Alanis Morissette in Bonn: Die Sängerin kann nicht auf der vollen Strecke überzeugen

Alanis Morissette auf dem Kunst!Rasen in Bonn. FOTO: Peter "Beppo" Szymanski

Die vier Frauen, die schräg vor mir standen, werden es sicher anders sehen. Vor allem die mit dem schwarz-weiß geringelten T-Shirt und dem braunen Pferdeschwanz wird völlig anderer Meinung als ich sein. Sie stand praktisch die vollen ein Dreiviertelstunden mit ausgetreckter Hand und sang mit ihren Freundinnen jeden Song mit. Das Glück in ihren Augen. Aber: Es war sicherlich nicht ihr bestes Konzert, das Alanis Morissette am Mittwochabend bei ihrem Gastspiel auf dem Kunst!Rasen in Bonn gab.

Von Dylan Cem Akalin

Alanis Morissette auf dem Kunst!Rasen in Bonn. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Wir hören zuerst die Mundharmonika, als „All I really Want“ beginnt. Die Band (übrigens vorzüglich!) steht schon auf der Bühne, als sie auf die Bühne kommt. Die Haare sind wieder kurz. Sie trägt eine weiße Bluse unter einer bestickten Jeansjacke und schwarze Lederhosen. Die ersten Takte kommen aus den Lautsprechern, da rufen viele Fans schon „Lauter!“.  Tatsächlich ist die Musik so leise, dass man ihren Gesang beim aufbrausenden Applaus kaum noch hört.

Und die 44-Jährige rast über die Bühne, ist praktisch ständig unterwegs, hetzt von einer Seite zur anderen wie ein gefangenes Raubtier. Lauter wird es auch nicht, als sie sich zu „21 Things I Want in a Lover“ eine schwarz-glitzernde Telecaster umhängt. Als die Fans aus Freude über „Forgiven“ klatschen, hört man sie gar nicht mehr.

Überhaupt ihre Stimme. Zu Beginn ist sie unbestimmt, manchmal hat man fast das Gefühl, sie sucht noch nach ihrer Stimmlage. Und beim Chorus zu „Woman Down“ hat man fast das Gefühl, sie singt zu einem Playback. Irgendwie verdoppelt sich die Stimme auf diffuse Art und Weise. Ihre Stimme setzt sie nicht durchgehend mit voller Kraft ein. Das soll erst später, viel später kommen.

Alanis Morissette strahlt

Erst beim fünften Stück scheint Alanis Morissette etwas zu sich gekommen zu sein. Dazu hilft, dass sie am Mikrofonständer steht und nicht mehr herumirrt auf der Bühne. Die Band leitet das Stück mit gezielter Kakophonie ein, als der erste bekannte Akkord erklingt, reißen nicht nur die vier Frauen vor mir die Arme hoch. Die Fans singen jede Zeile mit. Alanis strahlt.

Alanis Morissette auf dem Kunst!Rasen in Bonn. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Einst war die Kanadierin mit dem amerikanischen Pass ja bekannt für ihre geradezu brutal ehrlichen, gefühlvollen und introspektiven Texte – oft inspiriert von der Auflösung früherer Beziehungen. Heute ist sie eine glücklich verheiratete Frau, Mutter zweier Kinder. Dem Zorn ist die Versöhnlichkeit gewichen, der Wut Milde.

Und das ist es vielleicht, was bei der Interpretation ihrer frühen Lieder jetzt fehlt. Immerhin zehn der 18 präsentierten Songs sind vom Erfolgsalbum „Jagged Little Pill“ (1995), das Album, mit dem wohl viele aufgewachsen sind. Auffällig viele Frauen sind im Publikum, in ihren 40ern angekommen. Auch in ihnen ist die Verstocktheit und Wildheit und Empörung der frühen Jahre verschwunden. Die Gefühle von damals sind längst zahme Erinnerungen geworden. Aber da steht eine Frau auf der Bühne, etwa in ihrem Alter, die einst das ausgedrückt hat, was sie in ihrer Brust beschäftigte. Alanis Morissette kann aber heute einen Song wie „You Oughta Know“ nicht mehr mit der Rotzigkeit von einst aus sich rausspucken. Sie will es vielleicht auch nicht mehr. Der scharfe Ton über Oralsex im Theater, die angewiderte Verletztheit als Verlassene sind wie weggeblasen. Und so kommen die Stücke der Künstlerin auf diffuse Art kraftlos und gebrochen rüber. Auch wenn sie hier ihre Stimme so kraftvoll einsetzt, auf der Bühne so ausflippt, dass sie am Ende keuchend, gebeugt auf der Bühne steht, wie nach einem Langstreckenlauf.

Herzerwärmende Ode

Alanis Morissette auf dem Kunst!Rasen in Bonn. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Und doch. Morissette hat immer noch etwas zu sagen. Auch wenn ihr neues Material versöhnlicher im Ton ist. Unter den neueren Tracks liefert etwa „Woman Down“ eine eindrucksvolle Haltung gegen die häusliche Gewalt, während „Guardian“ eine herzerwärmende Ode an die Mutterschaft ist.

Was das Erlebnis eben auch so minderte, war, dass sie während des größten Teils ihrer Performance auf der Bühne hin und her lief — mit einer solchen Frequenz, dass sie abgelenkt wirkte. Irritierend  war zudem, dass sie sich beim Singen ständig zur Seite wendete. Fast dachte man, sie sucht den Fluchtweg.

Und dann kommt „Ironic“. Alanis muss es nicht einmal singen, das war die Leidenschaft der Menge. Aber sie tat es natürlich doch, und änderte auch eine Zeile: „wie den Mann ihrer Träume zu treffen und dann seinen schönen … Ehemann zu treffen“.

Höhepunkte? Bei „Wake up“, dem letzten Stück vor den zwei Zugaben, dreht die Band nochmal richtig auf, zeigt, was für eine Klasse sie hat. Die erste Zugabe „Uninvited“ beginnt so zaghaft und dreht sich dann zu einem der impulsivsten Stücke des Abends. Alanis springt, tanzt so ausgelassen, dass sie zeitweise auf die Knie fällt, sich auf dem Boden windet. Mit „Thank U“, ebenfalls wunderbar präsentiert, beendet sie kurz vor 22 Uhr den Abend.

Worum ging es bei diesem Gig wirklich? War es darum, einen Künstler spielen zu sehen? Oder ging es darum, sich selbst zu feiern? Die Erinnerungen? Es ist lange her, dass Zettelchen im Unterricht durchgereiht wurden, lange her, dass der Alkohol aus dem Getränkeschrank der Eltern gestohlen wurde, lange her, dass man sich mit der Freundin kleine pubertäre Streits lieferte. Doch Freundschaften bestehen. „And I’m here, to remind you…“