Ein Konzertabend, der lange nachklingt: Anna-Lena Schnabel im Wunderland

Anna-Lena Schnabel. FOTO: Peter "Beppo" Szymanski

Es knarzt, krächzt, quiekst, schmatzt, rasselt, scheppert, klirrt. Jazz ist eine große Spielwiese und Blues eine bunte Überraschungskiste. Charlie Parker und Ornette Coleman, John Cage und André Jolivet, Frank Zappa und The Soft Machine – ihre Werke stehen abgegriffen im Regal. Unvergessen. Aber für diese Künstlerin längst überholt. Anna-Lena Schnabel führt ihr Publikum mit ihrem Quartett am Freitagabend bei der Dottendorfer Jazznacht in Bonn durch ihr Wunderland. Ein faszinierender Abend.

Von Dylan Cem Akalin

 

Anna-Lena Schnabel bei der Dottendorfer Jazznacht. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Florian Weber schlägt die wenigen Akkorde nur ganz zart an. Manchmal scheinen sie wie gegeneinander zu kippen. Dann beginnt die Musikerin ein Solo auf dem Mundstück, ohne den Klangkörper ihres Altsaxofons. Ungewohnt  klingt das. Wie ein fernasiatisches Klagelied, gespielt auf einem merkwürdigen Bambusrohr. Es ist aber tatsächlich nur das Schilfrohrblatt ihres Mundstücks und die Hände, die diese elegische Modulation erzeugt. Ein seltsam entrückter Beginn eines großartigen Abends. „Das Stück hat mir die Tränen in die Augen getrieben“, sagt später in der Pause ein Gast.

Der Klang des weißen Flügels bleibt nicht lange klar. Anna-Lena Schnabel legt Schellen auf die Saiten, Blechnäpfe, Papier und was weiß ich noch alles. Das Kolorit der Akkorde wir immer blecherner, immer wilder und industrieller und mündet dann ins zunächst stampfende „Luggage“. Ein Stück, das auch gut als dramatische Musikbegleitung zu einem Stummfilm funktionieren würde. Das Saxofon dröhnt ins wilde Schlagzeug ein und bohrt sich immer unbändiger in den Song.

„Inventage“, eine Komposition von Florian Weber, startet mit einem eingängigen Bassthema, das der Pianist mit Bassist Giorgi Kiknadze zunächst unisono spielen, dann setzt Schlagzeuger Björn Lücker mit leisem Beckenspiel ein. Die roten Besen scheinen nur so über die Becken zu fliegen, als Kiknadze sein Solo spielt und dann Schnabel mit der Querflöte wieder die Leitung übernimmt. Ein Stück wie ein Schattenspiel. Filigran mit vielen sauber ausgeschnittenen Details.

Björn Lücker FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Dann wird’s wieder ziemlich verrückt. Bei „Drunken Books“ muss das Klavier mangels analoger Leselektüre mit dem iPhone bearbeitet werden. Es klingt wie eine Spieluhr aus „Alice im Wunderland“, wenn Weber ein Thema auf gedehnten Klaviersaiten anstimmt und der Bass einstimmig einsetzt. Das Saxofon hat etwas von einem schrägen Soundtrack aus der Zeit des Film Noire, während das Klavier immer mehr wie ein lange nicht mehr gewartetes Honky-Tonk-Piano klimpert.

„The Fight“ ist ein Blues, bei dem die Töne wie an Gummibändern an einem Mobile drollig auf- und abtanzen. Die Strukturen sind ausgeleiert wie die Objekte auf einem Dali-Gemälde – Charlie Parker auf der Suche nach dem Zauberer von Oz.

Florian Weber. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Das zweite Set eröffnet das Quartett mit „Björnout“. Der Rhythmus des dreiminütigen Drumintros könnte aus James Taylors „Traffic Jam“ entliehen sein. Sehr tänzelnd, ungemein präsent. Doch als Weber auf der Melodica und Schnabel auf dem Alt unisono ihre rasanten Ritte durch die Harmonien vollziehen, scheint die Zeit für kurze Zeit den Atem anzuhalten.

Verspielt geht es mit „Toy“ weiter. Einer der Höhepunkte: die bewegende Ballade „Loss Laments“. Jeder Ton scheint für einen unsichtbaren Moment zu schweben, wenn Schnabel ihrem Saxofon die samtenen Töne entlockt und Weber seinen sagenhaft transparenten Stil ausspielt, ein Stil der von melodischer Lyrik und intensiver Fingerfertigkeit geprägt ist. Überhaupt Weber: Der Mann mit der

Giorgi Kiknadze FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Vorliebe für seltsame Rhythmen ist die starke Kraft, die das Quartett zusammenhält, der Schnabel einen sicheren Rahmen für ihre zauberhaften Eskapaden gibt. Und die Vielfältigkeit des 40-Jährigen passen ganz gut zum Formenreichtum von Schnabels  Kompositionen, die irgendwo im Bermudadreieck zwischen Postbop, Free Jazz, Blues und Avantgarde entstehen.

Nach dem erneut verspielten „Plop“, bei dem nochmal alle scheppernden Utensilien auf den Klaviersaiten tanzen und es Schnabel auf dem Mundstück immer wieder knallen ließ, werden die glücklichen Zuschauer mit dem sanften, melodischen „Gute Nacht“ und hinreißenden Querflötenmelodien in die Nacht entlassen.

Ein ganz starker Abend, bei dem viele Funken flogen, viele skurrile Parts erklangen. Indes, nur als winzig kleine Kritik, ich hätte mir von Schnabel an der einen oder anderen Stelle noch etwas mehr Bums und etwas weniger Experimente gewünscht. Dennoch: Ein Konzertabend, der lange nachklingt.