise, zwei Goldene Schallplatten – keine Frage: das Tingvall Trio gehört zu den erfolgreichen Jazzbands. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass der erste von zwei Abenden, an denen das Trio in Bonn gastiert, schon längst ausverkauft ist. Am 8. Und 9. Mai tritt es in der Harmonie auf. Das Trio wird gerne als „karibisch-skandinavische Jazzband aus Hamburg“ vorgestellt – weil Pianist Martin Tingvall aus dem schwedischen Malmö stammt, Bassist Omar Rodriguez Calvo stammt aus Kuba, ist wie Tingvall mit einer Deutschen verheiratet und hat längst einen deutschen Pass, Schlagzeuger Jürgen Spiegel ist mit einer Schwedin verheiratet und stammt gebürtig aus Bremen. Mit Tingvall sprach Cem Akalin.

Martin Tingvall, was sind Sie denn nur für eine Band?

Martin Tingvall: Wichtig ist eigentlich nicht so sehr, was für eine Band wir sind, sondern, dass wir eine Band sind. Wir sind seit zehn Jahren ein Trio, und wir werden jedes Jahr besser. Wir haben gerade unser sechstes Album aufgenommen.

Das soll im August herauskommen und „Beat“ heißen. Geht’s da mehr in Richtung Elektronik?

Tingvall: Überhaupt nicht. Es geht mehr um den Weg, den wir gemeinsam schon gegangen sind. Es geht um den „Tingvall-Trio-Beat“. Der Titelsong war eigentlich eine sehr schnelle Up-Tempo-Nummer. Dann haben wir uns gedacht: Spielen wir sie doch mal viel langsamer. Und jetzt ist es eine Ballade geworden, eine wirklich starke Nummer.

Nochmal zu Eurem musikalischen Ausdruck: Ist Jazz nicht eine Universalsprache?

Tingvall: Genau! Egal, woher der Musiker stammt – die Musik wird irgendwann zu einem Cocktail aus uns dreien. Natürlich macht uns genau das zu etwas Besonderem, dass ein Schwede, ein Kubaner und ein Deutscher gemeinsam Musik machen. Und das macht unsere Musik so spannend. Hinzu kommt, dass jeder von uns unterschiedliche musikalische Wurzeln hat.

Sie selbst schreiben ja auch Filmmusiken und haben für Leute wie Udo Lindenberg, Inga Rumpf und Mandy Capristo geschrieben, Jürgen Spiegel kommt mehr aus der Rockmusik…

Tingvall: Ja, und Omar hat diesen kubanischen Rhythmus in seinem Körper und in seinem Blut, aber in ihm steckt so viel mehr!

Was hat Sie geprägt? Wer sich Ihr Solo-Album „En Ny Dag“ anhört, der hört starke Anleihen aus der europäischen Kammermusik, aber natürlich auch aus dem amerikanischen Modern Jazz.

Tinvall: Die Stücke sind in einem längeren Zeitraum entstanden und sind bewusst auf ein Solo-Projekt hin geschrieben worden. Sie haben das gut beschrieben, und ich nehme das als Kompliment an, denn ich höre auch gerne moderne klassische Musik wie Alban Berg oder Edvard Grieg. Diese Einflüsse gibt es zwar beim Tingvall Trio auch, aber für mein Solo-Projekt kann ich das stärker einbauen.

Ihr Stil – irgendwo zwischen Bobo Stenson, Chick Corea…

Tingvall: Oh, Chick Corea ist fantastisch!

… Keith Jarrett und Lyle Mays…

Tingvall: Ich bin ein großer Fan von Lyle Mays, genauso wie von Bobo Stenson, den ich mal getroffen habe und bei dem ich ein paar Stunden hatte. Lyle Mays ist unfassbar!

Wodurch wurde Ihr Stil geprägt? Sie sagen ja auch, dass Sie sich zum Schreiben in die einsame schwedische Natur zurückziehen. Wird die Musik also auch von der Weite der schwedischen Landschaft beeinflusst?

Tingvall: Auf jeden Fall! Jeder schwedische Musiker wird von ihr beeinflusst, aber nicht nur von der Landschaft, sondern auch von der Volksmusik, weil sie bei uns so stark im Leben verankert ist. Man singt diese Lieder in der Schule und in der Kirche, sie begleitet uns durchs ganze Leben. Das prägt den schwedischen Jazz, den Pop, die klassische Musik. Sie fließt überall ein, wie ein Fluss mit seinen Armen. Und in unserem Trio ist es so, dass ich die Stücke zwar schreibe, aber beim Spielen werfen wir uns die Bälle zu, so dass es dann doch eine Musik der Band wird. Das werden Sie bei unserem neuen Album sehen, weil dort sehr viel Kommunikation stattfindet. Ich mag das sehr!

