Jonathan Jeremiah hat den Sound der Siebziger

Jonathan Jeremiah. FOTO: Promo
Sorgt bei seinen Fans für Gänsehaut: Der Singer/Songwriter Jonathan Jeremiah lässt sich von der Musik der Vergangenheit inspirieren

Er vereint Folk, Soul und Jazz, und es dauert nicht lange, da bekommt man Motown-Gefühle, wird an die Singer/Songwriter der siebziger Jahre erinnert. Jonathan Jeremiah hat im vergangenen Jahr sein Debüt-Album „A Solitary Man“ vorgelegt, und die Kritiker waren sich einig: Es ist ein Ereignis. Der schlaksige, bärtige Brite mit dem Wuschelkopf begibt sich ab März wieder auf Tour. Die Fangemeinde wächst stetig: „Er sieht aus wie Jesus“, schrieb einer entzückt auf YouTube, „göttlich“, „Gänsehaut pur“, heißt es auf Amazon. Für die britische Zeitung Sun ist er „Ein Ausnahmetalent“, „Elegant, zeitlos“ urteilte The Guardian. Jonathan Jeremiah wird wohl auch diesmal, so wie im vergangenen Herbst, in ausverkauften Hallen auftreten. Cem Akalin erreichte ihn bei seiner Mutter in Nordirland.

Jonathan, sagen Sie mir die Wahrheit: Sie sind ein Zeitreisender, stimmt’s?

Jonathan Jeremiah (lacht) Ja, an Wochenenden. Das ist mein Teilzeitjob.

Mir ist aufgefallen, dass es auf Ihrer Website keine Altersangaben gibt, und auch Ihre Plattenfirma hat eine Bio verschickt, in der Ihr Alter nicht genannt wird. Das hat mich misstrauisch gemacht.

Jeremiah Misstrauisch? Ja, es stimmt. Ich habe ja nicht einmal einen Wikipedia-Eintrag…

Jedenfalls nicht im englischsprachigen Wikipedia…

Jeremiah Das ist alles eine Frage der Organisation, ein internationales Mysterium. (lacht)

Im Ernst, wie alt sind Sie?

Jeremiah Ich bin 31.

Dann können Sie die Zeit von Singer/Songwritern wie Jim Croce, Cat Stevens, Nick Drake oder Scott Walker nicht miterlebt haben. Ebenso wenig wie Frank Sinatra. Naja, James Taylor und Tony Bennet sind immer noch aktiv. Wie kommt es zu dieser großen Verbeugung vor diesen musikalischen Vorbildern?

Jeremiah Das war der Kern unserer Plattensammlung zu Hause. Wenn ich aus der Schule nach Hause kam, da rannten meine Schwestern durchs Haus. Es war ein Riesentrubel.

Wie viele Geschwister haben Sie?

Jeremiah Drei Schwestern und einen Bruder, und ich war der Mittlere der Fünf. Wie gesagt, mein Bruder spielte Softball, meine Schwestern huschten herum, und ich schnappte mir am liebsten die Kopfhörer und hörte mich durch die Platten durch.

Wenn ich mir Ihr Album „A Solitary Man“ anhöre, dann habe ich jede Menge Déjà-vu-Erlebnisse. Manches klingt nach Marvin Gaye, anderes ein wenig nach Bill Withers, vieles ist sehr Motown-mäßig. Aber am Ende sind das doch immer 100 Prozent Sie.

Jeremiah Oh, vielen Dank.

Ich denke, es ist dieser Sound in Ihrer Stimme, der Ihre Musik einzigartig macht. Eine Stimme, mit hohem Wiedererkennungswert. Aber da ist noch etwas: Es ist so eine Langsamkeit in Ihrem Gesang, eine gewisse Lässigkeit und Coolness.

Jeremiah Oh, das klingt gut. Langsamkeit, ja, Lässigkeit. (Pause) Wissen Sie, als ich so um die 16 Jahre alt war, war eine tiefe Stimme genau das, was ich mir am meisten wünschte. Und dann entwickelte sie sich ja auch glücklicherweise zu diesem tiefen Bariton. Aber ich bin mir nicht sicher, woher ich diesen Gesangsstil habe.

Vielleicht hat das ja mit Ihrem Charakter zu tun. Ich habe gelesen, dass Sie sieben Jahre lang an diesem Album gearbeitet haben. Das klingt ganz danach, als wären Sie ein zielstrebiger, hartnäckiger, vielleicht auch ein sturer Typ. Man muss schon eine Menge Geduld aufbringen, vielleicht auch eine gewisse Besessenheit, um sieben Jahre an einem Album zu arbeiten.

Jeremiah Ich weiß nicht. Ich hatte ja keine anderen Optionen. Ich bin kein Anwalt oder Architekt. Es gab nichts anderes, was ich tun wollte. Ich musste das Album einfach machen. Das war nicht einfach ein Hobby für mich, das war die einzige Leidenschaft. Vielleich war es auch die ultimative Nebensache, mal sehen. (lacht).

Sie haben manchmal drei Jobs nebeneinander gemacht und den Verdienst von drei Monaten in einen Tag im Tonstudio investiert.

Jeremiah Ja, Studios sind teuer. Sie kosten manchmal mehrere tausend Pfund am Tag. Da reichte ein Job in der Fabrik nicht aus. Ich musste immer arbeiten, um diese Kosten aufbringen zu können.

Sie haben sogar ganze Orchester und Bläsersätze engagiert, damit Ihre Songs diesen echten, organischen Sound bekommen. Auch nicht billig.

