Wie eine kubistische Variation des Originals: Brad Mehldau „After Bach“

Brad Mehldau am 18.11.2010 in der Kölner Philharmonie FOTO: Peter "Beppo" Szymanski

Brad Mehldau: After Bach
VÖ: 9. März 2018
Label: Nonesuch (Warner)

Es ist wohl diese harmonische Strenge, die Johann Sebastian Bach zu sowas wie den Godfather des Jazz macht. Mag sogar sein, dass er die Grundlage für den Bebop und alles, was danach folgte, geboten hat. Selbst so Querdenker wie Joachim Kühn kann nicht von Bach lassen. Jetzt hat sich Brad Mehldau des Meisters angenommen – und er tut es auf ebenso intelligent moderne wie entschlossene Art.

Von Dylan Cem Akalin

Die scheinbar endlos mutierenden Sechzehntel, die aus Charlie Parkers Saxophon straucheln, fließen, retardieren und immer wieder ausfließen, könnten ebenso einer Bach-Fantasie entsprungen sein wie die rauschenden Akkordzyklen in John Coltranes „Giant Steps“ einer Bach-Fuge entnommen sein könnten. Bachs kontrapunktische Techniken tauchen in unzähligen Jazzpianisten auf – allen voran dem Spiel von Bill Evans.

Die Grenzen sind undeutlich

Es ist also ganz und gar nicht verwunderlich, wenn sich Brad Mehldau auf einem ganzen Album von Bach inspirieren lässt. Auch wenn der US-Amerikaner gerne mit der Verjazzung von Stücken von Radiohead, den Beatles oder Nick Drake in Verbindung gebracht wird, so klingt er auch in solchen Momenten ja ein wenig wie Glenn Gould, der in die Goldberg-Variationen eindringt. Und er klingt immer wie Brad Mehldau, auch wenn er Bach-Material verarbeitet.

Dabei pendelt Mehldau auf faszinierende Weise immer wieder zwischen Jazz und Klassik. Die Grenzen sind dabei so undeutlich wie der Horizont an einem regnerischen Tag am Meer. Mehldau unterlässt es dabei, Bach-Themen so zu rezitieren, wie es berühmte Vorgänger wie Jacques Loussier oder das Modern Jazz Quartet schon mal taten. Mehldau greift dabei vor allem in die Methodik Bachs ein. Er spielt fünf von Bachs kanonischen 48 Präludien und Fugen, jeweils gefolgt von seiner eigenen zeitgemäßen Antwort des 21. Jahrhunderts. Mehldau reagiert zum Beispiel nach einer sehr blattgenauen Aufführung des Präludiums Nr. 3 in C-Dur, indem er Bachs ursprüngliches Riff in einem ruckartigen 5/4-Rhythmus zurücksetzt und es in ein harmonisch abenteuerliches Labyrinth führt. Einfach nur großartig!

Traumhafte Meditation

Einer romantischen, rubato-lastigen, im Jazz würde man es vielleicht Offbeat nennen, Wiedergabe des f-Moll-Präludiums und der Fuge (aus dem Wohltemperierten Klavier) folgt eine zunächst sehr zaghafte, im weiteren Verlauf traumhafte Meditation über einige der im Originalwerk angedeuteten Themen. „Dream“ klingt wie eine kubistische Variation des Originals, alles irgendwie verschoben, gebrochen durch etliche Spiegel in einem verrückten Kabinett.

Wie Mehldau die Bach-Werke seziert, das Oeuvre in wilde Puzzels schneidet und daraus seinen eigenen Ausdruck erschafft, ist wunderbar.