Das hört man auch schon beim Live-Album, das im vergangenen Jahr herauskam.

Tingvall: Ja, ich finde, dass man eine Weiterentwicklung des Trios hört – vor allem, wenn man sich das erste oder zweite Album zum Vergleich nimmt. Zum Beispiel ein Stück wie „Mustasch“: Da hören Sie, dass sich die Stücke auch weiterentwickelt haben.

Wenn man Sie drei beobachtet, dann hat man das Gefühl, das steht eine verschworene Gemeinschaft, Sie wirken nicht wie Kollegen, eher wie Freunde…

Tingvall: Das freut mich sehr, dass das so rüberkommt. Denn wir sind gute Freunde!

Ist das wichtig für die Musik?

Tingvall: Sehr wichtig! Als wir das Trio gegründet haben, da kannten wir uns schon sehr lange. Das ist eine gute Basis für eine Jazzband. Denn, wenn man eine Jazzband gründet, dann macht man das nicht, um reich und berühmt zu werden. Im Jazz gibt es keine Stars! Wenn Herbie Hancock oder Keith Jarrett hier durch Hamburg laufen, dann würde die kein Mensch erkennen!

Sie bedienen sich an Rockgrooves, der folkloristischen Melodik, der Freiheit des Jazz, da blitzt auch mal ein wenig Latin, Orient, sogar die Natur kommt etwa mit Walgesängen vor … – das alles wirkt, auch live, sehr dynamisch: Jazz mit hohem Spaßfaktor.

Tingvall: Das ist mir sehr wichtig. Ich liebe eine starke Melodie, eine Eingängigkeit, die den Jazz auch einem breiteren Publikum öffnet. Und dabei geht es nicht darum, mehr CDs zu verkaufen, sondern es geht mir um Ehrlichkeit. Das Tingvall Trio ist eine Herzenssache.

Skandinavischer Jazz, so haben wir mal gelernt, ist melancholisch, wenn nicht depressiv. Seit Ihre berühmten Väter des skandinavischen Jazz, Jan Gabarek und Bobo Stenson, mit Witchi-Tai-To eines der wichtigsten europäischen Jazz-Alben aufnahmen, sind genau 40 Jahre vergangen. Die neue Generation klingt anders. Und Nils Petter Molvaer oder der leider schon verstorbene Esbjorn Svensson mit seinem Trio E.S.T. haben auch wieder einen anderen Ansatz als Sie. Was ist geschehen?

Tingvall: Erst mal vielen Dank, dass Sie uns nicht mit E.S.T. vergleichen. Auch wenn das ein Kompliment ist, uns in die Nähe des großartigen Trios zu rücken: Wir sind anders. Schon mal, weil bei uns Schweden, Kuba und Deutschland zusammenkommen. Sicherlich gibt es bei uns auch diese schwedische Wehmut, aber sie wird eben von meinen Freunden aufgemischt. Ich muss sagen: Wir drei sind einfach gut drauf. (lacht) Und Omar trägt eben sehr viel Sonne in sich!

Der ethnische Background spielt also doch eine Rolle?

Tingvall: Auf jeden Fall! Jürgen hat zum Beispiel ja neben der Rockmusik auch sehr viel afrikanische Musik und Reggae gespielt. Omar spielt auch viel in klassischen Orchestern, und das alles färbt auf unsere Musik ab.

 

 

Zur Person

Martin Tingvall, 40, lernt an der Musikhochschule im niederländischen Groningen den Drummer Jürgen Spiegel kennen, der ihn nach Hamburg einlädt. Dort zieht er in Spiegels WG ein. Die beiden gehören zur Begleitband des Pop-Duos Orange Blue, in der auch der kubanische Bassist Omar Rodriguez Calvo spielt. Die drei verstehen sich auf Anhieb. Seit 2003 besteht das Trio, 2006 erscheint das erste Album „Skagerrak“. Tingvall, der zunächst mehr im Hardrock zu Hause war, kommt über McCoy Tyner und John Coltrane zum Jazz. Danach gab es für ihn kein Zurück mehr. Tingvall lebt mit seiner deutschen Frau in Hamburg und Schweden.