Interview mit Beth Hart: „Fire On The Floor“ wurde als bestes Blues-Album des Jahres ausgezeichnet

Beth Hart. FOTO: PROMO/Mona Dordoy

Beth Hart ist für ihr Album „Fire On The Floor“ bei den European Blues Awards für das beste Album des Jahres geehrt worden. Zu Recht! Das Album strotzt wieder mal vor Kraft und Leidenschaft.

Die European Blues Awards wurden ursprünglich „Trans European Blues & Jazz Awards“ genannt und 1981 von Dietrich Muller und Tall Boy Wilder zum ersten Mal verliehen. Die Vergabe ist unabhängig und frei von Sponsoren. Die Fans können eine Woche lang öffentlich abstimmen, was den Preis zur größten unabhängigen Auszeichnung außerhalb der USA macht.

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Geile Location. Wo habt Ihr die Fotos für das neue Cover gemacht? Sieht aus, als würdest du gleich die Tankstelle in die Luft jagen…

Beth Hart: Oh nein, nein. Echt jetzt. Das ist alles Studio. Die Location wurde für ganz viele andere Produktionen genutzt.

“Fire On The Floor“ – Wie kommst du auf diese Titel?

Hart: Oh, es ist doch nur aus einem Lied, das auf der Platte ist. Weißt du, ich schreibe Songs,  und wenn ich sie auf der Platte habe, dann suche ich mir einen Titel aus und nehme in der Regel einen der Titel, der mir am meisten gefällt. Ich dachte, dass „Fire On The Floor“ als Titel gut passen würde, weil das Album ein wenig mehr „Angst“ hat (Beth benutzt das deutsche Wort „Angst“). Und es hat einen Unterbau, der etwas heavy ist – vor allem als mein letztes Album „Better Than Home“.  Also, ja, ich denke, es ist ein großartiger Titel.

Da ist auch etwas Energisches und Gefährliches in dem Titel, oder?

Hart: Kommt drauf an, wie du’s sehen willst. Also für mich ist der Song “Fire On The Floor” über eine sehr intensive Beziehung zu jemandem, der nicht gut für dich ist. Und du weißt, dass wenn du bleibst, wirst du es nicht überleben. Aber es gibt auch keinen Ausweg für dich. Jedesmal, wenn du versuchst ihn zu verlassen, kehrst du doch wieder zurück. Es ist wie eine Sucht. Darum geht es in dem Song.

Das Motiv vom Albumcover: Beth Hart. FOTO: PROMO/Mona Dordoy

Nach „Better Than Home“ hat man dich offenbar wieder mehr Jazz und Blues aufnehmen lassen.

Hart: Dieses Album ist definitive anders als “Better Than Home”, den das war ja ein Singer/Songwriter-Album. Es ist immer noch vielseitig, denn das ist nun mal die Art und Weise, wie ich schreibe. Ein paar Stücke haben schon richtig alten Soul bekommen – und ein bisschen Rock’n’Roll. Aber tatsächlich war „Better Than Home“ ein Album, auf dem ich Geschichten erzählt habe. Musikalisch und lyrisch. Das neue Album geht definitiv mehr in Richtung Blues/Jazz/Rock… Die Grundlage der Texte ist die Liebe, aber das ist bei weitem nicht alles. Es geht auch um den Wunsch nach einem Zuhause, ums viele Reisen und den Wunsch nach dem einfachen Leben – den Wunsch, jeden Tag im gleichen Bett aufzuwachen und hinaus in den Garten zu treten.

Und da ist „Fat Man“…

Hart: …, in dem es um Dekadenz, um den Konsumwahn, Kapitalismus … geht. Es geht um die Art und Weise, wie die US-Amerikaner um ihr Leben kämpfen. Es gibt hier einfach eine Menge von exzessivem Konsumverhalten. Es geht immer nur um mehr und mehr und mehr zu bekommen. Statt einfach mal im Augenblick zu verharren, und wirklich nur das Leben zu umarmen und dankbar dafür zu sein. Ich glaube nicht, dass die Amerikaner undankbar sind, gar nicht. Aber ich glaube, dass wir, ein junges Land, noch eine Menge zu lernen haben. Also in dem Lied „Fat Man“ spiele ich mit diesen Themen und benutze diesen Mann von der Straße als Metapher. Jemand, der auf der Straße lebt. Jemand vielleicht, der mit Drogen handelt, jemand, der in Betracht gezogen hat, „außerhalb der Gesellschaft“ zu sein. Und das Ganze wird aus der Perspektive betrachtet, von jemandem, der tatsächlich eine höhere Bildung hat, ein höheres Bewusstsein. Und das soll, wie du weißt, die Ironie in dem Song sein. Es ist ja kein Predigerlied. Ich glaube, ich würde es ein bisschen mit einem Sinn für Humor betrachten, wissen Sie, ohne zu predigen. Weil, ich glaube nicht, das predigen wirklich hilft.

Okay, die Message hinter “Better Than Home” war: Auf Tour zu sein, ist besser als zu Hause rumzuhängen. Nun scheint das Zuhause wichtiger denn je geworden zu sein, fast sowas wie der Himmel auf Erden. Wie kommt’s?

Hart: Nein, nein, das stimmt nicht ganz. In “Better Than Home” geht es auch darum, dass du dein ganzes Leben lang etwas anderes wolltest, als was du hattest. Und dann realisiertest du, im Angesicht Gottes, im Angesicht der Wahrheit – wie immer du es nennen willst – also im Angesicht von irgendetwas, das dich in deinem Innersten erschüttert, weil du plötzlich die Wahrheit erkennst. Weil du nämlich merkst, dass du schon längst etwas hast, was du dir nicht mal erträumt hast. Und das ist, was besser als ein Zuhause ist.

Aber das letzte Mal wurdest du gebeten, etwas zu tun, das erhebender und nicht so hart war, oder?

Hart: Ach, sowas kümmert nicht. Ich tue einfach wonach mir ist. Bei “Better Than Home” bat mich einer der Produzenten, mehr über die Freuden zu schreiben. Aber das Witzige ist ja, dass all meine Alben immer beide Seiten betrachtet haben. Es gab Lieder über den Glauben und welche über die Suche nach der Freude und der Suche nach etwas, das dich befreit. Und auch Lieder über genau das Gegenteil. Über das Verloren sein und die Angst. So ist doch das Leben. Das ist das, was wir alle durchlaufen. Wir alle haben unsere Höhen und Tiefen und das zieht sich konsequent durch unser ganzes Leben. Leben ist kein Film, wo du plötzlich an einem Punkt bist, wo du für immer frei bist. Und so war auf „Better Than Home“  nicht jeder Song  fröhlich. Es gibt viele Lieder über den täglichen Kampf. Das zieht sich durch all meine Alben. Humor, Trauer, Freude. Und ich glaube nicht, dass sich das ändern wird. Das ist, was mich interessiert.

Beth Hart. FOTO: PROMO/Mona Dordoy

Also ist das neue Album nicht als Antwort oder Reaktion auf das vorherige zu verstehen?

Hart: Nein, nein. Ich habe dieses Album vielleicht weniger als drei Wochen nach dem letzten begonnen aufzunehmen. Wir hatten “Better Than Home” noch nicht mal zu Ende gemischt.

Und nun hast du wieder einen Produzenten, mit dem du vor zehn Jahren schon mal gearbeitet hast.

Hart: Oh, Gott, ja. Als ich zum ersten mal mit Oliver Leiber gearbeitet habe, war ich 26, und wir produzierten ein paar Songs für “Screamin’ For My Supper”. Und dann nahm er “LA Song” auf und “Leave The Light On”. Und “Delicious Surprise” für “Screaming For My Supper”. Und er schrieb auch den wunderschönen Song “World Without You” auf “Leave The Light On”. Also, ja, ich habe definitiv lange mit ihm gearbeitet, und ich liebe ihn wirklich! Er ist sehr talentiert!

Sein Portfolio ist beeindruckend: Paula Abdul, Kesha,  Chaka Khan, Aretha Franklin…

Hart: Ja, er hat eine großartige Arbeit geleistet. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich wieder mit ihm zusammenarbeiten durfte.

Wir müssen mal über einige der Songs reden, zum Beispiel “Jazz Man”  …

Hart: Yeah, das Witzige über “Jazz Man” ist ja, das es nicht so typisch für mich ist. Und dabei meine ich das Erzählerische. Ich bin ja eigentlich kein Typ, der Fantasie in seinen Texten verarbeitet, also im Sinne von Fiktion. Wenn ich was schreibe, dann geht es um persönliche Gefühle oder Erfahrungen oder persönliche Hoffnungen oder persönliche Ängste. Und „Jazz Man“ ist gar nicht so. „Jazz Man“ ist eine Fantasie über mich: Ich, der im Wald herumstolpert und versucht, etwas im Leben zu finden, das cool ist, das sinnvoll, das real ist.

Beth Hart. FOTO: PROMO/Mona Dordoy

Was meinst du?

Hart: Hey, ich bin in dieser verfickten Welt voller Plastik, und ich habe beschlossen, in den Wald gehen – obwohl ich das nie tun würde, weil Wälder nur Ängste in mir hervorrufen. Aber ich habe mich entschlossen, mir vorzustellen, was das schrecklichste Gefühl für mich in den Hoffnungen ist. Ich stoße also auf ein altes Jazz-Gelenk, das in einem alten, klapprigen, hölzernen, auseinander fallenden Ding an diesem Fluss liegt. Und es gibt alle dieses Voodoo und diese Bosheit. Aber innen ist diese Gruppe von Menschen, die so verdammt sind (Kichert) mit der besten Zeit! Und es ist Jazz – aber es ist Jazz, wie es am Anfang war, als es wie Punk-Rock war, rebellisch, als es noch keine Musik war, von der jemand wusste oder gehört hatte. Und wie ist es in den meisten Gesellschaften, wenn sie auf etwas Neues stoßen? Sie nennen es böse,  sie nennen es schlecht. Weil sie es nicht besser wissen. Es ist für sie beängstigend. So war er, der Anfang.

Und du bist…

Hart: Und ich bin in diesem Song also diejenige, die dieses Jazzstück entdeckt. Und ich habe so eine scheiß Angst, dass ich mich nicht traue hineinzugehen, weil ich einfach nicht dazugehöre. Also betrete ich die Hütte wie ein Gespenst. Niemand kann mich sehen, und ich hole mir das Gelenk. Und es ist nur so eine erstaunliche Entdeckung von etwas Neuem und etwas Wirklichem. Darum geht es in diesem Song. Und es ist komisch, dass ich wahrscheinlich niemals versucht hätte, so etwas zu schreiben, denn – wer war es, der sagte, ich glaube, es war Dylan Thomas, der sagte: „Ein Schriftsteller schreibt, was er weiß.“

“Love Gangster” ist ja so gesehen auch eine Fantasie, oder?

Hart: Also einer meiner Therapeuten ließ mich alles Mögliche, unter anderem Walden lesen. Er hat die Maßstäbe wirklich hoch gesetzt. Als ich ihn traf, hatte er die Haltung: „Du bist ein Witz als Künstler. Du bist nicht annähernd gut gebildet genug.“ Und er hat mir wirklich die ganze Zeit in den Hinter getreten. Eines der Sachen, die wir abgearbeitet haben, war die Typen von Männern, die ich in meinem Leben nach meiner Zeit mit meinem Vater hatte. Mein Vater verließ mich ja als Kind, es war sehr traumatisch. Und er ging ins Gefängnis, und als er aus dem Gefängnis stieg, heiratete er eine Frau, die mich nicht in seinem Leben zuließ. Also, die Männer, die ich als jungen Mädchen wählte, waren Arschlöcher und sehr missbräuchlich.

Was in deiner Musik immer wieder thematisiert wird…

Hart: Ja, und der Therapeut sagte tatsächlich: „Ich möchte, dass du darüber schreibst.“ Er meinte, dass es einfacher für mich wäre, mich musikalisch mit der Wahrheit auseinanderzusetzen, als diese Phasen zu leugnen. Jedenfalls habe ich zufällig ein Interview mit Leonard Cohen gesehen! Da brachte er gerade „Popular Problems“ raus. Und die Interviewdame sprach ihn auf seine enthaltsame Zeit an, dass er sechs Jahre lang alles Mögliche aufgegeben habe, Drogen, Sex…. Und Cohen sagte: „Nun, es war ja nicht so, als wäre ich ein Liebes-Gangster gewesen.“ Ich war wie: „Whaaaaat?! Das ist großartig! „Und so ging ich zum Klavier und schrieb dieses Lied an diesem Tag.

 “Coca Cola” ist ja fast ein Idealsong für eine Werbekampagne…

Hart: (lacht) Nein, ich weiß, ich weiß. Und es ist lustig, weil, als ich es geschrieben hatte, mein Manager sagte: „Oh mein Gott! Das kannst du nicht tun, wir werden verklagt! Und ich war so: Hey, fahr mir nicht in die Parade! Als ich es schrieb, dachte ich an „Sunday In The Park With George“, ein sehr altes, sehr altes amerikanisches Songbuchmusical. Und ich dachte nur: „Ich möchte etwas Musicalartiges machen, das mich an diese Zeit erinnert.“ Und dann kam das Lied. Ich arbeite immer zuerst an der Musik. Und dann sagt mir die Musik, worum es geht. Dann begannen die Texte zu kommen, und ich erkannte, dass es sehr sexy und lustig war, von einem Mädchen, das nicht nach irgendeiner tiefen Liebe suchte, sondern einfach nur ein junges Mädchen ist, das die Liebe im Sommer am Strand finden möchte. Das ist Licht, und das macht Spaß, und es gibt nichts Herzzerreißendes. Es ist einfach sexy und leicht. Und er schmeckt wie Coca Cola…

“Let’s Get Together” ist ziemlich funky und hat ein Motownfeeling…

Hart: Oh ja, lustig, oder? Das habe ich mit einem alten Freund zusammen geschrieben: Rune Westberg. Ich habe ja mal ein ganzes Album mit ihm aufgenommen: “My California”.

Auf dem Album gibt es auch eine ganze Reihe großartiger Balladen, Songs über die Einsamkeit, das Verletzt oder Vernachlässigt werden. Gibt es bei dir eine Taste, die du drücken kannst und diese Songs sind da?

Hart: Nein, natürlich nicht. Ich wünschte, es wäre so einfach. Was ich tue, ist: Ich habe das Klavier eine lange Zeit ignoriert. Ich habe es nur genutzt, um zu üben oder einfach nur um einen Song zu genießen, den ich gerade geschrieben hatte und um ihn vielleicht noch zu optimieren. Aber jetzt passiert genau das: Ich falle beim Spielen plötzlich in einen Raum, wo mich etwas entzündet. Da passiert etwa mit mir, wenn ich etwas Tragisches erlebt habe, etwa so wie bei Michael Stevens, oder ich kämpfe wieder mit meinem Alkoholproblem. Oder jemand, den ich liebe, geht gerade durch die Hölle. Und ich habe Angst vor solch intensiven negativen Gefühlen. Aber sie treiben mich ans Klavier.