Das Jazzfest Bonn präsentierte im Haus der Geschichte Uli Beckerhoff mit seinem „Cinema“-Projekt und das Florian Weber Trio, in der Bundeskunsthalle die in Paris lebende Sängerin Youn Sun Nah und das faszinierende Andromeda Mega Express Orchestra.
Von Cem Akalin
Kopfkino – dieser Ausdruck wird immer dann gerne verwendet, wenn abstrakte Vorgänge in unseren Vorstellungen emotionale Bilder auslösen. Darum geht es dem Trompeter Uli Beckerhoff mit seinem CD-Konzept „Cinema“.
Bei seinem Konzert am zweiten Abend beim Jazzfest Bonn lässt er sich im Haus der Geschichte von elektronischen Sounds begleiten und greift auf ungewöhnliche Rhythmen zurück. Aber die Band bleibt ihrem Konzept verhaftet, die Seele bleibt bisweilen unberührt. Dagegen gewann der Pianist Florian Weber mit seinem Trio das Herz des Publikums – und das im Sturm.
Und das, obwohl die vertrackten Rhythmen, die teilweise zerhackten Grooves mit den sehr freien Improvisationen alles andere als leichte Kost waren. Dan Weiss ist ein sensibler Schlagzeuger, der seine Becken und Trommeln nicht nur mit Stöcken oder Besen, sondern auch mit den Händen bearbeitet, ja, manchmal geradezu liebkost. Und Lionel Loueke wandelt eh auf völlig abwegigen Gitarrenpfaden. Bei „Mivakpola“ zeigte er seine samtene Seite: Akkorde wie von einem Pat Metheny auf Valium und ein seidener Gesang ließen das Publikum den Atem anhalten.
Das Geheimnis ihres Erfolgs: Das Trio ist mehr von der Leidenschaft getrieben als von der reinen Kunstform. Das gilt auch für die 18 jungen Musiker des Andromeda Mega Express Orchestra, das Bigband-Projekt von Daniel Glatzel (Klarinetten und Saxofon). Neben jazzüblichen Instrumenten kommen auch Bratschen, Geigen, Blockflöten, eine Harfe und ein Cello zum Einsatz.
Das Berliner Ensemble vereint mit einer augenzwinkernden Leichtigkeit Traditionen des Jazzrockexperiments Frank Zappas („The Grand Wazzoo“) mit avantgardistischem Jazz und zeitgenössischer Klassik. Programmatische Reisen in geradezu unlogische musikalische Dimensionen, rasante Fahrten durch Harmonien führen in unbekannte Welten der musischen Quantenphysik, unterwegs werden florale Harfenklänge, witzige Flötenkanons und Kommentare mit trockenem Witz des Bandleaders gereicht: Ganz großes Kino!
Youn Sun Nah ist eine Seiltänzerin, die in schwindelerregenden Höhen akrobatische Höchstleistung bietet – alles ohne Netz. (siehe auch Konzert in Köln) Und aus dem doppelten Boden ihres Reisekoffers zaubert die Sängerin vokale Abenteuergeschichten voller Poesie und Hingabe. Als sie die Ballade „Hurt“ als zerbrechliches Klagelied anstimmt, lediglich von leisen Arpeggien ihres Gitarristen begleitet, hätte man den Lichtstrahl auf ihr Gesicht fallen hören können.
Diese Sängerin ist ein Phänomen, wie sie mit allen vokalen Möglichkeiten, die ihre Stimmbänder hergeben, mediterrane Landschaften lautmalt („Mistral“) oder imaginäre Geisterpferde („Ghost Riders In The Sky“) heraufbeschwört. Der Standard „My Favorite Things“ wird bei ihr zum spöttischen Wiegenlied und Wakenius?
„Momento Magico“ zu einer Demonstration schier übermenschlicher Gesangstechniken, zu der wilde Tempiwechsel ebenso gehören wie zarte stimmliche Tupfer. Kopfkino? Was auch immer. Das Publikum hat gejubelt, spendete stehend minutenlangen Applaus.