Jeremiah Ich finde es nicht richtig, alles am Computer zu produzieren. Computer sollten in Büros benutzt werden, und ich wollte nicht, dass meine Musik nach Büro-Musik klingt. Die Leute haben das Recht auf echte Musik, die von Menschen gemacht ist. Ich habe sehr genaue Vorstellungen von dem, was gute Musik ist, und ich denke, der Aufwand hat sich gelohnt.

Das waren also Ihre Lehrjahre?

Jeremiah Ja, natürlich habe ich eine Menge in diesen sieben Jahren gelernt. Ich habe das Album ja auch komplett selbst produziert. Ich denke schon, dass es auch eine großartige Zeit war, um diesen Job von Grund auf zu lernen.

Haben Sie denn noch einen Überblick, wie viel Geld Sie in das Projekt gesteckt haben?

Jeremiah Um die 100.000 Pfund.

Oh, das ist eine Menge, wenn keine Plattenfirma hinter einem steht. Was hat denn Ihre Familie, was hat Ihre Freundin dazu gesagt? Die haben doch sicherlich gedacht, der Typ muss verrückt sein.

Jeremiah Nein, sie wissen ja, dass sie es mit einem Musiker zu tun haben. Besonders meine Eltern haben mich immer auf meinem Weg unterstützt.

Die frühen siebziger Jahre, die Sechziger scheinen es Ihnen ja angetan zu haben. Ihr Video „Heart of Stone“ ist ja ganz im Stil dieser Zeit gedreht. Sie haben den Film sogar mit solchen poppigen Farbschlieren versetzt, dass er richtig retro wirkt.

Jeremiah Ganz schön psychedelisch, oder?

Ja. Was verbinden Sie mit den Siebzigern?

Jeremiah Die späten Beatles, die Stones dieser Ära, und vor allem kamen in dieser Zeit die vielen guten Singer/Songwriter raus. Carole King, James Taylor, das ganze amerikanische West-Coast-Zeugs. Die Musiker dieser Zeit um 1970 waren ungeheuer produktiv, und irgendwie fühle ich mich dieser Zeit sehr verbunden. Ich weiß nicht warum, aber es hat viel mit den Singer/Songwritern dieser Zeit zu tun. Das war ein ganz besonderer Schlag von Musikern, die in einer sehr eigenen Art Songs geschrieben hatten und alle etwas mitzuteilen hatten.

Aber da muss doch etwas sein, nach dem Sie suchen, wenn Sie sich mit der Musik dieser Zeit beschäftigen. Vielleicht eine Sehnsucht, ein Drang, ein Verlangen?

Jeremiah Vielleicht… Ich bin im Londoner Norden aufgewachsen, und da ging es manchmal ziemlich rau zu. Vor allem damals. Wissen Sie, mein Schulweg war unglaublich lang, eine endlose Reise in Bussen und Zügen. Ich hatte eine besondere Fähigkeit, dieser Wirklichkeit zu entkommen. Alle meine Freunde hörten eine bestimmte Musik. Die packte mich aber nicht. Ich hatte meine Kopfhörer an und hörte meine Musik, mit der ich vor dem sterblichen Leben floh. Ich glaube, dass das alles mit dieser Zeit zu tun hat.

Mit 20, 21 Jahren waren Sie in den USA. Aber es war überhaupt nicht so, wie Sie es sich vorgestellt hatten. „Ich fühlte mich ziemlich einsam“, haben Sie geschrieben. „Aber tatsächlich gab mir die Reise ein tieferes Verständnis von dem, was ich schon habe.“ Was war es?

Jeremiah Nun, ich habe eine ziemlich große Familie, und ich habe das immer für ganz selbstverständlich genommen. Kennen Sie den Spruch: Das Gras auf der anderen Seite ist immer grüner?

Ja. Im Deutschen sagt man: Die Kirschen in Nachbars Garten schmecken immer ein bisschen süßer.

Jeremiah Manchmal schätzt man einfach nicht das, was man hat.

Jonathan, Ihr Vater starb kürzlich, aber er hat noch Ihren Erfolg miterlebt. War Ihnen das wichtig?

Jeremiah Ah, ich möchte jetzt nicht über den Tod meines Vaters sprechen. Das ist noch zu nah. Vielleicht ein anderes Mal.

Sie haben ein Stück für ihn geschrieben und es nur wenige Tage nach seinem Tod im Dezember in Leipzig aufgeführt. Das ist sehr persönlich.

Jeremiah Die Songs, die ich schreibe, sind alle sehr persönlich.

Wie ist es für Sie auf der Bühne, so viel von sich zu offenbaren?

Jeremiah Wow, das ist schwierig, das mit irgendwas anderem zu vergleichen. Ich weiß nicht. Es ist ja Teil des Geschäfts, aber auch Teil meines Ausdrucks. Ich genieße es sehr, live aufzutreten.

Arbeiten Sie zurzeit an einem neuen Album?

Jeremiah Ich arbeite ständig! Ich bin so was wie ein Workaholic. Und das wird so bleiben, solange ich noch etwas zu sagen habe. Ich sitze jeden Morgen um neun Uhr am Schreibtisch und schreibe. Ich war jetzt eine Zeit lang in Berlin und habe dort viel geschrieben.

In Berlin?

Jeremiah Ja, ich habe da ein paar Monate verbracht.

Warum Berlin?

Jeremiah Ich war vorher nie dort gewesen. Als mein Album rauskam, war ich viel unterwegs, unter anderem auch in Berlin. Das ist eine sehr kreative Stadt, sehr inspirierend.

Werden Sie Ihren Stil beibehalten?

Jeremiah Stil?

Ja.

Jeremiah Sie müssen schon abwarten, bis das Album fertig ist. Dann werden Sie es schon sehen.

Hoffentlich wird es nicht wieder sieben Jahre dauern.

Jeremiah Ich glaube nicht.