Nguyên Lê mit Band in der Harmonie Bonn – mystisch und großartig

Nguyên Lê FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Was ist das für eine Sphäre zwischen der inneren Suche nach dem richtigen Ausdruck und der kollektiven Reise zu neuen Ufern? Der Opener des Abends in der Harmonie in Bonn „Hippocampus“ drückt genau das aus, was Nguyên Lê  an der E-Gitarre und Illya Amar am Vibraphon da tun. Der französische Gitarrist stellte mit seinem Quartett, zu dem noch John Hadfield (Schlagzeug) und Chris Jennings (Kontrabass) gehören, sein aktuelles Album vor: „Streams“ ist sowas wie die Quintessenz des Weltenbürgers, verschiedene Kulturen aufzugreifen und musikalisch zu einer völlig neuen Kunst zu verschmelzen. Ein ganz tolles Konzert, klasse Musiker und dabei noch ein sehr guter Sound. Was will man mehr?

Von Mike H. Claan

Die einzige Konstante in Nguyên Lês Karriere ist, dass er immer wieder überrascht. Da konzentriert er sich mal auf die Musik seiner vietnamesischen Wurzeln, verarbeitet die Rocksongs unserer Helden von „In a Gadda da Vida“ (Iron Butterfly) über „Come Together“ (The Beatles) bis zu Nummern von Led Zeppelin und Cream, widmet ein ganzes Album Pink Floyd oder Jimi Hendrix oder präsentiert sich und seine Band als Jazzvorreiter. Nguyên Lê hat vietnamesische Wurzeln, die er nicht nur auf seinem Debütalbum „Million Waves“ von 1995 musikalisch in der stilistischen Interpretation der Songs nachvollziehbar macht. Darüber hinaus integriert Lê eine Vielzahl von Stileinflüssen wie Jazz, Fusion, Funk, Ambient, New Age und ethnische Musik in sein Repertoire und Gitarrenspiel. Im Laufe der Jahre war er auch ein beliebter Studiomusiker, der mit bekannten Musikern wie Carla Bley, Paolo Fresu, Peter Erskine und Eric Vloeimans gespielt hat.

Zwischen Hendrix und John McLaughlin

Der in Paris geborene Musiker präsentiert seine neuen Werke an diesem Abend in zwei Sets. Auch die Zugabe „The Single Orange“ ist vom aktuellen Album. Das wäre vielleicht die einzige Kritik: Das Album hätte er gut und gerne im regulären Set spielen können und zur Zugabe noch was aus seinem großen Repertoire bringen können…

Nguyên Lê FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Wobei genau diese Zugabe ein fulminantes Stück zwischen Hendrix und John McLaughlin ist, dazu die elektronischen Sounds – ein grandioser Song. „Jedes meiner Alben ist ein bisschen das Gegenteil von den vorherigen“, sagt Nguyen. „Und das hier ist mehr Jazz als meine bisherigen Projekte.“ Das stimmt in der Tat.

„Swing a ming“

Die Band zeigt sich überhaupt unglaublich konzentriert. Egal ob bei „Bamiyan“, das diese asiatischen polyrhythmischen Gefühle mit  rockigen Attitüden verschmelzt. Oder dem schrägen an Brand X erinnernde „Swing a ming“. „Subtle body“ ist ein verträumtes Jazzwerk mit sehr feinem, filigranem  Gitarrenspiel, korrespondierendem, zerbrechlichem Vibraphon und luftigem Beckenspiel, zu dem Jennings einen fetten Bassteppich auslegt. Ein sagenhaftes Bassspiel übrigens auch bei „6h55“.

Illya Amar am Vibraphon FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Die Band schafft mit ihrer eindringlichen Musik einen regelrecht intimen Ort, mystisch, großartig, manchmal geradezu ein Moment des Segens – eigentlich fehlten nur fette Sessel und ein Glas Sancerre in der Hand.

Sieben der neun Kompositionen auf „Streams“ stammen von Nguyên Lê, während Chris Jennings und Illya Amar jeweils eine Komposition beisteuerten. Vom Opener „Hippocampus“ bis zum letzten Stück „Coromandel“ tauchen die Musiker des Nguyên Lê Quartetts den Hörer in eine Flutwelle aus Rhythmen und Klängen ein, die während ihrer Reisen in alle Richtungen (einschließlich Peru, Mongolei, Nahost, Indien und Indonesien) gesammelt wurden. Ihre kollektiven Improvisationen bestehen aus einer Mischung aus traditioneller ethnischer Musik und zeitgenössischen westlichen Klangverbesserungen, was ein äußerst fesselndes Hörerlebnis bietet.

Deutschlandradio zeichnete das Konzert auf

Nguyên Lê hat immer daran gearbeitet, traditionelle Musik und Jazz zu verbinden. Er setzt seine Forschungen auf „Streams“ fort, wobei seiner Meinung nach „jede Komposition ihren Ursprung in einer internen ethnischen Inspiration findet“. Und so gibt es an diesem Abend viele indische rhythmische Konzepte, Phrasen aus Fernost, aus Vietnam, Melodien mit orientalischen Akzenten, Rhythmen des Maghreb und auch unbekannte Verweise auf imaginäre Traditionen zu entdecken.

Mit seiner Band schuf Nguyên Lê an diesem Abend neue Wege zwischen Realität und Träumen. Ich freue mich schon auf die Sendung des Deutschlandradios, das dieses Konzert aufgezeichnet hat.

John Hadfield FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
Chris Jennings FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
Nguyên Lê FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
Chris Jennings FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
Nguyên Lê FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
Nguyên Lê FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski