Eine andere Seite des Progrockers Neal Morse

Neil Morse FOTO: Sony Music

Neal Morse: Life and Times
VÖ: 16. Februar 2018
Label: Metal Blade (Sony Music)

Ich gebe zu, ich war zunächst etwas skeptisch, als ich hörte, Neal Morse würde ein Singer/Songwriter-Album herausbringen. Meine Skepsis kam wegen eines etwas merkwürdigen Erlebnisses, das ich vor etwa 15 Jahren hatte. Da war Neal Morse in der Evangelischen Auferstehungskirche in Bonn-Venusberg und war unterwegs im Dienste des Herrn! Der Abend war sehr religiös, um es mal so zu sagen – eine Mischung aus Predigten eines Erleuchteten und Songs voller christlicher Loblieder. Entsprechend hatte ich die Befürchtung, Neal Morse, der für seine christliche Hingabe ja bekannt ist, könnte das nun in seinem Soloprojekt wieder ausleben.

Weit gefehlt! Der Mann, der mit Spock’s Beard, Transatlantic oder The Neal Morse Band als Fackelträger der Progrock-Bewegung gilt, kann auch Songwriting ohne dauernde Harmoniewechsel, Tempojagden und anderen geheimnisvollen Zutaten. Der 57-jährige US-Amerikaner kennt sich mit dem Komponieren melodischer Poprock-Songs aus. Seine anderen Soloalben fielen deutlich proggiger aus. Und doch fehlt es hier und dort noch an etwas Schliff, vielleicht auch an einigen Ecken und Kanten.

Auf „Life & Times“ geht es meistens gut gelaunt und fingerschnippend poppig zu. Der Opener „Livin‘ Lightly“ beginnt musikalisch wirklich vielversprechend.  Wenn Titel heißen   wie  „Good Love Is On The Way“  oder „Wave On The Ocean“ ist vielleicht schon klar, dass es mindestens textlich überladen zugehen wird. Und die Lyrics kommen nicht nur an die Grenze des Augenrollens heran: „You make me feel like a wave on the ocean in the summertime“. Genauso belanglos klingt dann aber auch der Song.

Dennoch: Das Album hat seine Qualitäten. Da ist etwa der Anti-Kriegs-Song „He Died At Home“ über das Schicksal eines aus dem Krieg heimgekehrten Soldaten, der mit dem Leben in der Heimat nicht zurechtkommt, wo das Leben im Ausnahmezustand und im heimischen Alltag aufeinanderprallen. Nachdenkliche Töne schlägt Morse auch bei „If I only had a Day“ an. Was würde man tun, wenn man wüsste, dass seine Tage auf dieser Welt gezählt sind?

„Life & Times“ mag sowas wie eine andere Seite des Progrockers sein. Vielleicht hat er es mal gebraucht, einfach mal ein paar einfache Songs zu schreiben und zu singen. Indes hat es mich dann doch immer wieder auf das Cover gezogen, um zu sehen, mit welchen Musikern er dieses kleine Experiment gewagt hat. Von seinem Freund Mike Portney fehlt da ebenso jede Spur wie von anderen Weggefährten. Mag sein, dass er einfach mal sein Ding machen wollte. Ganz allein. Und bei einigen Stücken ist es ihm durchaus gelungen. Insgesamt aber hätte er sich vielleicht doch noch etwa Unterstützung holen sollen. „With a Little Help From My Friends“ hätte daraus ein super Album werden können. (Peter „Beppo“ Szymanski, Mike H. Claan)